VISION 20002/2012
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Das Leben – ein Geschenk Gottes

Artikel drucken Die Kultur des Lebens braucht Menschen, die sich ihres Daseins freuen (Von Urs Keusch)

Die Kultur des Todes konnte sich breitmachen, weil so vielen Menschen das Leben als Last erscheint, überfüllt mit Zwängen und Aufgaben. Die Freude an ihm ging vielfach verloren. Sie gilt es, wieder zu entdecken.

Mit 28 Jahren stand der russische Schriftsteller F.M. Dostojewskij vor einem Schießkommando, er sollte wegen angeblichen politischen Agitationen in wenigen Augenblicken hingerichtet werden. In letzter Sekunde trifft die Begnadigung des Kaisers ein. Von dieser schauerlichen Erfahrung, die sein ganzes weiteres Leben bestimmen wird, schreibt Dostojewskij an seinen Bruder:
„Ich habe heute dem Tod ins Antlitz geschaut. Ich habe meine letzte Stunde schon durchlebt, und nun fange ich noch einmal an zu leben! ... Wenn ich mein vergangenes Leben überblicke, so denke ich daran, wie viel Zeit ich umsonst verwendet habe, wie viel in Verirrungen, Irrtümern, in Müßiggang und in Lebens­untüchtigkeit verlorengegangen ist; wie wenig habe ich meine Zeit geschätzt, wie oft habe ich gegen mein eigenes Ich gesündigt, so dass ich blutige Tränen weinen möchte! Das Leben ist ein Got­tesgeschenk, das Leben ist das Glück, jede Minute davon könnte eine Ewigkeit an Glück sein!“
Ähnliche Erfahrungen machen Menschen, die wegen einer schweren Krankheit oder einem Unfall haarscharf am Tod vorbeigegangen sind. Dann wird ihnen bewusst, was für ein Gottesgeschenk das Leben ist und wie achtlos sie mit diesem höchsten aller Güter im allgemeinen umgegangen sind.
Wir Menschen haben uns heute in einer Weise an die Welt der äußeren Güter verloren, an den Konsum, die Magie der Bilder, die sinnlichen Vergnügungen, dass wir kaum mehr einen Gedanken daran verlieren, woher wir kommen, wer wir sind, wem wir unser Leben verdanken. Ruhelos und von zersetzenden Seelenmächten getrieben jagen wir durchs Leben.
Der Sonntag ist uns weitgehend abhanden gekommen, der Sabbat, die Ruhe für unsere erschöpfte Seele. Es ist keine Zeit mehr, die Seele hinzuhalten ins Licht der Liebe Gottes, damit sie wieder rein wird und ihre innere Würde zurückerhält, die sie verloren hat. Denn die Geschäftigkeit beraubt uns der inneren Würde. Und Depressivität erfüllt unsere Seele, Frustration, Lebensüberdruss, ja Ekel und Hässlichkeit. Wir ertragen uns selber nicht mehr und sind dauernd auf der Flucht vor uns selber.
Oft denke ich an die einfachen Menschen im Dorf meiner Kindheit und Jugend zurück. Damals ging das Rad der Zeit noch langsam, an vielen Orten ging es ganz gemächlich zu. Die meisten Leute damals hatten noch kein Telefon, kaum ein Radio, geschweige denn einen Fernseher. Am Abend, nach getaner Arbeit, saßen viele von ihnen auf dem Bänkchen vor ihrem Haus, um in den warmen Strahlen der untergehenden Abendsonne einen Stumpen, eine Tabakpfeife anzuzünden oder einfach still dazusitzen, den Stimmen des Abends zuzuhören, dem Schöpfer schweigend zu danken für den bestandenen Tag, für die Früchte des Feldes, und dass man noch gesund ist und noch arbeiten kann.
Und wenn man als Kinder an diesen Menschen vorbeiging und ihnen einen guten Abend wünschte, da haben sie einem zugelächelt, dass man innerlich froh wurde. Es war Friede auf ihren oft ganz durchfurchten Gesichtern, Dankbarkeit, Daseinsgüte, sanfte Lebensfreude. Noch heute gibt es solche Menschen, man trifft sie nur noch ganz selten und zufällig, sie sind wie Reliquien aus einer Zeit, aus der uns ein ruheloser, maßloser Geist vertrieben hat.
Wie finden wir Menschen unserer Tage zurück zum Frieden, zur Daseinsfreude, zum inneren Glück und zum stillen inneren bleibenden Erlebnis, dass das Leben ein Gottesgeschenk ist? Indem wir umkehren. „Kehrt um, denn das Himmelreich ist euch nahe!“ (vgl Mk 1,15) Ihr lauft in die falsche Richtung. Dieser Weg führt euch in den Ruin eurer Seelen, eurer Familien, eurer Gesundheit, eurer Herzen. „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt?“ (Mk 8,36) Was nützt es dem Menschen, wenn er dabei den Frieden verliert und Lebensekel und Häss­lichkeit seine Seele ergreifen?
Schon der Hl. Augustinus hat sich mit dieser Frage auseinandergesetzt. Und er hat darauf auch Antwort gegeben, eine Antwort, die heute nicht weniger gültig ist als damals. Er fragt also: „Wie werden wir wieder schön? Wie werden wir unsere Hässlichkeit los?“ Und seine Antwort lautet: „Dadurch, dass wir Gott lieben, der immer schön ist. In dem Maße, als die Liebe in dir wächst, wächst auch deine Schönheit; denn die Liebe ist die Schönheit der Seele.“ Und diese Liebe macht dankbar.
Jesus ist der Weg dahin, Gott ist das Ziel. Wir müssen uns darum immer wieder neu für Gott entscheiden und den Weg dahin auch gehen, indem wir uns um einen einfachen Lebensstil nach dem Evangelium bemühen, dem Konsum, dem Lebensgenuss und der Magie der Bilder und Informationen in Fernsehen, Internet und Film absagen, den Sonntag heilig halten (!) und uns viel mehr Zeit nehmen für uns selber und füreinander, für die tägliche geistliche Lesung, für die Stille und das Gebet im Angesicht des lebendigen Gottes.
Solche Umkehr betrifft uns alle, auch die alten Menschen! Wenn ihr Leben auch in den alten und kranken und leidenden Tagen Würde und Schönheit und Wert haben soll und ein inneres sanftes Leuchten der Freude und Seligkeit  sie durch die Tage und in die Ewigkeit begleiten soll, dann dürfen sie auf keinen Fall ihre freie Zeit bloß noch vor dem Fernseher zubringen. Sie müssen vielmehr ihr Herz ganz auf Gott ausrichten, dass Er sie erfreuen und erleuchten kann mit Seinem ewigen und tröstenden Licht. Und so werden sie wieder Dankbarkeit empfinden für jeden neuen Tag, den Gott ihnen schenkt.
Und die Eltern, die Kinder haben, sollen nie vergessen, was sie Gott versprochen haben, als sie vor dem Altar sich gegenseitig das Ja gaben. Sie haben Ja gesagt, als sie der Priester im Namen Gottes fragte: „Sind sie beide bereit, die Kinder anzunehmen, die Gott Ihnen schenken will, und sie im Geist Christi und Seiner Kirche zu erziehen?“ Sie haben versprochen, die Kinder für Gott zu erziehen, zur Dankbarkeit und Daseinsfreude.
Und das heißt zuallererst: Die Kinder von der Bilderflut, in der sie heute zu ertrinken drohen, wegzuziehen. Sie vor dem Bösen zu schützen, soweit es in ihrer Macht steht. In den Kindern Interesse zu wecken am lebendigen Leben, mit ihnen soviel Freizeit wie nur möglich zu verbringen, in der Natur, in der Hinführung zu Gottes lebendiger Schöpfung. Und wo es geht und der Wunsch besteht, ihnen das Halten eines Haustiers zu ermöglichen oder was immer in ihnen die natürliche Lebensfreude weckt und fördert.
Gewiss ist das alles anstrengend, aber es geht nicht anders. Das Himmelreich leidet Gewalt, sagt unser Herr, und nur wer sich täglich dazu überwindet, reißt den Frieden Gottes an sich (vgl Mt 11,12).
Ihnen, liebe Eltern, möchte ich zum Schluss noch ein Wort eines russischen Heiligen mitgeben, des Altvaters Porphyrios von Kav­sokalyvia: „Was die Kinder rettet und gut macht, ist das Leben der Eltern zuhause. Es ist nötig, dass die Eltern sich der Liebe Gottes hingeben. Sie müssen heilig werden in ihrem Umgang mit den Kindern, durch ihre Sanftmut, ihre Geduld, ihre Liebe. Jeden Tag müssen sie einen neuen Anfang machen hierin, mit neuer Bereitschaft, neuer Begeisterung und Liebe für die Kinder. Die Freude, die ihnen auf diese Weise kommen wird, die Heiligkeit, die sie dann überschattet, wird den Kindern die Gnade übermitteln ... Wenn die Eltern sich nicht heiligen, wenn sie nicht den geistigen Kampf kämpfen, begehen sie schwere Fehler und übertragen auf ihre Kinder das Schlechte, das sie selbst in sich haben. Wenn die Eltern nicht ein heiliges Leben führen, wenn sie nicht mit Liebe miteinander reden, quält sie der Teufel mit der Widersetzlichkeit der Kinder. Die Liebe, die Einmütigkeit, das gute Einvernehmen zwischen den Eltern ist das, was die Kinder nötig haben. Das gibt ihnen große Sicherheit und Vertrauen.“ Und wir fügen hinzu: Freude an Gott und am Geschenk des Lebens!


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