Ungezählt ist die Schar der toten Ungeborenen, deren Leichnam als Abfall behandelt wird. Es sei höchste Zeit, mit dieser Pietätlosigkeit zu brechen, fordert der Autor des folgenden Beitrags.
Als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leib" (Lk 1, 41). Elisabeth war damals mit ihrem Sohn Johannes im 6. Monat schwanger, Maria mit Jesus im ersten. Also war auch Jesus damals vor 2000 Jahren zunächst ein ganz kleines, ungeborenes Kind.
Immer wieder muß ich an diese Begebenheit denken, wenn es heute um das Schicksal der ungeborenen Kinder geht, die schutzlos sind und von denen so viele im Stich gelassen und grausam getötet werden. Jede einzelne Abtreibung tötet ein Kind, zerstört zumeist die Beziehung der Eltern des Kindes, belastet seine Eltern, seine Geschwister, seine Familie, das ärztliche Personal und letztendlich die ganze Gesellschaft. Warum fällt es uns auch als Christen so schwer, uns zu diesen Kindern zu bekennen?
Und wenn wir diese Kinder schon nicht schützen, nicht retten konnten, wie es unsere Pflicht wäre, zumindest eines können wir doch tun - sie begraben und ihrer öffentlich gedenken.
Bischof Andreas Laun hat 2002 einen Kommentar über dieses Thema veröffentlicht. Darin schrieb er, was er vor Jahren von einem japanischen Shinto-Tempel für die Seelen der abgetriebenen Kinder gelesen hat. Dorthin kommen, so hieß es in dem Bericht, viele Frauen, häufig in der Dunkelheit, zündeten Kerzen an und weinten. Bereits damals dachte er sich, daß wir Christen längst solche Stätten haben und den Betroffenen anbieten müßten, wie ein Friedhof, auf dem sie ihrer Toten gedenken können.
Wieviele Frauen in Österreich sind von einer (meist unter Druck erfolgten) Abtreibung ihres Kindes betroffen! In fast jeder Familie gibt es Betroffene, dazu zählen auch deren Väter und Geschwister. Was sich da über die Jahrzehnte an Schmerz und an Wut angesammelt hat, ist unvorstellbar. Viele haben davor große Angst - daher ist Widerstand gegen eine solche Gedenk- und Begräbnisstätte nicht überraschend.
Widerstand kam im Laufe der Geschichte auch von Politikern und Priestern, indem sie das Begräbnis totgeborener oder getöteter ungeborener Kinder von Größe und Gewicht oder von ihrer Taufe abhängig gemacht haben. Überhaupt wurde auf verschiedenste Weise weggeschaut, bis heute, wo die Gesetze seit 1975 abgetriebene Kinder nur als “Abfall" bezeichnen.
Dieser Sachverhalt ist juristisch kompliziert und menschlich himmelschreiend: Kinder, die infolge eines medizinischen Eingriffes den Mutterleib tot verlassen - z.B. in Folge einer Abtreibung - wird die Würdigung durch eine Totenbeschau nicht zuteil, weil sie als “Organabfall" anzusehen sind. Organabfall aber ist Eigentum der Klinik und kann daher auch an die Pharmaindustrie für Forschung und Verwertung verkauft werden. Ansonsten werden diese Kinderleichen zumeist in Müllverbrennungsanlagen entsorgt. Wo blieb bisher der Protest der Christen angesichts dieser tagtäglichen Pietätlosigkeit und Leichenschändung?
Erinnert sei an die Geschichte des Trojanischen Krieges, wo Priamos, der König von Troja, seinen Todfeind Achill um den Leichnam seines Sohnes Hektor bittet, um ihn zu bestatten. Seine Bitte wird erfüllt. Wer bittet heute Ärzte und Krankenhäuser um den Leichnam der getöteten Ungeborenen ?
Immerhin wurde 2007 in Mailand über einen “Friedhof für abgetriebene ungeborene Kinder" diskutiert und der Gouverneur der Region Lombardei hat im Jänner 2007 verfügt, daß abgetriebene Kinder künftig beerdigt werden müssen.
Weitere Referenzen sind der Friedhof der Namenlosen in Albern und die bekannten Gedenkstätten für die “unbekannten Soldaten" auf Friedhöfen und Plätzen. Wenn der im Krieg Gefallenen gedacht wird, warum nicht auch der in einem unerklärten Kriegszustand gegen die eigene Zukunft “gefallenen" unbekannten, ungeborenen Kinder?
Einzelne Pfarren haben bereits in Privatinitiative eine Gedenkstätte für totgeborene Kinder und auch für abgetriebene Kinder errichtet: in Österreich etwa Asten, Marchtrenk, Oberwart, St. Veit am Vogau (Kreuzweg), Schwechat und Wagna bei Leibnitz; in Italien Bozen, Bruneck, in der Schweiz Basel, Liestal, Muttenz und Therwil und in Deutschland Bad Segeberg, Dresden-Zschachwitz und Michaelsberg bei Cleebronn.
Bei den Gedenk- und Begräbnisstätten gibt es 2 verwandte, aber unterschiedliche Ausprägungen:
- für fehl-, früh- und totgeborene, im Mutterleib gestorbene Kinder
- für abgetriebene, im Mutterleib getötete Kinder.
Im Grunde genommen gehören die abgetriebenen Kinder zu ihren Familien bzw. ins Familiengrab. Wo das aber nicht möglich ist (was derzeit fast immer der Fall ist), sollte die (Pfarr-) Gemeinde einspringen und einen öffentlichen Platz zur Verfügung stellen. Mit einer solchen öffentlichen Mahn- und Gedenkstätte werden mehrere Ziele verfolgt:
- Bekenntnis zu diesen namenlosen Kindern,
- Ein Platz zum Trauern für Angehörige und Täter (z.B. Ärzte),
- Bewußtmachung von Scham, Schuld, Sühne und Trost,
- Eine Grabstätte für den Leichnam der getöteten Ungeborenen.
Bei der Umsetzung ist zu beachten, daß der Schmerz über den Verlust eines abgetriebenen Kindes auch deshalb besonders tief sitzt, weil der Verlust meist selbst geduldet oder herbeigeführt wurde, weil keine Möglichkeit zur Verabschiedung bestand und weil die gesellschaftlich/kirchliche Tabuisierung die Betroffenen im Leiden isoliert hat.
Bei den Inschriften würde ich dafür plädieren, die Wahrheit in Liebe zu sagen: Zuerst das Bekenntnis zum kleinen, ungeborenen Menschen, dem die Gesellschaft Menschenrechte und Lebensschutz vorenthält. Bei seinen Eltern sollte man nicht auf die Mutter fokussieren, hinter der sich heute alle verstecken, sondern ganz bewußt auf Vater und Mutter. Das Thema Schuld ist komplex, da im Grunde sehr viele Menschen aus allen Bereichen von Gesellschaft und Kirche mitschuldig geworden sind. Niemals sollte jedenfalls in solchen Inschriften der Hinweis auf die notwendige Reue und die Barmherzigkeit Gottes fehlen.
Die Not ist so groß und daher braucht es diese Mahn-, Gedenk- und Begräbnisstätten wirklich dringend!
Andreas Kirchmair
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