Wie jedes Jahr hat die Kirche auch heuer eine Woche des Gebets um die Einheit der Christen begangen. Was aber ist denn das eigentliche Motiv für ökumenische Bemühungen? Zunächst der Wille Gottes! Am Abend vor Seinem Leiden hat Jesus gebetet: „Alle sollen eins sein“ (Joh 17,21). Man kommt also um diesen Willen Gottes nicht herum. Die Kirchenväter haben das „Zerreißen“ (das Schisma) des Leibes Christi stets als äußerst schwere Sünde betrachtet. (…) Dann aber kam es zum Skandal der Spaltung.
Bei einem China-Aufenthalt fragte mich der atheistische Dolmetscher vorort nach meinem Glauben. Dann sagte er plötzlich: „Gibt es nicht zwei Jesus: einen ,Jesus’ (er betonte ihn mit englischen Akzent – denn er war amerikanischen Evangelikalen begegnet) und einen ,Jésu’ (der, von dem ich sprach) ?“ Damals wurde mir das Drama und der Skandal der Trennung der Christen so richtig bewusst: Wie soll man den Millionen von Schwestern und Brüdern, die Christus durch Sein Blut erkauft hat, das Evangelium bringen, wenn man in zersprengten Gruppen anmarschiert?
Daher besteht die Notwendigkeit einer wahren Ökumene.
Vom Zeitgeist beeinflusst, gedrängt von der geistlichen Dringlichkeit, unter dem Eindruck des Skandals der Trennung sind wir versucht, eine verweltlichte Form der Ökumene zu betreiben, geprägt vom herrschenden Relativismus. Dann wird der kleinste gemeinsame Nenner zum Maß für das Zusammenfinden der Christen. Bei der Ökumene geht es aber nicht primär darum, nur ja nicht die eigene Identität zu verlieren, sondern darum, nach der wahren, herausfordernden Treue zu Jesus Christus und zur Offenbarung des Geheimnisses Gottes zu streben. Der ökumenische Minimalismus entspricht weder dem Willen des Vaters, noch dem des 2. Vatikanischen Konzils.
Eine der Schwierigkeiten in den ökumenischen Gesprächen liegt in der Vermischung von Gefühl und Lehre: Die Liebe, die uns Christen verschiedener Konfessionen vereinen soll, darf nicht auf Kosten der geoffenbarten Wahrheit gehen. Die Kirche hat drei Aspekte ökumenischer Begegnung unterschieden. Erstens die „geistige Ökumene“, die der Märtyrer. Sie eint uns im Gebet; sie ist die Seele der Ökumene.
Dann die „sachbezogene Ökumene“: Sie betrifft gemeinsame Werke der Barmherzigkeit. Zuletzt die „Ökumene der Lehre“: Sie betrifft die großen Fragen des Glaubens und des Dogmas.
Die ersten beiden Formen betreffen die Sendung jedes getauften Gläubigen. Was die Ökumene, die Fragen der Lehre anbelangt, so ist große Vorsicht geboten. Zwar stimmt es, dass alle Christen denselben Christus und Retter haben, aber es trifft nicht zu, dass alle über das selbe Verständnis und Wissen von Seinem Geheimnis verfügen. Daher ist der Gehorsam gegenüber dem Lehramt des Petrus und dessen Nachfolger die einzige Garantie einer authentischen Ökumene in Sachen der Lehre, Basis allen ökumenischen Einsatzes.
Der Autor ist Gründer der franziskanisch geprägten Gemeinschaft „Eucharistein“ in der Schweiz. Sie ist stark auf die Feier der Eucharistie und deren Anbetung ausgerichtet. Sie lädt auch junge Leute – auch solche, die sich in Abhängigkeiten verstrickt haben – zum vorübergehenden Mitleben ein.
Der Beitrag ist Famille Chrétienne v. 21.1.12 entnommen.