Das ursprüngliche, unveräußerliche Recht auf Leben wird auf Grund einer Parlamentsabstimmung oder des Willens eines - sei es auch mehrheitlichen - Teiles der Bevölkerung in Frage gestellt oder verneint. Es ist das unheilvolle Ergebnis eines unangefochten herrschenden Relativismus: das “Recht" hört auf Recht zu sein, weil es sich nicht mehr fest auf die unantastbare Würde der Person gründet, sondern dem Willen des Stärkeren unterworfen wird. Auf diese Weise beschreitet die Demokratie ungeachtet ihrer Regeln den Weg eines substantiellen Totalitarismus. Der Staat ist nicht mehr das “gemeinsame Haus", in dem alle nach den Prinzipien wesentlicher Gleichheit leben können, sondern er verwandelt sich in einen tyrannischen Staat... (20)
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Abtreibung und Euthanasie sind also Verbrechen, die für rechtmäßig zu erklären sich kein menschliches Gesetz anmaßen kann. Gesetze dieser Art rufen nicht nur keine Verpflichtung für das Gewissen hervor, sondern erheben vielmehr die schwere und klare Verpflichtung, sich ihnen mit Hilfe des Einspruchs aus Gewissensgründen zu widersetzen. Seit den Anfangszeiten der Kirche hat die Verkündigung der Apostel den Christen die Verpflichtung zum Gehorsam gegenüber den rechtmäßig eingesetzten staatlichen Autoritäten eingeschärft, sie aber gleichzeitg entschlossen ermahnt, daß “man Gott mehr gehorchen muß als den Menschen". (...)
Aus dem Gehorsam gegenüber Gott - dem allein jene Furcht gebührt, die Anerkennung seiner absoluten Souveränität ist - erwachsen die Kraft und der Mut, den ungerechten Gesetzen der Menschen zu widerstehen. Die Kraft und der Mut dessen, der bereit ist, auch ins Gefängnis zu gehen oder durch das Schwert umzukommen in der Gewißheit, daß “sich hier die Standhaftigkeit und die Glaubenstreue der Heiligen bewähren" muß (73).
Papst Johannes Paul II.
Auszüge aus “Evangelium vitae" v. 25.3.1995