Friede - die große Sehnsucht des Menschen. Wie hoch dieses Gut zu werten ist, wissen am besten die vielen Millionen, die heute in kriegerische Auseinandersetzungen geraten sind. Wir Westeuropäer sind diesbezüglich verwöhnt, leben seit Jahrzehnten unter friedlichen äußeren Bedingungen. Aber leben wir deswegen wirklich im Frieden? Ist nicht vielen der innere Friede abhanden gekommen. Im folgenden Anregungen, was diesen inneren Frieden fördert. Nicht an sich selbst verzweifeln
„Wer sich nur mit etwas klarem Blick selbst betrachtet, kommt nicht darum herum, seine Mängel, seine Gespaltenheit, seine mangelnde Flexibilität festzustellen“, stellt der Franziskaner Éloi Leclerc, Autor von Sagesse d'un Pauvre fest. Um den Frieden zu finden, muß man auf Gott blicken und sich selbst mit den Augen Gottes betrachten. „Unsere enorme Armut zwingt uns unbedingt dazu, immer bei Gott Hilfe zu suchen“, betonte P. Libermann (1802-1852), ein konvertierter Jude, Gründer des Ordens der „Pères du Saint-Esprit“.
Wer zu Gott, der reich an Erbarmen ist, Zuflucht nimmt, der erwartet, daß Er, dessen Herz voller Zärtlichkeit ist, sich über ihn beuge. Dann entdecken wir unter dem Wust unserer Ärmlichkeiten den verborgenen Schatz unseres inneren Wesens, das nach Gottes Abbild gebildet ist. Wir müssen lernen, uns aus dem Blickwinkel Gottes zu lieben - also unendlich mehr. Sich nicht vom Scheitern beängstigen lassen, sich nicht von der Armseligkeit, der scheinbaren Lauheit verwirren lassen…
Um die Gnade des Vertrauens bitten
„Die Gründe, aus denen wir den inneren Frieden verlieren, sind immer schlechte Gründe“, erklärt P. Jacques Philippe von der Gemeinschaft der Selipreisungen, Autor von Suche den Frieden und jage ihm nach. „Die Seele würde ihre Kraft, ihren Reichtum und ihre Vollkommenheit im Geist Gottes finden, wenn sie sich nur Seiner Führung anvertraute“, schrieb P. Libermann. „Weil sie sich aber von Ihm trennt und allein agieren will, findet sie in sich selbst nur Unruhe, Armut und tiefste Unfähigkeit...“
Einer der Feinde des Friedens ist der rund um uns herrschende, vom Zynismus angekränkelte Pessimismus, den wir täglich inhalieren. „Der Pessimismus wirkt nämlich bis in unsere tiefen Schichten, er zerstört unseren Antrieb, für andere zu wirken, er verdrängt unseren Verstand durch die Ängstlichkeit, er entmutigt“, stellt Andrea Riccardi, Gründer der Gemeinschaft Sant'Egidio fest.
Vorrang für Vorrangige
In der Kultur des Zappens und des Schnappsschusses besteht die Gefahr, daß das unmittelbare Geschehen (vergangen oder gegenwärtig) unser Bewußtsein besetzt. Geben wir nicht allzu leicht dem Dringenden den Vorzug - auf Kosten des Wichtigen? Wir alle haben einen übervollen Terminkalender. Fragen wir uns aber: voll - wovon? Prioritäten gehen uns ja keineswegs ab: persönliche, familiäre, berufliche, freundschaftliche, soziale, vereinsbezogene…
Ein gängiger Fehler besteht darin, einer dieser Prioritäten auf Kosten der anderen den Vorzug zu geben, sei es aus Leidenschaft oder wegen ihrer Dringlichkeit. So nimmt man sich beispielsweise erst dann Zeit für den Sohn, wenn sich ein Scheitern in der Schule abzeichnet. Daher ist es notwendig, von Zeit zu Zeit unsere Prioritätenliste zu überprüfen und sie in Ordnung zu bringen. Das macht man ja auch mit seinem Kleiderkasten. Denken wir an den Rat, den Jesus Martha gibt, weil ihre Schwester Maria Ihm, dem Sohn Gottes zuhörte: „ Martha, Martha, du machst dir viele Sorgen... aber nur eines ist notwendig!“
Die Option für die Armen wählen
Ein ruhiges Gewissen und das Gefühl zu haben, im Frieden zu leben, bedeutet noch nicht, daß wir Männer und Frauen des Friedens sind. Eine gewisse egoistische Zufriedenheit kann uns zwar in dieser Illusion wiegen. In einer seiner Fastenpredigten weist der heilige Thomas darauf hin, daß nur Mildtätigkeit den vollkommenen Frieden vermittelt. Denn, so sagt er: „Es ist eine Erfahrungstatsache, daß das Verlangen nach zeitlichen Gütern nicht durch deren Besitz gestillt wird. Kaum daß man etwas erlangt hat, will man schon etwas anderes. Das Herz des Gottlosen ist wie ein aufgewühltes Meer, das sich nicht besänftigen läßt.“
Wie kann man heute den Frieden bewahren, wenn immer mehr Männer und Frauen ins Elend geraten, an dem wir - durch unsere mangelnde Bereitschaft zu teilen - unbewußt mitschuld sind? Diese Tatsachen darf man nicht übersehen. Es wäre zu einfach, wie der Prophet Jeremias sagt: „Den Schaden meines Volkes möchten sie leichthin heilen, indem sie rufen: Heil, Heil! Aber kein Heil ist da.“ (6,14)
„Wenn du den Frieden suchst, wende dich den Armen zu.“ Diesen Rat hat Johannes Paul II. gegeben. Er war überzeugt, daß die unfaßbare Massenarmut explosive Situationen in unserer Zeit schaffen würde. Nun geht es nicht darum, Schuldgefühle zu wecken, sondern sich aufrütteln zu lassen. Was ist, wenn der Ruf des Armen der Ruf Christi ist?
Wer reich ist, redet nicht gern über die Armut. Und - seien wir ehrlich - sind die meisten von uns nicht „Reiche“? Die Versuchung, sich in seinem „kleinen Paradies“ häuslich einzurichten ist groß, insbesondere wenn man sich überfordert und schutzbedürftig fühlt.(…)
Dem, der uns verletzt hat, vergeben
Streit, Konflikte, Krisen - an all dem leiden wir. Sie können zu mehr oder weniger schwerwiegenden Brüchen führen... Manchmal sind wir so schmerzhaft betroffen, daß wir in einem Winkel unseres Herzens einen bleibenden Groll mitschleppen, ein hartnäckiges Gefühl der Verbitterung. Groll und Haß sind gefährliche Gifte. Das einzige wirksame Gegengift ist die Vergebung, um wieder auf den Weg der Ausgeglichenheit zurückzufinden. Oft bedarf es eines heroischen Aktes, Frucht langer Bemühungen.
Je nach der Schwere, den Folgen, den Urhebern und den Umständen der Verletzung kann der Weg, der zur Vergebung führt, sehr lang sein. Das ist normal, denn bei der Vergebung handelt es sich um die Feindesliebe (übrigens kann man auch sein eigener Feind sein). Sie ist wie die Linie am Horizont. „Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst ... geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder...“ (Mt 5,23f)
Sich nicht der Angst ergeben
Für Andrea Riccardi ist die Angst eine typische Krankheit unserer Zeit, „die wir mit honorigen Begriffen umkleiden“. Wir haben Angst zu versagen, zu verlieren oder nicht das Erwünschte zu erlangen... Angst vor der Zukunft, dem Tod, dem Leiden... Angst vor dem Blick der anderen... Unsere Ängste treten in allen Lebensbereichen auf und lähmen uns häufig. Darüberhinaus verleitet die Angst zur Sünde - man lese das Buch Genesis, um sich davon zu überzeugen!
Wir haben insofern Grund zur Angst, als nichts in unserem Leben wirklich abgesichert ist. Wer im Frieden leben will, muß die Triebkraft seiner Phantasie - sie setzt die Wagons unserer Sorgen in rasche Bewegung - abstellen. „Fürchtet euch nicht!“ Diesen Aufruf findet man angeblich 365 Mal in der Bibel. Also einmal für jeden Tag. Es war das erste Wort, das Johannes Paul II. unserer verängstigten Zeit zurief.
„Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Zeitspanne verlängern?“ (Mt 6,27) Wie also den inneren Frieden bewahren? Indem wir unsere Geschichte der Barmherzigkeit Gottes (der Vergebung) und die Zukunft Seiner Vorsehung (durch Hingabe) anvertrauen. Und indem wir nur für das Heute leben. „Denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen.“ (Mt 6,34)
Vertrau dich ohne Vorbehalt Gott an
Es ist nicht zu verhindern, daß Schwierigkeiten, Krisen und Prüfungen kommen. Die Realität richtet sich nicht immer nach unseren „frommen“ Wünschen. So hilft uns dann das Gottvertrauen, das Geschehen in aller Demut anzunehmen, mit ihm, so gut es geht, zurechtzukommen, in ihm einen Weg zur Heiligung und zum Frieden zu sehen.
Indem er die Worte des heiligen Paulus aufgreift, beschreibt P. Jacques Philippe das Leben als geistigen Kampf (siehe Eph 6,10-17). Wir müssen die Rüstung Gottes anlegen: den Glauben, das Wort Gottes, das Gebet, die Sakramente... „Ich vermag alles in dem, der mich stärkt“, versichert der Apostel, der uns die göttliche Zusage vermittelt: „Meine Gnade genügt dir, denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit.“ (2Kor 12,9)
Das wichtigste sei nicht, so sagt der heilige Franz von Sales, daß wir unser Herz im Frieden bewahren, sondern daß wir daran arbeiten.
Das ist eine Aufgabe, die sich Tag für Tag neu stellt: Nur nicht den Mut verlieren; mit kleinen Schritten beginnen; mit Ausdauer beten und alles immer wieder unter den Blick Jesu stellen: „Sorgt euch um nichts, sondern bringt in jeder Lage betend und flehend eure Bitten mit Dank vor Gott! Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und Gedanken in der Gemeinschaft mit Christus Jesus bewahren.“ (Phil 4,6f)
Schluß mit den Rivalitäten
Das Vergleichen ist eines der schlimmsten Gifte für den Seelenfrieden. Der Schönste, Stärkste, Mächtigste wird man immer auf Kosten der anderen. Die Kultur des „kleinen Chefs“ ist hinterhältig und schädlich. Der Geist der Rivalität ruft kriegerische Gefühle hervor: Neid, Eifersucht, Stolz... Sie bewirken Traurigkeit. Die Vorstellung „We are the Champions“ läßt eine kritische Haltung entstehen: Wir beurteilen die anderen nach unserem Maß, was wir sind, was wir haben, wie wir leben.
(...) Lieben, das heißt, für andere Gutes zu wollen - ohne sich als Opferlamm aufzuspielen oder - was noch schlimmer ist - die „barmherzige Seele“ hervorzukehren. Nur keine Einbahn in der Liebe! Man muß auch lernen, etwas anzunehmen... Und wer „Champion“ sein will, möge Verständnis für den Verlierer haben!
Das Lebensziel im Auge behalten
Wer eine Antwort auf die Frage: „warum?“ als Ziel vor Augen hat, könne unter x-beliebigen Umständen leben, meinte sinngemäß ... der Philosoph Nietzsche. Der Wiener Psychiater Viktor Frankl hat dieselbe Erfahrung in der Hölle der Konzentrationslager gemacht: Überlebt haben jene, die wenigstens einen Grund zur Hoffnung hatten. Das tiefgründige Wohlbefinden gründet auf dem vorrangigen Bedürfnis, seinem Leben einen Sinn zu geben. Je höher das Ziel, umso sinnvoller das Leben und umso mehr verwirklicht es sich in der Hingabe. Wenn Mutter Teresa die Kranken pflegte, tat sie dies an Christus selbst.
Seine Pflichten zu erfüllen, ist gut; es aus Liebe zu tun, ist besser. Unendlich besser! Insbesondere dann, wenn wir uns darum bemühen, jede Entscheidung im Lichte des Willens Gottes zu treffen und der „Option für Gott“ den Vorrang einzuräumen.
Lernen, hier und jetzt zu leben
Man müsse nicht den Ort wechseln, sondern seine Seele, meinte der weise Seneka. Der Friede versteckt sich nicht auf einer einsamen Insel oder in einem Kloster.
Ein einfacher Schlüssel für Abgeklärtheit, die für den Frieden vorbereitet, ist folgendes: Jeden Moment des Lebens als Gabe Gottes entgegenzunehmen: die prächtigen Farben des Herbstes, den Schnee, das erste Sprießen im Frühling, das Kind, das neben uns spielt, eine gute Mahlzeit mit Freunden, die Entdeckung einer neuen Landschaft... All das annehmen und ins Staunen geraten.
Einfache Glücksgefühle erwachen oft beim bewußten Verkosten der „kleinen Alltagsfreuden“, die der Schriftsteller Philippe Delherm so gut beschrieben hat. Nicht verwunderlich ist daher, daß Dr. Vittoz - der große Schweizer Therapeut, nach dem ein berühmtes Rehabilitationsverfahren benannt ist - folgendes hervorhebt: für das psychische Gleichgewicht des Menschen ist die sinnliche Wahrnehmung unserer Umwelt und das bewußte Erleben des jeweiligen Augenblicks von größter Bedeutung.
Das Staunen führt zum Lobpreis und zur Anbetung. Denn wer zu staunen vermag, erkennt zuletzt die Schrift des Schöpfers in dessen Schöpfung. Er wird wie ein Kind, voll Vertrauen zu diesem Gott der Zärtlichkeit.
„Seid gefügig und geschmeidig in den Händen Gottes“, empfiehlt P. Libermann. „Ihr wißt, was man dazu tun muß: den Frieden und die Ruhe bewahren, sich niemals ängstigen, sich durch nichts verwirren lassen, vergessen, was war, leben, als gäbe es keine Zukunft, für Jesus den jetzigen Moment erleben, oder, besser: so leben, als hätte man kein eigenes Leben, und stattdessen Jesus nach dessen Gutdünken in uns leben lassen...“
Aus „Famille Chrétienne“ Nr. 1467