Alltag in Rußland: Mitten im größten Elend wächst Freude aus lebendigem Glauben. Auszüge aus zwei Briefen einer mutigen Glaubenszeugin unter dem Kommunismus, die jetzt Brücken zwischen Ost und West baut.
ie gewöhnlich lebe ich in Rußland zwischen den Kontrasten, in einem schrecklichen, fast unmenschlichen Widerspruch. Einerseits ist das Leben ein ununterbrochenes Fest. Ich meine die christlichen, sakralen Feste: vor drei Tagen hat man die heiligen Kyrill und Methodius gepriesen, vor vier Tagen den heiligen Nikolaus, vor fünf Tagen den heiligen Johannes den Theologen, vor kurzem hat man ganz feierlich die Himmelfahrt Jesu gefeiert. Die einfachen Menschen strahlen die Freude aus.
Aber das alltägliche Leben ist unaussprechlich schwer. Ich leide schon nur deswegen, weil ich jeden Tag die sterbenden, ganz kranken Alten auf der Straße sehen muß, die Kinder, die betrunken sind, die zynisch und aggressiv schimpfen und Drogen rauchen. Man verliert fast den Mut und die Hoffnung...
Die Kinderheime werden oft geschlossen. Das macht man geheim. Oft kaufen die Chinesen oder die Völker, die aus dem Süden kommen (Usbeken, Tschetschenen, Aseri...) diese Häuser. Die Gerichte arbeiten nicht. Um einen Prozeß zu gewinnen, muß man Millionen von Dollars (schon am Anfang) haben.
Die verlassenen Hunde und Katzen werden gefangen, barbarisch am hellen Tage getötet. Man „utilisiert“ ihr Fleisch (für Fastfood), ihre Knochen, ihren Pelz. Die Grausamkeit herrscht überall. Ich habe wieder meinen Schlaf verloren.
Trotzdem versuche ich zu „wirken“, an der Front zu sein. Ich spreche in den kirchlichen Versammlungen, schreibe Bücher (zur Zeit über Ökologie), versuche die christliche Kultur hochzuhalten. Auch viele katholische Bücher werden gelesen. Demnächst kommen auch kluge und „charismatische“ Theologen aus Slowenien zu uns. Das wird ein Ereignis sein! Zwischen uns entsteht eine echte geistige Freundschaft. Man braucht es so sehr, einander zu begegnen!
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Der neue Patriarch Kyrill ist eine starke, einflußreiche Persönlichkeit. Er ist die größte Autorität in Rußland. Nach dem Vorbild der römischen Päpste spricht er überall - in den größten Stadien, bei Versammlungen der Jugend. Er beantwortet alle schwierigen Fragen. Oft ist er gegen die „offizielle“ Meinung. Er kritisiert radikal, stark, kraftvoll Stalins Verbrechen. Das ist schon etwas!
Ich muß dazu erklären: Das Volk sucht die „starke Hand“, viele Kommunisten gehen in die Kirche, die meisten sagen, daß Stalin gesiegt hat, daß er ein geheimer Mönch war (sogar ein Zar). Der Patriarch Kyrill ist gegen diese falsche Welle aufgetreten. Stalin ist ein Krimineller, ein grausames Monster. Der Krieg war uns wegen unserer Sünden geschickt. Wir haben unsere Sünden (den Kommunismus und andere) noch nicht bereut, die russischen Märtyrer sind noch nicht genug anerkannt.
Ich kenne Seine Heiligkeit Kyrill schon seit Jahren. Er hat das Vorwort zu meinem letzten Buch geschrieben. Ich habe immer gewußt, daß er in „Symphonie“ (Kirche-Staat) etwas ändern wird. Und das geschieht. Der prophetische Geist hat auch die „offizielle“ Kirche nicht verlassen.
Das Gebet schafft einen Raum der Heilung, der Liebe, der Fröhlichkeit. Das Gebet heilt, die Medikamente sind nur eine Mithilfe. Unsere Zeit ist so ungewöhnlich neu und interessant. Die eine Kirche wird sichtbar und unsichtbar - aber sehr schnell - aufgebaut.
Tatjana Goritschewa