Zu einer Mystikerin sagte der Herr einmal: „Wenn du mich liebst, wirst du mich erforschen.“ Jemanden wirklich lieben heißt: sich für ihn interessieren, ihn von Herzen kennen lernen. Das gilt auch für unseren Glauben. Doch unser Glaube ist nicht primär eine Lehre, sondern zuerst und vor allem eine lebendige Person: der auferstandene Gott und Mensch Jesus Christus.
Das Christentum wird dort begründet, steht dort auf, fängt dort an zu blühen, wo wir uns diesem lebendigen und auferstandenen Christus mit ganzem Herzen zuwenden: wo wir uns im täglichen Gebet und in der Betrachtung bemühen, Ihn in seinem heiligen Evangelium und in den Werken der Mystiker kennen zu lernen und ins eigene Leben aufzunehmen.
Nun sagen mir immer wieder Menschen: Wie soll ich Jesus kennen lernen, wo doch fas t jeder Theologe etwas anderes über ihn lehrt und behauptet. Das ist tatsächlich eine Plage unserer Zeit. Es gibt eine Flut von Jesus-Büchern und jedes versucht, uns einen neuen und v.a. zeitgemäßen Jesus anzubieten. Und so schafft sich jeder Theologe einen Jesus nach seinem Bild und Gleichnis: seinen Sozialreformer, seinen Gesellschaftskritiker, seinen Bauernrevolutionär, seinen Psychotherapeuten, seinen spirituellen Meister. Vom auferstandenen Herrn und Gott Jesus Christus bleibt dann meistens nicht mehr viel übrig. Hier erhebt der Neutestamentler Professor Klaus Berger in seinem Buch Jesus seine prophetische Stimme.
Er wendet sich unter unter anderem gegen jene Theologen, die fast nur damit beschäftigt sind, Jesus klein zu machen: Ihn seiner Hoheit, seiner Unbegreiflichkeit - seiner Gottheit - zu entkleiden. Berger schreibt: „Kein Wunder, wenn sich für diesen Jesus kein Mensch mehr interessiert: belanglose minimal art... So will dieses Buch ein Ende damit machen, daß man die Gestalt Jesu ein ums andere Mal vor das Gericht der kritischen Vernunft zitiert, um die historischen Alibis des Angeklagten zu bewerten. Jesus versteht man eben nicht nur mit dem Kopf. Wer etwas von Ihm wissen will, muß sich auf die kongenialen Erkenntniswege Wendet sich gegen das Kleinmachen Jesu Erkenntniswege der Mystik einlassen. Herz und Gefühl werden nicht der Psychologie überlassen, sondern ihr entrissen.“
Wenn Berger ferner in der Einführung schreibt: „In diesem Buch werde ich mich bemühen, theologisches Fachchinesisch zu meiden, sehr einfach und klar und vor allem nicht um den Brei herum zu reden“, so bleibt das Buch mit seinen 700 Seiten dennoch ein anspruchsvolles Werk, hinreißend geschrieben, herrlich erfrischend, blitzend und erhellend wie ein Gewi t ter in schwüler Nacht, originell auf jeder Seite.Ein Jesus-Buch, das suchende und wache Geister heute unbedingt lesen sollten, nicht nur Christen!
Urs Keusch
JESUS. Von klaus Berger, pattloch Verlag 2004, 704 Seiten, iSBN 3- 629-00812-7, 18 Euro.