VISION 20002/2012
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Eine Wahrheit, die frei macht

Artikel drucken Es gibt Wege der Heilung von PAS (Von Manfred M. Müller)

Es ist Zeit, sich endlich dem Leiden an den Folgen von Abtreibungen zu stellen. Denn es gibt Angebote, die den Betroffenen einen Weg zur Heilung eröffnen. Von einem berichtet der folgende Beitrag.
Auf der Suche nach zeitgenössischer Literatur, die gut und wahr und schön ist, griff ich neulich versuchsweise zu Peter Handkes Wunschloses Unglück. Ein schmales Buch, in manchen österreichischen Schulen, wie man mir sagt, sogenannte Schullektüre, eine kurze Erzählung, in der Handke den Selbstmord seiner Mutter schreibend zu erfassen sucht. Ich las. Und dann, plötzlich, auf Seite 30, inmitten anderer Sätze, in denen Handke die alltägliche Misere seiner Mutter und des Ehemannes seiner Mutter schildert, dieser lakonische Satz: „Ohne sein Wissen trieb sie sich mit der Nadel ein Kind ab.“
Da war's wieder. Der alltägliche Horror. Eine Mutter tötet ihr Kind. Ein kleiner Satz, in dem das ganze Elend zutage tritt. Ein kleiner Satz, in dem zwei Welten zugrunde gehen. Und der Leser? Was macht er mit dem, was ihm da mitgeteilt wird? Liest er darüber hinweg? Trifft es ihn, zumal wir doch heute von allem möglichen, wie es heißt, ein Stück weit betroffen zu sein haben.
Der Abtreibungsarzt Bernard Nathanson produzierte 1984 einen im Nachhinein berühmt gewordenen Film, in dem klinisch kühl und sachlich die Abtreibung eines ungeborenen Kindes per Ultraschall dokumentiert ist: Der medizinische Vorgang der Abtreibung, die Unausweichlichkeit der Tötung, die verzweifelten Versuche des ungeborenen Kindes, den mörderischen Instrumenten des Abtreibers auszuweichen. Nathanson nannte seinen Film Der stumme Schrei, weil er in den ungeschönten Videoaufnahmen gleichsam den stummen, verzweifelten Schrei des Kindes hörte, das um sein Überleben kämpfte.
Heute weiß man, dass es einen weiteren stummen Schrei gibt – den Schrei ungezählter Frauen (und  auch Männer), die nach der Abtreibung leiden, deren Leiden aber im wahren Wortsinn unerhört bleibt, ebenso wie das Leiden der Geschwisterkinder, die in einer Familie zur Welt kommen, in der eine oder mehrere Abtreibungen stattfanden. Es ist kein Leiden unter ferner liefen, sondern eines, das schwerwiegend ist, weil seine Ursache, die Tötung eines Kindes, schwerwiegend ist. Und es ist ein stummes, weil niemand es hören will.
Wie oft wiederholt sich diese Szene heute: Ein Mann drängt seine Freundin zur Abtreibung. Er droht ihr: Ich oder das Kind. Und die Frau, die ihre Beziehung retten will, gibt das Kind preis.
Mit ihren Schmerzen und Gewissensbissen und ihren Alpträumen darf sie danach ihrem Freund nicht kommen. Das würde ihn belasten. Und wenn sie es doch mal tut, und vielleicht sogar öfters tut, dann bekommt sie womöglich zu hören, sie sei zimperlich, wenig robust, andere Frauen würden doch auch dar­über hinwegkommen, sie solle das Vergangene endlich vergangen sein lassen.
Es ist ein Vorzug des Internets, dass sich das postabortive Leiden mehr und mehr Bahn bricht. Denn dort, wo der Schmerz nach der Abtreibung tabuisiert wird, schafft das Internet ein Refugium, in dem sich der gequälte Mensch zu äußern wagt. „Ich war heute bei meinem Frauenarzt. Der Arzt in der Klinik und er (mein Frauenarzt) spekulierten offenbar über den Grund meiner psychischen Probleme. Es ist niemand auf die Idee gekommen, dass ich um das tote Kind weine ....“, so eine Frau auf der Internetpräsenz rahel.de.
Und es ist wortwörtlich lebensnotwendig, dass sich die Kirche dem Druck des offiziellen und medialen Verschweigens widersetzt. Denn die postabortive Frau braucht die kirchliche Stimme, ansonsten könnte sie wähnen, die Kirche selbst kenne kein Heilmittel für ihren Schmerz oder sie sei die einzige, die leidet. Beides wären fatale Schlussfolgerungen.
Abgesehen davon, dass jedem klar Denkenden einleuchtet, dass die Tötung eines ungeborenen Kindes nicht folgenlos bleiben kann, könnte inzwischen jeder, der will, zur Kenntnis nehmen, dass es Studien und Zeugnisse zuhauf gibt, die belegen, dass das sogenannte PAS (Post Abortion Syndrom, die negativen Abtreibungsfolgen) kein Mythos ist, sondern knallharte Realität. Aber auch dies muss endlich gesagt werden: Es gibt Heilung der Abtreibungswunden. Und auch diesbezüglich bricht sich die Wahrheit, die nicht unterdrückbar ist, Bahn. Denn immer mehr Frauen und Männer, die Heilung an Leib und Seele erfahren haben, bezeugen dies.
In Österreich gibt es seit letztem Jahr die Möglichkeit, an einem Einkehrwochenende teilzunehmen, welches Frauen und Männern die Hoffnung eröffnet, Heilung ihrer desaströsen Abtreibungswunden zu erfahren. „Rachels Weinberg“, so der Titel der Einkehr, ist seit nahezu 20 Jahren erprobt und hat in den letzten Jahren, ausgehend von  Amerika, eine rapide Ausbreitung weltweit erfahren.
Theresa Burke, die Gründerin dieses Heilungsdienstes, wurde gleichsam per Zufall auf die postabortive Abtreibungsproblematik aufmerksam. Noch während ihrer akademischen Ausbildung stieß sie in einer gruppentherapeutischen Sitzung plötzlich auf das Phänomen der postabortiven Verdrängung. Aus dieser ersten Erfahrung heraus (und der erstaunlichen Erfahrung, dass von universitärer Seite aus ihr wissenschaftliches Engagement für die Abtreibungsopfer gestoppt wurde) entwickelte sich zunächst eine erste therapeutische Gruppe, in der Burke  Frauen nach Abtreibung kompetente Hilfe zukommen ließ.
Und aus diesen Anfängen entwickelte sich schließlich Schritt für Schritt ein umfassendes Heilungsmodell, dessen gute Früchte für sich sprechen, zumal ein interdisziplinäres Team die Einkehr leitet: Therapeuten (Psychologen, Psychiater, Trauma­therapeuten etc.), Beraterinnen und Seelsorger arbeiten gemeinsam zum Wohl der Frauen und Männer.
Ganz allgemein lässt sich sagen: Wesentlich  an jeder Heilung ist der Wille zur Wahrheit. Denn nur die Wahrheit macht frei. Es mag manchmal sein, dass der erste Schritt Richtung Wahrheit in dem erstmaligen ehrlichen Bemühen besteht, sich dem eigenen Schmerz zu stellen statt ihn notorisch zu verdrängen. Und dieses zaghafte Beginnen wird, wenn ihm nachgegangen wird, weitere Wahrnehmungen und Entscheidungen mit sich bringen.
Ich habe in einem kleinen Büchlein, das sich kurz und pragmatisch der Heilung der Abtreibungswunden widmet – es ist jetzt in einer Neuauflage erschienen – die einzelnen Heilungsschritte als die 5 JA bezeichnet:
1. Das Ja zum Schmerz (die Frau, analog der Mann, anerkennt ihren/seinen Schmerz).
2. Das Ja zum Namen (die Frau nennt das Vergangene beim korrekten Namen).
3. Das Ja zu Trauer und Schuld (die Frau bekennt ihr Vergehen und betrauert das Geschehene).
4. Das Ja zur Versöhnung (die Frau sucht die Versöhnung mit ihrem Kind, dem Kindsvater, den an der Abtreibung Beteiligten, mit sich selbst und mit Gott).
5. Das Ja zum Leben (die Frau entscheidet sich bewusst für das Leben).
Das verheerende Nein der Abtreibung wandelt sich sukzessive in die Bejahung des Lebens. Das Unfassbare: Im Bereich der Gnade – und Heilung ist immer Geheimnis und Gnade – gelten letzlich das Staunen und das Wunder: Wunden werden Öffnungen, die sehen und mitleiden lassen, Schuld wird zur glücklichen Schuld, und das Leben offenbart sich als das, was es in Wahrheit ist: zerbrechliches, kostbares Geschenk, das es zu hüten und zu lieben gilt.

Dr. Manfred M. Müller ist Kaplan in der Pfarre Stockerau.


 

Heilung nach Abtreibung

Infos zu Rachels Weinberg im deutschsprachigen Raum unter: www.rachelsweinberg.de
International unter:
rachelsvineyard.org
Kontakt bei Interesse für Heilungswochenenden in Österreich:
info@rachelsweinberg.at
Erste Literatur zum Thema: Manfred M. Müller, Fünf Schritte. Die Heilung der Abtreibungswunden, Immaculata Verlag, Wien 2011
(www.immaculata.at).
Studienergebnisse unter:
 www.afterabortion.org



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