Seit 11 Jahren ist er im Einsatz vor der Abtreibungsklinik in Wien, bei Sonne und Regen, Kälte und Sturm. Er erlebt viel Ablehnung, aber auch beglückende Momente, in denen Frauen vor einem Schritt ins Unglück bewahrt und Kinder gerettet werden...
Braucht man für diesen Einsatz eine besondere Schulung?
Herbert Heissenberger: Ja, wir schulen die Mitarbeiter intensiv und professionell für diesen Dienst ein. Das ist sehr wichtig. Wir stehen in einem geistigen Kampf. Da geht es darum, die Frauen, die zur Abtreibung gehen, in entsprechender Weise anzusprechen. Sie müssen spüren: Hier sind Menschen, die wollen mich unterstützen, die sind für mich da. Das ist unsere wesentliche Aufgabe vor der Klinik.
Was heißt das konkret?
Heissenberger: Da geht es einerseits um das Gebet, die geistige Dimension des Geschehens. Ich habe es heute in einem konkreten Fall gemerkt: Die Frauen, die zur Abtreibung gehen, spüren ja ganz tief in ihrem Herzen, daß sie ein menschliches Leben in sich tragen, das eigentlich geschützt und angenommen werden sollte. Aber dieses Wissen ist überlagert von dem jahrzehntelang verkündeten Verhütungsdenken, der Verneinung des Lebens, der Angst vor der Zukunft. Und da ist es wichtig, die Frauen zu ermutigen. Andererseits gilt es, die konkrete Situation der Frauen zu sehen, um Hilfe anzubieten, ihnen das Gefühl zu nehmen: Ich schaff' das nicht! Das wird ihnen ja überall eingeredet. Meist macht die Umgebung der Frau Druck, niemand ist da, ihr Mut zum Kind zu machen. All das verschüttet, was im tiefsten Herzen jeder Frau eigentlich da ist.
Wie dringt man bis zu diesem tiefsten Inneren der Frau vor?
Heissenberger: Das kann nur Gott. Er weiß ja, was im Herzen des Menschen ist. Daher braucht es das Gebet so dringend.
Können Sie einen konkreten Fall schildern?
Heissenberger: Heute ist eine Frau gekommen, die das fünfte Kind erwartet in der 10. Woche, um einen Abtreibungstermin zu vereinbaren. Sie hat ein chaotisches Leben, ist geschieden, hat aber mit dem Ex-Mann Kontakt und erwartet jetzt ein Kind von ihm. Das Jugendamt hat ihr alle Kinder weggenommen und angekündigt, ihr auch dieses wegzunehmen. Was für eine arge Lage! Sie war hier im Zentrum, hat sich wohlgefühlt, wir haben sie beraten und hoffen, daß sie sich für das Kind entscheidet. Denn wir haben die Erfahrung: Jede Schwangerschaft ist eine Chance, daß die Mutter stabiler wird, daß sie reift. Dabei können wir sie unterstützen. Vielleicht sieht das Jugendamt dann den Erfolg und die Frau kann das Kind behalten.
Wie fördert man eine solche Stabilisierung?
Heissenberger: Durch konkrete Hilfe. Liegt etwa eine Überschuldung vor, verhandeln wir mit den Gläubigern über Abschlagszahlungen. Wir begleiten die Frau in der Schwangerschaft, unterstützen sie, beten für sie. Selbst dort, wo die Umstände dramatisch sind, merken wir, daß die Schwangerschaft eine Chance bietet, einen Neubeginn zu setzen, Beziehungen zu ordnen. Im konkreten Fall: die Beziehung zum Ex-Mann entweder ganz fallen zu lassen oder zu stabilisieren. Zunächst allerdings ist es wichtig, sie über die Phase hinwegzubringen, in der sie abtreiben darf - denn im Herzen, sagt sie, will sie die Abtreibung eigentlich nicht...
Ist Adoption eine Perspektive, die Frauen dazu bewegt, ihr Kind auszutragen?
Heissenberger: Interessant ist, daß viele Frauen ihr Kind eher abtreiben lassen, als es zur Adoption freizugeben. Es ist das verkehrte Denken: Ich will dem Kind das Leid, weggegeben zu werden, ersparen. Es ist nicht geliebt. Besser, es stirbt jetzt, so bleibt ihm vieles erspart. Eine komplett falsche Vorstellung!
Was kann man denn gegen solche falsche Vorstellungen tun?
Heissenberger: Es trifft mich immer sehr, wenn Mütter sagen: “Wo wart ihr damals , als ich abgetrieben habe? Heute bin ich da zur Nachuntersuchung." Diese Frage ist eigentlich an uns alle gestellt. Auch Gott wird uns heutigen Menschen diese Frage stellen: “Wo wart ihr damals, als Zehntausende hingeschlachtet wurden? Habt ihr das nicht gesehen?" Das werden uns auch unsere Kinder und Enkel fragen. Wir nehmen unsere Verantwortung den Müttern gegenüber nicht wahr. Und da kommen wir zurück zu unserem Dienst hier: Wenn eine Frau fünf Minuten vor ihrem Abtreibungstermin an uns vorbeikommt, ist es für sie wichtig, daß sie Menschen begegnet, die das Kind in ihrem Leib bejahen.
P. Reilly, dem wir das Konzept für unseren Dienst verdanken, sagt: Wir, die Beter hier in der Kapelle und zu Hause und wir auf der Straße vor der Klinik seien für dieses Kind da, das sterben wird und das außer uns keine menschliche Zuwendung erfährt. Aber unsere Gegenwart ist auch wichtig für die Frau selber. Sie wird auf dem Weg zur Abtreibung angesprochen, kann ablehnen - was die Frauen in sehr vielen Fällen tun. Entscheidend aber ist, daß jemand da ist, der mit ihr leidet. Und wenn ich Jesus vorher in der Heiligen Kommunion empfangen habe, dann hat sie eine besondere Zuwendung Gottes. Hat sie die Abtreibung hinter sich, wird sie sich irgendwann im Leben daran erinnern, daß sie auf dem Weg zur Abtreibung Leuten begegnet ist, die sie nicht belogen haben, die es gut mit ihr gemeint haben.
Dann kann sie erkennen: Diese Leute haben die Wahrheit gesagt - und meine Mutter oder meine Freundin haben es zwar gut gemeint, haben mich aber auf den falschen Weg gebracht. Es ist also wichtig, daß dort Menschen liebend und betend anwesend sind. Für die Nachwelt ist es wichtig, daß es Menschen gegeben hat, die diese Tragödie sichtbar gemacht haben, die Widerstand gegen den Ungeist des Tötens geleistet haben. Genauso wie wir davon leben, daß es Widerstand im Kommunismus, im Nationalsozialismus gab, so ist es wichtig, daß wir Widerstand leisten.
Nach der Abtreibung: Sprechen Sie dann die Frauen auch noch an?
Heissenberger: Manche Frauen sind sehr berührt, wenn wir sie nach der Abtreibung liebevoll ansprechen, ihnen einen Rosenkranz anbieten. Viele lehnen ihn auch ab. Manche aber verlangen ihn sogar. Für die meisten tritt ja nur kurz eine Erleichterung ein: Jetzt ist es vorbei. Aber klarerweise holt sie die Situation wieder ein. Dann bleibt nur die rettende Hilfe, die von Gott kommt. Denn kein Mensch kann ihr vergeben und die Schuld heilen. Denn das Kind gehört ja Gott, dessen rettende Hilfe sie dann braucht.
Wie erleben Sie diesen geistigen Kampf?
Heissenberger: Man spürt, daß wir im Kampf stehen um die Seelen der Mütter, die zur Abtreibung gehen, und der Begleitpersonen. Man spürt, wie verführt sie sind. Der Widersacher versucht, die Seelen möglichst zu entmutigen. Wie erlebe ich das? Daß mein Angebot einen Widerspruch darstellt zu dem, was die Frau und ihre Begleitpersonen jetzt bewegt. Da gibt es die Vorwürfe, wenn sie unsere Bilder sehen: eine Mutter mit Kind, ein ungeborenes Kind in der 12. Woche, dann eine weinende Frau und das abgetriebene Kind. Die Gegenüberstellung von Leben und Tod. Das löst Widerspruch aus. Das Verrückte dabei ist: Das Bild wird zum Problem und nicht das, was dann im ersten Stock bei der Abtreibung tatsächlich passiert! Man versucht die Frauen vor dem Bild zu schützen - nicht aber vor der realen Abtreibung, die schwerste Folgen haben wird! Das Bild zeigt eben die Wahrheit. Das trifft die Leute ins Herz. Die Wahrheit stimmt ja überein mit ihrem Innersten, dem Ort, an dem die Dreifaltigkeit in der Seele anwesend ist - aber dies ist überdeckt vom Zeitgeist. Da merkt man die Zerrissenheit der Menschen.
Erleben Sie also sehr viel Widerspruch?
Heissenberger: Ja. Klar, wenn eine Frau dort steht, die Rosenkranz betet, erweckt das Widerspruch. Viele beschweren sich über Sr. Marese (Portrait in VISION 4/08), obwohl sie dort nur betet. Die ältere Schwester ist ja keinerlei Bedrohung. Daran erkennt man den geistigen Kampf. Die Menschen reagieren auf die Wahrheit, die wir vertreten, auf Christus, der das Leben ist. Die Leute erkennen tief im Inneren: Eigentlich sind wir falsch unterwegs. Daß sie uns schlecht machen, ist nur die typische Vermeidungsstrategie. Deswegen ist unsere Anwesenheit vor der Klinik so wichtig. Es gilt, das Erlösungsgeschenk Christi in die Dunkelheit zu tragen.
Ihre Tätigkeit ist meinem Eindruck nach auch in der Kirche nicht unumstritten...
Heissenberger: Die Skepsis war nicht zuletzt wegen der sehr negativen Medienberichterstattung irgendwie verständlich. Wir merken aber jetzt, daß wir immer mehr anerkannt werden. Da sind Schritt für Schritt Türen aufgegangen. Es ist schön zu sehen, wie Gott uns die Wege öffnet. Es ist wichtig, daß nicht der Eindruck entsteht, wir würden am Rand der Kirche stehen. Mittlerweile haben mehrere Bischöfe schon mit uns Heilige Messe gefeiert.
Können Sie etwas über Erfolge im Zuge Ihrer Arbeit erzählen?
Heissenberger: Ganz aktuell: Wir haben gestern ein SMS von einer Frau bekommen, deren Kind sehr umkämpft war. Der Freund hat großen Druck für die Abtreibung gemacht. Inzwischen ist das Kind einige Monate alt, und sie bedankte sich für die Hilfe, die sie von uns bekommen hat. Alles sei wunderbar, das Kind ein Sonnenschein. Auch der Freund ziehe jetzt ein, er sei froh über das Kind. So gibt es Frauen, die wir während der Schwangerschaft begleiten, aber auch solche, von deren positiver Entscheidung wir erst im nachhinein erfahren. Aber wir wissen, daß sich viel mehr Gutes tut, als wir sehen.
Bis es zu einer positiven Entscheidung kommt, muß das sehr herausfordernd sein...
Heissenberger: Letzte Woche sprach ich mit einem sehr jungen Paar. Sie erst 15, hat eben erst die Lehre begonnen. Ich habe sie angesprochen, sie haben auf den Folder reagiert, sind aber weitergegangen, dann aber bei der Kliniktüre stehengeblieben, haben sich die Pro-Life-Bilder angeschaut. Also spreche ich sie noch einmal an. Ihre Sorge: Was wird mit der Lehre? Was wird die Mutter - sie hat noch drei Kinder, das jüngste sechs Monate alt - sagen? Sie sind schließlich zu einer Beratung bereit, hören interessiert zu, gehen aber doch in die Klinik. Das Mädchen hatte dabei das Modell des 12 Wochen alten Ungeborenen in der Hand. Nach 1,5 Stunden kommen sie heraus, eher gelöst - ich war erleichtert. Das Mädchen erzählt: Die Beraterin in der Klinik habe das Babymodell gesehen, es ihr aus der Hand genommen und in den Mistkübel geworfen. Das sei so ein Schock gewesen, daß sie sich gesagt hat: Da lasse ich mich sicher nicht behandeln.
Ist ein so liebloses Verhalten in der Klinik üblich?
Heissenberger: Man wird dort wie eine Nummer behandelt. Abtreiben geschieht wie am Fließband. Das halten viele Frauen einfach nicht aus. Sie fragen sich: Was machen die mit mir?
Wie ist es mit dem Mädchen weitergegangen?
Heissenberger: Die Mutter hat weniger heftig, als befürchtet, reagiert. Aber das Mädchen mußte wegen Schwierigkeiten ins Spital. Dort hat Sr. Marese sie schon besucht. Wir sind also in Kontakt mit ihr. Auch an diesem Fall merken wir: Gott führt uns Schritt für Schritt, damit dieses Kind gerettet wird. Natürlich wird sich die Lage wieder zuspitzen, wenn sie zu Hause ist. Daher müssen wir sie weiterbegleiten.
Worauf reagieren die angesprochenen Frauen am besten?
Heissenberger: Wir wissen es nicht. Oft stehen wir staunend vor dem, was sich ereignet. Ein Beispiel dafür: Ein Mann - ihn und seine Frau hatte ich scheinbar vergebens angesprochen - kam wieder heraus, um eine Kaffeepause zu machen. Ich spreche ihn an und wir stehen an der Tür des Kaffeehauses. Plötzlich sagt er: “Gut, ich gehe noch einmal hinauf." Warum, weiß ich nicht. Und bald darauf sind beide heruntergekommen, offensichtlich ohne abgetrieben zu haben. An diesem Beispiel sieht man, wie wichtig es ist, mit den Begleitpersonen zu sprechen und nicht zu rasch aufzugeben. Aber es hat keinen Sinn, endlos auf jemanden einzureden.
Hat sich das geistige Klima in den letzten 10 Jahren geändert?
Heissenberger: Was wir sehen: In dieser Klinik, vor der wir seit rund 12 Jahren unseren Dienst tun, haben sich die Abtreibungszahlen deutlich verringert. Die Klinik hat die Räumlichkeiten reduziert. Was das Gebet - die Tag- und Nachtanbetung, die Vigilmessen - in dieser Zeit bewegt hat, läßt sich schwer abschätzen. Mein Eindruck ist: Die Mütter sind wieder lebensbejahender. Allerdings hat die Abtreibungsmentalität viele Seelen verwüstet. Davor sind auch Katholiken nicht verschont geblieben. Auch Personen, die sonntags in die Messe gehen, sind durchaus gefährdet.
Wie meinen Sie das?
Heissenberger: Wenn man konkret in die Situation kommt, daß man ungewollt ein Kind erwartet, sieht die Welt anders aus. Satan ist schlau und sehr stark. Um da widerstehen zu können, braucht man ein Leben aus den Sakramenten und intensiven Gebetsschutz. Ohne diese Hilfen könnte auch ich durchaus in die Falle tappen. Ich denke an meine frühere Einstellung. Da hätte ich auch bei Behinderung des Kindes oder einer Vergewaltigung eine Abtreibung akzeptiert.
Und was sagen Sie, wenn man Sie heute danach fragt?
Heissenberger: Immer dasselbe: Ich kann nur deswegen ein Ja zum Kind sagen, weil Gott dieses Ja sagt. Wenn ich mir nämlich die Situation der Frau anschaue, ist es menschlich gesehen oft naheliegend zu verzweifeln. Wir machen jedoch die Erfahrung: Sobald es ein Ja zum Kind gibt, lösen sich plötzlich viele Situationen, die unüberwindbar schienen. Wo wir keinen Ausweg sehen, kann Gott Türen öffnen. Wo sich eine Frau zu einem Ja zum Kind durchringt, lösen sich Verschuldungs- oder Beziehungsprobleme. Weil hier ein Opfer gebracht wird, kann Christus in die Herzen ausstrahlen. Und es genügen oft ganz wenige ermutigende Wort, damit eine Frau diesen Schritt tut. Eigentlich wäre es ja eine ganz normale Reaktion, daß man Frauen Mut zu ihrem Kind macht. Nicht normal ist es, den Frauen Abtreibungen zu verkaufen - und 500 Euro zu kassieren.
Was ist Ihre Botschaft an uns?
Heissenberger: Jeder hat die Möglichkeit, Leben zu retten. Wann immer man erfährt, daß ein Kind unterwegs ist, soll man es im eigenen Herzen willkommen heißen. Man muß sich bewußt machen: Gott will, daß dieses Kind lebt. Er hat einen wunderbaren Plan mit ihm. Daher soll jeder möglichst positiv und schön über Kinder sprechen. Das heißt nicht, daß man die Schwierigkeit verleugnet. Aber Probleme gehören zum Leben. Wir müssen ja auch den Ehepartner, die Mitarbeiter und den Chef am Arbeitsplatz ertragen. Also auch die Kinder. Aber die Freude, die die Kinder bringen - als siebenfacher Vater kann ich das bestätigen - ist viel größer. Bei unserem Jüngsten - er ist jetzt neun Monate alt - vergilt die Freude, die wir alle daheim mit ihm haben, hundertfach die Mühe, die er auch bereitet.
Wenn jeder an seinem Platz positiv über das Kind, das unterwegs ist, redet, bekundet, daß es eine Freude ist und daß er bereit ist, seinen Teil dazu beizutragen, daß die auch vorhandenen Schwierigkeiten - sie sind real! - bewältigt werden können, der wird der Mutter Mut machen, das Kind anzunehmen. Manchmal genügt ein freundliches Lächeln. Oder man sagt der Tochter: “Ich geb' Dir für die Klassenfreundin, die ein Baby erwartet, etwas mit..." oder man stellt den Kontakt zu uns her oder zum Religionslehrer oder zu sonst jemandem, der Mut zum Kind macht. Viele Mütter nehmen das Baby an, weil es in ihrem Umfeld eine Person gegeben hat, die sich über das Kind gefreut hat.
Mit Herbert Heißenberger sprach Christof Gaspari