VISION 20005/2009
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Die stille Revolution

Artikel drucken Neue Werte für Europa (Christof Gaspari)

Schleichend ist die Veränderung über die Bühne gegangen. Die Werte hätten sich gewandelt, heißt es. Die Einstellung zu verschiedenen wesentlichen Fragen der Lebensgestaltung ist heute vielfach diametral anders als vor 50 Jahren…

Man denke nur an Themen wie Abtreibung, Homosexualität, Leitbild der Frau, Sexualität, Pornographie, Stellenwert der Religion im öffentlichen Leben… Überall ein folgenschwerer Schwenk. Nehmen wir etwa das Thema Euthanasie. Noch in den fünfziger oder sechziger Jahren wäre ein Plädoyer für „rechtmäßige“ Tötung von alten, leidenden, lebensmüden Menschen im Rückblick auf die Nazi-Greueltaten unvorstellbar gewesen. Ein Aufschrei wäre durch das Land gegangen, das wird es in Europa nie wieder geben, hätte es geheißen.

In den siebziger Jahren, nachdem die Abtreibung freigegeben worden war (übrigens zehn Jahre davor ebenso undenkbar), begannen sich die Fronten aufzuweichen. Hier und da wurde das Thema angeschnitten, „Philosophen“, wie der Australier Peter Singer, durften plötzlich ihre mörderischen Theorien in den großen Medien vertreten. „Unerhört! bei uns nie“, hieß es zunächst in den Kommentaren. Aber die Argumente standen plötzlich im Raum. Und zwar immer öfter. Immer öfter setzte man sich zu ernst geführten TV-Diskussionen zusammen. Damit war das Unvorstellbare salonfähig gemacht.

„Wenn jemand sagt, man dürfe seine Mutter töten, so verdient er nicht Argumente, sondern Zurechtweisung.“ Diese Ansicht hatte noch Aristoteles vertreten. Nun aber wurde doch argumentiert, oft mit schlechten Argumenten von seiten der Vertreter der tradierten Sichtweise. Zum Teil wurden sie sogar bewußt unter den mäßig Informierten ausgewählt. Und das Ergebnis: Europas Bevölkerung hat sich mit dem Gedanken an die Ausmerzung von Alten, Leidenden, Lebensmüden gewöhnt.

Die nächsten Schritte sind vorgezeichnet: De facto Legalisierung auf breiter Front, mediale Berichte über die Sinnhaftigkeit der Vorgangsweise, Herabwürdigung der Gegner dieser Entwicklung, legale Absicherung der „Errungenschaft“…

Warum ich das so ausführlich erzähle? Weil es leicht ist, in die Falle solcher Umwertung zu gehen (siehe auch S.9). Ich kenne mehrere Personen, die voll auf den Zug der Liberalisierung in Wertefragen aufgesprungen sind, ohne sich ihrer Kehrtwendung bewußt geworden zu sein. Sie verstehen sich nach wie vor als konservativ in ihrer Grundhaltung.

Sage niemand, das könne ihm nicht passieren! Wer viel Medien konsumiert, in seinem Umfeld – vor allem bei Personen, die ihm nahestehen – entsprechendes Fehlverhalten erlebt (der Sohn, der zur Freundin zieht, die Tochter, die abtreibt, die Eltern, die sich scheiden lassen…), der tut sich schwer den Kurs in diesen Fragen zu halten. Die anderen tun’s ja auch – und die Zeiten ändern sich eben.

Das stimmt: Die Zeiten ändern sich, aber die Werte ändern sich nicht. Es ist irreführend vom Wertewandel zu sprechen. Denn die Wahrheit der Offenbarung Gottes gilt für alle Zeiten und weltweit als Wegweiser. Was sich geändert hat, ist die Bereitschaft, diese Wahrheit anzunehmen. Unsere Zeit läuft eben heutigen Götzen nach: Selbstverwirklichung, Konsum, Lust, Emanzipation…

„Seid nüchtern und wachsam! Euer Widersacher, der Teufel geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann“ (1Petr 5,8f) – ich greife die Warnung des Apostels Petrus noch einmal auf. Auch heute müßte man die Christen mit Nachdruck zur Nüchternheit und Wachsamkeit gegenüber dem Widersacher aufrufen – aber indem man ergänzt: Denn der Teufel schleicht sich überall auf Samtpfoten ein, versteckt hinter scheinbar einleuchtenden Argumenten, in scheinbar seriösen Forschungsergebnissen, in scheinbar hieb- und stichfesten statistischen Feststellungen, in scheinbar unantastbaren Theorien (Freud, Darwin), in gutgemeinten Ratschlägen, die vom Weg abbringen, in weitverbreiteten esoterischen Praktiken…

Es ist schon oft gesagt worden, paßt aber hierher: Die Tatsache, daß vom Feind des Menschen gerade in der Kirche so gut wie nie geredet wird, wiegt uns Christen in falscher Sicherheit, untergräbt unsere Wachsamkeit. Sie macht uns auch blind gegenüber dem großen Geschenk, das uns in den Sakramenten zuteil wird. Wir sind aufgerufen, die Rüstung Gottes anzuziehen, um „den listigen Anschläge des Teufels widerstehen“ zu können (Eph 6,11). Paulus war ja kein Phantast, sein Rat ist ernstzunehmen.

Dies festzustellen, ist kein Aufruf, in jedem Winkel die Handschrift Satans zu suchen. Wie gesagt, der Christ steht unter dem Schutz des Blutes Christi – vorausgesetzt er nimmt diesen Schutz auch in Anspruch. Er muß jedenfalls wissen, daß er mitten in ein geistiges Ringen gestellt ist, in dem es keine Neutralität gibt.

Wieder einmal zitiere ich die Stelle aus dem Buch Deuteronomium, die jedes Jahr am Tag nach Aschermittwoch in der Messe gelesen wird. „Leben und Tod lege ich Dir vor, Sgen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen. Liebe den Herrn, deinen Gott, hör auf seine Stimme, und halte dich an ihm fest; denn er ist dein Leben.“

Um diese Entscheidung geht es heute wie zu jeder anderen Zeit. Nur sind wir Christen  – vielleicht besonders wir Katholiken? – noch immer nicht ausreichend vorbereitet. Aber die Zeit drängt.

Christof Gaspari

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