VISION 20004/2009
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Zum Herzen des anderen sprechen

Artikel drucken Impulse zur Neuevangelisierung

Mittlerweile hat es sich herumgesprochen: Den Glauben zu verkünden, ist nicht allein Sache von Spezialisten, es fordert alle Christen heraus. Bleibt die Frage: Aber wie geht man es an?

Wie soll man evangelisieren?

Kardinal Philippe Barbarin: Zunächst muß man dem anderen zuhören, um ihn besser kennenzulernen - und dann einen Weg finden, der es möglich macht, ihn persönlich und in der Tiefe seines Wesens anzusprechen. Herz und Vernunft müssen immer im Gleichklang sein...

Sollen wir in unserer persönlichen Umgebung evangelisieren?

Kardinal Barbarin: Als ich in Madagaskar war, sind wir gemeinsam mit Missionaren in Dörfer gekommen, in denen die Leute noch nie etwas von Jesus gehört hatten. Sie haben uns dort wie Prinzen empfangen, mit einer wunderbaren Offenheit, waren bereit, beten zu lernen. Das unterscheidet sich einigermaßen davon, wie sich Evangelisation bei uns in Frankreich abspielt. Wir müssen zunächst viele Hürden von Mißtrauen und Vorurteilen überwinden. Und dennoch gilt der Auftrag Jesu: “Geht zu allen Völkern und lehrt sie..."

Man wirft denen, die evangelisieren vor, sie kämen daher und sagen: “Schau, das ist die Wahrheit..." Wie geht man am besten vor?

Kardinal Barbarin: Keine Frage, wer evangelisiert, hat nicht immer ein reines Herz. Wenn er sich eher als Eroberer denn als Diener sieht, wird seine Botschaft nicht ankommen, weil der Hochmut alles verdirbt. Darüberhinaus muß der Betreffende immer an seinem Glauben “arbeiten". “Wie dem Adler wird dir die Jugend erneuert", heißt es im Psalm. Die Arbeit der Vernunft erneuert unseren Glauben fortgesetzt. Es gibt nichts Ärgeres als einen Christen, der nur nachplappert, wie ein Papagei. Wenn die anderen spüren, daß uns der Glaube bewegt und verändert, dann werden sie empfänglich. Niemanden interessiert ein auswendig gelerntes Stück. Mich haben meine Eltern und mehrere Priester geformt. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Aber ich habe nicht den Eindruck, nur das mechanisch wiederzugeben, was sie mir beigebracht haben. Das Wort ist auch in mir Fleisch geworden, und ich meine, wir sollten alle zu einem “lebendigen Wort" werden.

Wie kann man zu Leuten sprechen, die man nicht kennt? Etwa sagen: “Da wäre etwas, worüber wir uns austauschen könnten..."?

Kardinal Barbarin: Am besten ist es, so einfach wie möglich zu reden. Einfach man selbst zu sein, natürlich, ohne große Sprüche zu klopfen. Als der hl. Paulus versucht hat, die Intellektuellen Athens zu bezirzen (Apg 17), verachteten sie ihn, kaum daß er von der Auferstehung zu sprechen begann. Sie hörten nicht mehr zu. Man muß also beim Evangelisieren immer feurig, furchtlos und demütig bleiben - wie übrigens in allen Lebenslagen, wo wir Christus und unseren Brüdern dienen wollen.

Wie soll man also zu den Leuten reden, die uns über den Weg laufen?

Kardinal Barbarin: Mein Grundsatz lautet: zum Herzen sprechen. Das bedeutet: zum Herzen meines Gegenübers sprechen und über das Herz, das Zentrum des Themas. Man muß sich also den Umständen anpassen: ob man zu Kindern, Kranken, Strafgefangenen, Jugendlichen oder Unternehmern spricht. Zum Herzen zu sprechen, das bedeutet, daß sie sich verstanden fühlen. Auch muß die Botschaft klar und nicht etwa fad oder kompliziert sein. Das Wichtigste ist: Der, mit dem ich spreche, muß erfassen, daß er einer von andersher kommenden Liebe begegnet. (...)

Welche Methode der Evangelisation empfehlen Sie?

Kardinal Barbarin: Keine besondere. Ich freue mich, daß es viele gibt. Jeder Christ ist besonders, ebenso wie die Menschen, an die wir uns wenden. Man hat sich viel den Kopf über die Adressaten zerbrochen; vergessen wir aber nicht diejenigen, die verkünden... Jeder Christ bringt in die Evangelisation sein Temperament ein. Da plädiere ich für große Freiheit. Ich mag weder die Dogmen in der Pastoral, noch die Leute, die uns allgemein wirksame Verkündigungsmethoden verkaufen wollen. Wirklich allgemeingültig ist folgendes: Willst du wirklich ein Missionar sein, so lasse Den Wahren Missionar in dir Sein Werk vollbringen. Von dem Moment an, an dem Jesus, der Missionar schlechthin, Sein Werk in uns vollbringt, wird sich alles zum Guten wenden. Klarerweise ist es nicht dasselbe, das Evangelium im Jahr 2009 und zur Zeit des heiligen Irenäus in Lyon zu verkünden. Lassen wir also Jesus an uns wirken, lassen wir Ihn uns erneuern und vervollkommnen, lassen wir Ihn Seine ganze Mission in uns vollenden - und wir werden wissen, was wir zu tun haben.

Kardinal Philippe Barbarin ist Erzbischof von Lyon. Das Gespräch mit ihm ist ein Auszug aus dem Buch Dieu est de retour. La nouvelle Évangelisation de la France. Von Jean-Baptiste Maillard, Éd. de l'Oeuvre, 20 Euro.

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