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Der heilige Titus Brandsma

Artikel drucken Botschaft an uns (Von Dom Antoine-Marie osb)
 
Pater Titus Brandsma  

Pater Titus Brandsma ist eine Gestalt, die fast in unsere Zeit gehört und die sich durch ihre hohe moralische Statur auszeichnet“, sagte der heilige Johannes Paul II., „ein integrer Priester, Universitätsprofessor, kirchlicher Fachberater für die katholische Presse, Schriftsteller und Journalist. Ein Leben für Christus – bis hin zur heroischen Selbstaufopferung für die Verteidigung der Wahrheit und des katholischen Glaubens gegen die Angriffe des Totalitarismus in der finsteren Zeit der Naziherrschaft in Holland. Mit unerschrockenem Mut und ebenso klarer seelischer Gelassenheit ging Pater Titus seine Prüfung an, wechselte von einem Gefängnis ins andere inmitten der Gräueltaten, denen die Häftlinge ausgesetzt waren, und besiegelte sein Zeugnis mit dem Opfer seines Lebens im Konzentrationslager Dachau“ (Seligsprechungspredigt, 4. November 1985). Titus Brandsma wurde am 15. Mai 2022 von Papst Fraziskus heiliggesprochen.
Die Eltern des Paters, Titus Brandsma und seine Frau Titsje Postma, waren Bauern in Friesland im Norden der Niederlande. Bei der Geburt ihres ersten Sohnes Anno am 23. Februar 1881 hatten sie bereits 4 Töchter, und es kam noch ein weiterer jüngerer Bruder dazu. Sie lebten in der mehrheitlich protestantischen Gegend als gläubige Katholiken, besuchten täglich die heilige Messe und beteten jeden Abend im Familienkreis.
Anno war lebenslang von zarter Konstitution, aber von lebhafter Intelligenz und Sensibilität. Er ging bei den Franziskanern zur Schule und wurde dank seines phänomenalen Gedächtnisses bald Klassenbester, obwohl er häufig unter Magenverstimmungen litt. Schon sehr früh fühlte er sich zum Ordensleben hingezogen. Am 22. September 1898 wurde er eingekleidet und erhielt den Ordensnamen Bruder Titus. Am 3. Oktober 1899 legte er seine ersten Gelübde ab.
Aufgrund seiner schwachen Gesundheit wurde er von bestimmten Stundengebeten dispensiert, insbesondere vom Nachtgebet. Er war noch keine 20 Jahre alt, als er eine 300-seitige Anthologie der Werke der hl. Teresa von Avila verfasste, die von den Ordensoberen als publikationswürdig erachtet wurde.
Am 17. Juni 1905 zum Priester geweiht, setzte er seine Studien in Rom fort, wo er 1909 zum Doktor der Philosophie promoviert wurde. Anschließend ernannte man ihn im Kloster von Oss zum Philosophie- und Theologieprofessor. Trotz seiner leisen, etwas monotonen Stimme konnte P. Titus die Studenten davon überzeugen, dass Philosophie und Theologie keine rein spekulativen Wissenschaften waren, sondern vielmehr zu einer besseren Kenntnis Gottes verhalfen und das spirituelle Leben bereicherten.
P. Titus bewarb sich als Freiwilliger um eine Entsendung als Karmelitermissionar in die damals niederländische Kolonie Java. Doch seine Vorgesetzten hielten sein Verbleiben in der niederländischen Provinz für nützlicher, vor allem nach seiner Ernennung zum Professor an der neuen katholischen Universität von Nimwegen. Dort musste alles erst organisiert werden, angefangen von der Errichtung eines neuen Karmeliterklosters in der Nachbarschaft (zu dessen Prior er später ernannt wurde) bis zur Aufnahme von Studenten. 1932 wurde er für drei Jahre zum Rektor der Universität Nimwegen gewählt und erwies sich als hervorragender Verwalter, der auch überaus heikle Situationen gut bewältigen konnte. Danach kehrte er friedlich in den Lehrbetrieb und zu seinem Apostolat zurück. Bald wurde er zu einer Vortragsreise in die Vereinigten Staaten eingeladen, wo er sich insbesondere für die Minderheiten und die katholische Presse interessierte.
Auch inmitten seines geschäftigen Lebens hielt P. Titus an seinem intensiven Innenleben fest. Er versuchte, aus jeder seiner Handlungen ein Gebet, eine Lobeshymne zu machen. „Das Gebet ist Leben und keine Oase in einer Wüste“, sagte er.
1933 gelangte in Deutschland Adolf Hitler an die Macht. Er setzte einen spektakulären Wirtschaftsaufschwung in Gang, errichtete aber eine Diktatur, die auf einer extrem schädlichen, von Rassismus geprägten Ideologie gründete. P. Titus gehörte zu den Ers­ten, die darauf hinwiesen. Bereits 1934 untersagten die holländischen Bischöfe den Katholiken in einem Hirtenbrief jede Nazipropaganda.
1936 wurde in Amsterdam ein Büchlein mit dem Titel „Holländische Stimmen zum Umgang mit Juden in Deutschland“ publiziert; darunter war auch die energische Stimme Professor Brandsmas. Seine Stellung­nahme blieb in Deutschland nicht unbemerkt: In Berlin brachte eine Tageszeitung einen beleidigenden Artikel über ihn mit der Überschrift „Der böse Professor“.
In seinen Philosophievorlesungen zeigte P. Titus, ohne zu zögern, die Perversität der nationalsozialistischen Ideologie auf, die auf der Philosophie Nietzsches gründete und in deren Mittelpunkt der Wille zur Macht stand. In seinem Buch „Der geistliche Weg des Karmel“ schrieb er: „Das Neuheidentum mag die Liebe zurückweisen, die Geschichte lehrt uns, dass wir dieses Neuheidentum durch die Liebe besiegen werden. Wir werden die Liebe nicht aufgeben. Die Liebe wird uns das Herz dieser Heiden zurückgewinnen. Die Natur ist stärker als die Philosophie. Mag eine Philosophie die Liebe zurückweisen, verdammen und Schwäche nennen, das lebendige Zeugnis der Liebe wird stets seine Kraft erneuern, die Herzen der Menschen zu erobern und in ihren Bann zu ziehen.“
Im Mai 1940 wurden die im europäischen Konflikt neutralen Niederlande von deutschen Truppen besetzt. Als im August 1941 die katholischen Schulen aufgefordert wurden, jüdische Schüler vom Unterricht auszuschließen, erklärte Titus: „Die Kirche diskriminiert keine Rasse und kein Volk. Wir können diese Kinder nicht von unseren Schulen verweisen.“ Die katholische Presse bot ebenfalls Konfliktstoff.
Am 18. Dezember teilte das Propagandaministerium der holländischen Presse mit, dass es ihr verboten sei, aus der nationalsozialistischen Bewegung hervorgegangene Artikel abzulehnen. Am 31. Dezember forderte Titus als offizieller kirchlicher Berater die katholischen Journalisten auf, das Verbot zu ignorieren: Zeitschriften, die solche Artikel veröffentlichten, verlören ihren katholischen Charakter. In einem Gespräch riet der Erzbischof P. Titus zu Vorsicht: „Sie werden Sie viel leichter verhaften als mich.“ – „Ich weiß“, erwiderte der Karmeliter. „Aber ich kann leichter handeln als Sie.“
Die Gestapo war auf den geschickten und hartnäckigen Widerstand des Paters aufmerksam geworden und folgte dem „kleinen, aber gefährlichen Ordensmann“ auf Schritt und Tritt. Am 19. Januar erschienen zwei Gestapoleute im Kloster, um ihn zu verhaften. Der Pater kam gerade aus einer Vorlesung.
Die Gestapoleute teilten ihm mit, dass sie ihn mit dem Zug um 18.30 Uhr nach Arnhem mitnehmen werden, und begannen, sein Zimmer gründlich zu durchsuchen; sie fanden jedoch nichts Belastendes. Als die Abfahrtszeit des Zuges nahte, sagte der Pater zu ihnen: „Meine Herren, gleich ist es soweit! Die holländischen Züge pflegen keine Verspätung zu haben, sie warten selbst auf deutsche Polizisten nicht!“
Am 20. Januar wurde P. Titus in die politische Abteilung des niederländischen Gefängnisses von Scheveningen verlegt und dort zum ersten Mal verhört. Die Bischöfe hatten ihm zuvor geraten, alles auf sie zu schieben, doch P. Titus hatte das abgelehnt. Er erklärte dem Offizier Hardegen, der Glaube verleihe den Kindern der Kirche die Kraft, alle Opfer zu ertragen. Am folgenden Tag übergab der Karmeliter seinen Vernehmern eine Denkschrift, in der er ausführte, dass die niederländische Nazipartei nicht in der Lage sei, die von der christlichen Kultur geprägte einheimische Gesellschaft nachhaltig zu beeinflussen.
In seinem Abschlussbericht ließ der Offizier seine Bewunderung für die Entschlossenheit des Paters durchblicken, doch dieser müsse als ein für die Politik des Reichs gefährliches Element bis zur Entscheidung der übergeordneten Behörden in Haft bleiben. Der Pater blieb 50 Tage lang in Scheveningen und machte seine Gefängniszelle zur Klosterzelle: Morgens sprach er die Messgebete und vollzog eine geistliche Kommunion; danach folgte erst eine Gebets-, dann eine Brevierstunde. Während seiner Haft verfasste er sieben weitere Kapitel einer bereits begonnenen Biographie der hl. Teresa von Avila; sie wurde nach seinem Tod von einem seiner Mitbrüder fertiggestellt.
Am 12. März wurde er in das Zwangsarbeitslager Amersfoort verlegt und musste 10 Stunden am Tag bei der Planierung eines Schießplatzes den gefrorenen Boden umgraben. Gleichwohl schrieb er an seine Mitbrüder: „Ich darf an der frischen Luft sein und mit Bekannten sprechen. Mir geht es gut; macht euch keine Sorgen.“ Die Häftlinge wurden nur mangelhaft ernährt und magerten rasch ab. Der Pater litt unter Schwäche- und Schwindelanfällen; als er zusätzlich Durchfall bekam, musste er sich auf die Krankenstation begeben. Gleichwohl fand er auch dort die Kraft, die Moral der Mitgefangenen zu stärken; sie nannten ihn „Onkel Titus“ und suchten seine Nähe. Da er von seiten der Wächter eine gewisse Nachsicht genoss, durfte er am Karfreitag vor rund hundert Häftlingen einen Vortrag über den Sinn des Leidens halten: „Jesus ist unser Vorbild; Er ist unsere Stärke; wir müssen zuallererst sein Leben, seine Passion betrachten.“
Wieder nach Scheveningen zurückverlegt, wurde P. Titus am 28. April erneut lange von Hardegen verhört, der feststellte, dass die Erfahrung der Zwangsarbeit die Entschlossenheit des Paters nicht erschüttert hatte. Er sprach folgendes Urteil: Titus „ist nicht deutschfeindlich, aber gegen den Nazionalsozialismus; und das können wir nicht zulassen.“ Der Pater teilte seine Zelle mit zwei jungen protestantischen Häftlingen, denen er die Geschichte seiner Berufung erzählte. Sie vertieften sich gemeinsam in die Bibel und beteten selbst für ihre Wärter. Einer der beiden war so beeindruckt von der freudigen Ausstrahlung des Paters, dass er bei ihm beichtete.
Am 13. Juni wurde er einer Häftlingsgruppe zugeteilt, die in das Konzentrationslager Dachau verlegt wurde. Während der Zwangsmärsche und danach im Lager wurde er von den Aufsehern jeden Tag verprügelt. Über seine Henker sagte er: „Auch sie sind Kinder Gottes, und vielleicht ist etwas davon in ihnen noch geblieben.“ Er wurde trotz seines Erschöpfungszustandes für arbeitsfähig erklärt und musste jeden Tag zwei Stunden marschieren und elf Stunden arbeiten, um einen Park herzurichten.
Am 12. Juli schrieb er an seine Angehörigen: „Mir geht es gut. Mit Gottes Hilfe füge ich mich einmal mehr.“ Doch seine Kräfte ließen nach, und er hatte Mühe, den Arbeitsrythmus einzuhalten, was ihm trotz des Schutzes seiner Mithäftlinge weitere Schläge einbrachte. Er verbrachte 37 Tage in Dachau und konnte des Öfteren die Kommunion empfangen, da die gefangenen deutschen Priester heimlich Messen feierten. In 5 Jahren gingen 2 600 Priester durch das Lager, 1 600 starben dort. Am 26. Juli wurde P. Titus von einer Krankenschwester durch eine tödliche Phenolspritze getötet.
Bei der Seligsprechung von P. Titus versicherte der hl. Johannes Paul II.: „Der selige Titus Brandsma hat gesagt: ‚Wer die Welt für Christus gewinnen will, muss den Mut haben, gegen die Welt zu kämpfen.’ Er selbst hat so gelebt und uns ein Beispiel dafür gegeben. Habt auch ihr den Mut, aus Liebe zu Christus euch nicht an die Welt anzupassen, ihren trügerischen Versuchungen zu widerstehen und einzig den Wegen Gottes getreu zu folgen!“



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