VISION 20001/2008
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Das Jüngste Gericht: Ein Bild der Hoffnung

Artikel drucken Über Himmel, Hölle, Fegefeuer (Von Papst Benedikt XVI.)

Eine Welt ohne Gott ist eine Welt ohne Hoffnung (Eph 2, 12). Nur Gott kann Gerechtigkeit schaffen. Und der Glaube gibt uns die Gewißheit: Er tut es. Das Bild des Letzten Gerichts ist zuallererst nicht ein Schreckbild, sondern Bild der Hoffnung, für uns vielleicht sogar das entscheidende Hoffnungsbild. (...) Gott ist Gerechtigkeit und schafft Gerechtigkeit. Das ist unser Trost und unsere Hoffnung. Aber in seiner Gerechtigkeit ist zugleich Gnade. Das wissen wir durch den Blick auf den gekreuzigten und auferstandenen Christus. Beides - Gerechtigkeit und Gnade - muß in seiner rechten inneren Verbindung gesehen werden.

Die Gnade löscht die Gerechtigkeit nicht aus. Sie macht das Unrecht nicht zu Recht. Sie ist nicht ein Schwamm, der alles wegwischt, so daß am Ende dann eben doch alles gleich gültig wird, was einer auf Erden getan hat. (...)

Die Lebensentscheidung des Menschen wird mit dem Tod endgültig - dieses sein Leben steht vor dem Richter. Sein Entscheid, der im Lauf des ganzen Lebens Gestalt gefunden hat, kann verschiedene Formen haben. Es kann Menschen geben, die in sich den Willen zur Wahrheit und die Bereitschaft zur Liebe völlig zerstört haben. Menschen, in denen alles Lüge geworden ist; Menschen, die dem Haß gelebt und die Liebe in sich zertreten haben. Dies ist ein furchtbarer Gedanke, aber manche Gestalten gerade unserer Geschichte lassen in erschreckender Weise solche Profile erkennen. Nichts mehr wäre zu heilen an solchen Menschen, die Zerstörung des Guten unwiderruflich: Das ist es, was mit dem Wort Hölle bezeichnet wird.

Auf der anderen Seite kann es ganz reine Menschen geben, die sich ganz von Gott haben durchdringen lassen und daher ganz für den Nächsten offen sind - Menschen, in denen die Gottesgemeinschaft jetzt schon all ihr Sein bestimmt und das Gehen zu Gott nur vollendet, was sie schon sind.

Aber weder das eine noch das andere ist nach unseren Erfahrungen der Normalfall menschlicher Existenz. Bei den allermeisten - so dürfen wir annehmen - bleibt ein letztes und innerstes Offenstehen für die Wahrheit, für die Liebe, für Gott im tiefsten ihres Wesens gegenwärtig. Aber es ist in den konkreten Lebensentscheidungen überdeckt von immer neuen Kompromissen mit dem Bösen - viel Schmutz verdeckt das Reine, nach dem doch der Durst geblieben ist und das doch auch immer wieder über allem Niedrigen hervortritt und in der Seele gegenwärtig bleibt.

Was geschieht mit solchen Menschen, wenn sie vor den Richter hintreten? Ist all das Unsaubere, das sie in ihrem Leben angehäuft haben, plötzlich gleichgültig? Oder was sonst? Der heilige Paulus gibt uns im Ersten Korinther-Brief eine Vorstellung von der unterschiedlichen Weise, wie Gottes Gericht auf den Menschen je nach seiner Verfassung trifft. (...)

Zunächst sagt Paulus über die christliche Existenz, daß sie auf einen gemeinsamen Grund gebaut ist: Jesus Christus. Dieser Grund hält stand. Wenn wir auf diesem Grund stehengeblieben sind, auf ihm unser Leben gebaut haben, wissen wir, daß uns auch im Tod dieser Grund nicht mehr weggezogen werden kann.

Dann fährt Paulus fort: ,,Ob aber jemand auf dem Grund mit Gold, Silber, kostbaren Steinen, mit Holz, Heu oder Stroh weiterbaut: das Werk eines jeden wird offenbar werden; jener Tag wird es sichtbar machen, weil es im Feuer offenbart wird. Das Feuer wird prüfen, was das Werk eines jeden taugt. Hält das stand, was er aufgebaut hat, so empfängt er Lohn. Brennt es nieder, dann muß er den Verlust tragen. Er selbst aber wird gerettet werden, doch so wie durch Feuer hindurch" (3, 12-15).

In diesem Text zeigt sich auf jeden Fall, daß die Rettung der Menschen verschiedene Formen haben kann; daß manches Aufgebaute niederbrennen kann; daß der zu Rettende selbst durch “Feuer" hindurchgehen muß, um endgültig gottfähig zu werden, Platz nehmen zu können am Tisch des ewigen Hochzeitsmahls.

Einige neuere Theologen sind der Meinung, daß das verbrennende und zugleich rettende Feuer Christus ist, der Richter und Retter. Das Begegnen mit ihm ist der entscheidende Akt des Gerichts. Vor seinem Anblick schmilzt alle Unwahrheit.

Die Begegnung mit ihm ist es, die uns umbrennt und freibrennt zum Eigentlichen unserer selbst. Unsere Lebensbauten können sich dabei als leeres Stroh, als bloße Großtuerei erweisen und zusammenfallen. Aber in dem Schmerz dieser Begegnung, in der uns das Unreine und Kranke unseres Daseins offenbar wird, ist Rettung. Sein Blick, die Berührung seines Herzens heilt uns in einer gewiß schmerzlichen Verwandlung “wie durch Feuer hindurch".

Aber es ist ein seliger Schmerz, in dem die heilige Macht seiner Liebe uns brennend durchdringt, so daß wir endlich ganz wir selber und dadurch ganz Gottes werden.

Papst Benedikt XVI. Auszug aus der Enzyklika “Spe Salvi" (Abschnitte 44,46,47).

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