VISION 20002/2010
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Seid mutiger!

Artikel drucken Wie eine afrikanische Christin Europas Kirche erlebt

Sr. Kingbo ist als Missionarin bei Muslimen im Niger (Portrait 1/09) tätig. Wir sprachen mit ihr über das Zusammenleben von Chri?sten und Muslimen sowie über ihre Sicht von der Kirche Europas.


Wie lebt Ihr Christen in Afrika mit den Muslimen zusammen?
Sr. Marie-Catherine Kingbo: Im Senegal ist die Mehrheit der Bevölkerung muslimisch: 85%, nur 6% sind Christen. Wenn wir dort vom Dialog sprechen, meinen wir vor allem einen „Dialog des Zusammenlebens“. Wir wohnen nebeneinander in denselben Vierteln, manchmal sogar innerhalb der Familien. Wichtig ist da vor allem der gegenseitige Respekt und die Freude, mit dem anderen dessen religiöse Feste zu begehen. Wenn wir ein christliches Fest feiern, Weihnachten etwa oder Ostern, so freuen sich die Christen, ihre muslimischen Nachbarn einzuladen und mit ihnen zu feiern. Und umgekehrt ist es genauso: Wir bringen zum muslimischen Fest Speisen mit, die wir gemeinsam verzehren. Da geht es wirklich sehr harmonisch zu.


Und im Niger, wo Du jetzt unter Muslimen wirkst?
Sr. Marie-Catherine: Im ersten Jahr, als ich dorthin gekommen bin, hatten wir beim muslimischen Fest nur mit einer Familie eine gemeinsame Mahlzeit. Mittlerweile sehen uns die muslimischen Familien nach all den Hilfen, die wir ihnen zuteil werden ließen, mit anderen Augen. Und daher waren wir heuer bei sechs Familien eingeladen. Wir gehen also auf die Leute zu, haben keine Angst, wir bekennen uns zu unserem Glauben, den wir ohne Scheu auch öffentlich praktizieren – die Leute sehen das und respektieren es.
Was für uns in Afrika sehr wichtig ist: Wir stehen furchtlos zu unserem Glauben: Wir machen das Kreuzzeichen, gehen in die Messe, gehen den Kreuzweg – was immer die Muslime auch davon halten mögen. Und dazu kommen natürlich unsere karitativen Werke: die Schulen, die weibliche Fortbildung, die medizinischen Einrichtungen, also alle unsere christlichen Hilfswerke. Die Muslime sehen das und ziehen auch einen Nutzen daraus. Denn wir leisten unsere Dienste für alle, unabhängig von der Stammeszugehörigkeit, der sozialen Stellung oder der Religion.


Wie beurteilst Du die Lage in Europa?
Sr. Marie-Catherine: Ich komme seit vielen Jahren her, manchmal auch zu längeren Aufenthalten. Aufgrund meiner gesundheitlichen Probleme war ich ja im Vorjahr fast neun Monate in Österreich. Hier stimmt mich traurig, daß viele Christen nicht wirklich zu ihrem Glauben zu stehen scheinen. Ja vielfach wird dessen Bedeutung heruntergespielt, auch vor den Muslimen. Ich habe den Eindruck, daß die Christen sich davor fürchten, ihren Glauben zum Ausdruck zu bringen, um nur ja niemanden zu schockieren. Das erscheint mir als großes Manko im heutigen Europa. Würde Europa zu seinem Glauben stehen – durchaus im Respekt vor dem Glauben Andersgläubiger –, würde es in Europa anders aussehen. Und vor allem: Es würde Auswirkungen auf das Zusammenleben in den anderen Kontinenten haben.


Angenommen, Europa würde sich stärker dem christlichen Glauben zuwenden, wie würde sich das anderswo auswirken?
Sr. Marie-Catherine: Die Muslime meinen, es bestehe eine enge Übereinstimmung zwischen dem, was der Westen lebt, und dem christlichen Glauben. Und dabei besteht da eine riesige Kluft. Der Westen hat sich ja weitgehend von seinen christlichen Wurzeln verabschiedet. Würde nun Europa seinen Lebensstil an das anpassen, was der christliche Glaube lehrt, so würde das für die Muslime ein wichtiges Signal sein. Sie würden klarer sehen, was es heißt, als Christ zu leben. Europa muß zu seinen Glaubenswurzeln stehen. Es ist unsinnig, jetzt die Glaubenssymbole zu beseitigen, etwa die Kreuze in Schulklassen abzuhängen. Muslime haben keinerlei Bedenken, ihren Glauben öffentlich, beispielsweise in der Kleidung, zu bekunden.


Was können wir europäische Christen von der Kirche in Afrika lernen?

Sr. Marie-Catherine: Unseren Mut, den Glauben zu praktizieren und öffentlich zu bekunden. Wir schrecken uns auch nicht, Fehlentwicklungen in der Politik anzuprangern. Ich denke an das, was vergangenen Dezember im Senegal passiert ist: Da hat der Staatspräsident eine Rede gehalten, in der er die Kirche und unseren Glauben verleumdet hat. Darauf haben die Christen prompt reagiert. Und das Verblüffende: Sie wurden von den Muslimen unterstützt. Die Kirche in Europa müßte sich viel mehr gegen Angriffe zur Wehr setzen. Denn was ist im Senegal passiert? Aufgrund der heftigen Reaktion der Kirche mußte sich der Präsident, übrigens ein Muslim, im Nachhinein entschuldigen.


Und wer hat reagiert: die Hierarchie oder die Laien?

Sr. Marie-Catherine: Die Laien, vor allem die Jungen. Dabei sind sie im Zuge der Auseinandersetzung durchaus von Sicherheitskräften, die die Kathedrale umstellt hatten, bedroht worden. Da wurde sogar Tränengas eingesetzt. Aber das hat so großen Unwillen erregt, daß der Präsident einlenken mußte. Genau das fehlt in Europa. Da wird auf Angriffe geschwiegen. So entsteht der Eindruck, daß die Christen ihren Glauben ohnedies nicht so ernst nehmen. Muslime hingegen lassen sich Angriffe auf ihre Religion nicht gefallen. Wir Afrikaner sehen diese Zurückhaltung mit Sorge. Mehr Mut – das könnt ihr von uns lernen. Zeigt in der Öffentlichkeit, daß ihr euren Glauben ernstnehmt – durchaus auch mit Prozessionen, Wallfahrten, mit dem Kreuzweg, pflegt die Volksfrömmigkeit!


Spielen die Medien mit?

Sr. Marie-Catherine: Wir haben zwar keine christlichen Tageszeitungen, wohl aber christliche Zeitschriften, im Senegal etwa eine Monatsschrift. Und diese ist kirchentreu. Das heißt nicht, daß nicht auch einmal etwas kritisiert wird. Aber da geht es um aufbauende und nicht um zerstörerische Kritik. Genau das aber findet man hier in Europa. Hier wird vielfach in zerstörerischer Absicht kritisiert. Als katholische Afrikanerin muß ich feststellen: Genau diese Art von Kritik schadet Europa.


Was ist kennzeichnend für diese aufbauende Form der Kritik?
Sr. Marie-Catherine: Daß sie respektvoll ist. Wir Afrikaner haben Respekt vor der Autorität. Wenn jemand den Bischof oder einen Priester kritisiert, so geschieht das in einer korrekten, respektvollen Weise. Als der Bischof vor zwei Jahren bei uns auf Visitation war, haben wir ihm durchaus gesagt, was wir auf dem Herzen hatten. Etwa, daß wir uns Unterstützung von den kirchlichen Oberen erwarten, wenn wir uns für unseren Glauben exponieren. Das geschieht nämlich auch bei uns in Afrika: Die kirchlichen Autoritäten fürchten sich oft um des lieben Friedens willen, deutlich Stellung zu beziehen. In Europa ist das auch so: Da würde man sich deutlichere Stellung?nahmen erwarten, wenn es um manche Grundfragen geht, etwa um den Lebensschutz. Insgesamt habe ich folgenden Eindruck: Es ist höchste Zeit, daß Europa eine ordentliche Gewissenserforschung betreibt.


Was hat dich in Europa positiv beeindruckt?

Sr. Marie-Catherine: Die Art der Aufnahme. Ich war in Frankreich, Italien, Deutschland, Österreich – und bin nie mit einer rassistischen Äußerung konfrontiert gewesen. Auch die Gastfreundschaft hat mich beeindruckt. Das gibt es offenbar nicht nur in Afrika. Und dann: die Bereitschaft, zu teilen. Was ich noch hervorheben möchte: Europa hat Afrika den Sinn für das Organisatorische gebracht, daß man Dinge geordnet anzugehen hat. Uns Afrikanern fehlt der Sinn für die Disziplin. Da können wir viel von euch lernen. Was uns ruiniert, ist die viele Korruption…


Und im menschlichen Zusammenleben?
Sr. Marie-Catherine: Was die Stellung der Frau anbelangt, können wir ebenfalls viel von euch lernen. Die Stellung der Frau muß sich in der Kirche Afrikas verbessern. Das heißt nicht, daß sie jetzt mit dem Mann in Konkurrenz treten sollte. Wir haben unterschiedliche Aufgaben als Mann und als Frau, ergänzen einander aber. Es geht nicht darum, Frauen zu Priestern zu weihen. Das ist unsinnig. Aber die Frau könnte so manche Aufgabe übernehmen, Priester und Bischöfe könnten sich mehr von Frauen beraten lassen… Da liegen viele Kapazitäten brach. Frauen werden zu sehr in Abhängigkeit gehalten. Afrikas Kirche hätte also jedes Interesse daran, die Charismen der Frau zur Entfaltung zu bringen.

Das Gespräch führten Alexa und Christof Gaspari.

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