Afrikas Kirche wächst heute besonders rasch. Groß ist insbesondere auch die Zahl ihrer Priesterberufungen. Kein Wunder: Handelt es sich doch um eine Kirche, die aus der Freude über die Auferstehung des Herrn lebt.
Zum Priester berufen - mitten in der Weite und Armut Afrikas: Wie geschieht das?
Fr. Revocatus Ndasi: Sicher anders als in Europa. Ich stamme aus einer kinderreichen, aber auch sehr religiösen Familie. Mein Vater war Landarbeiter und meine Mutter mußte neun Kinder großziehen. Nur ich konnte studieren. Mein Vater hat regelmäßig sein Vieh verkauft, um meine Studiengebühren zahlen zu können. Um aufs Gymnasium zu gehen, mußte ich in eine Missionsschule, rund 600 Km von meinem Dorf entfernt.
War da ein Vorbild, das ihre Berufung beeinflußt hat?
Fr. Revocatus: Ein großes Vorbild waren sicher die „Weißen Väter“, ein Missionsorden, der schon 100 Jahre in unserem Land arbeitet - und Benediktinermissionare aus St. Ottilien (Deutschland). Bei ihnen ist auch mein Interesse an der deutschen Sprache gewachsen. Mein Vater hat es dann irgendwie möglich gemacht, daß ich zwei Jahre Philosophie und vier Jahre Theologie studieren konnte. In der Kathedrale von Sumbawanga (Anm.: im Drei-Länder-Eck Tansania-Sambia-Kongo), nahe meinem Heimatdorf, bin ich dann 2001 zum Weltpriester geweiht worden.
Ja, noch etwas: Wir Priester müssen auch für unseren Lebensunterhalt sorgen. Also habe ich - teilweise parallel zu meinem Priesterstudium - Geographie und Geschichte studiert. So kann ich jetzt an unserem Gymnasium unterrichten. Gelegentlich springe ich auch im Religionsunterricht ein. Als Lehrer kann ich doch mit einem Monatsgehalt von 18 Euro rechnen. Durchschnittlich 45 Kinder (zwischen 13 und 19 Jahren) sind in einer Klasse - wohl mehr als bei euch in Österreich.
Der Alltag eines afrikanischen Priesters - wie sieht der aus?
Fr. Revocatus: Unsere Pfarre betreut 15.000 Gläubige. Der Pfarrer ist für zehn Kirchen zuständig - es sind nicht immer so ehrwürdige Gebäude wie bei euch. Ich bin einer von denen, die ihm dabei helfen: täglich lese ich die Heilige Messe, einmal hier, einmal dort. Die Gläubigen kennen wir daher kaum - aber viel an Glaubensleben spielt sich ohnedies an der Basis ab.
Wie kann man das verstehen?
Fr. Revocatus: Es gibt viele Aktivitäten auf der Ebene der Familien, der Jugend usw., religiöse Runden, in denen zehn und mehr Familien mit ihren Kindern und Enkeln zusammenkommen, oft zweimal die Woche. In diesem Kreis wird über Bibelstellen meditiert, über soziale Probleme diskutiert, wird Armen und Kranken geholfen. Das ergibt doch eine starke Basisbewegung.
Und am Sonntag wird gemeinsam die Messe gefeiert...
Fr. Revocatus: Ja, da geht es dann sehr lebendig, sehr emotionell und fröhlich zu. Mit rhythmisch-sentimentalen Gesängen und Tanzeinlagen.
Ein großer Unterschied zu Europa...
Fr. Revocatus: Ja, hier sind die Gläubigen vermutlich weniger, aber generell gesprochen: konzentrierter, aufmerksamer, meditativer, ernsthafter. Bei uns ist man während der Messe zwar emotional sehr präsent, doch die Gefühle verblassen im Alltag rasch, so mein Eindruck.
Tansania gehört zu den Ländern, in denen Aids besonders wütet. Wie sehen Sie das Problem?
Fr. Revocatus: Eine schwierige Frage. Grundsätzlich hat die Familie einen hohen Stellenwert, aber die Verpflichtung zur Treue ist nicht sehr entwickelt. Das hat Stammestraditionen als Ursache. Die Clanführer haben sich immer das Recht auf mehrere Frauen genommen. Das liegt an der enormen Mobilität und Zerrissenheit, zu der die Familien auf der Suche nach Arbeitsplätzen gezwungen sind. Und: Wir sind ein Land, in dem die Hälfte der Bevölkerung christlich ist, aber ca. 40 Prozent bekennen sich zum Islam.
Die Muslime aber haben das Recht auf vier Frauen - und darüberhinaus sind auch „Nebenfrauen auf Zeit“ möglich. Das färbt natürlich auch auf Christen ab; es belastet und erschwert die Durchsetzung und Akzeptanz der katholischen Morallehre.
Tansanias christliche Frauen akzeptieren diese Situation?
Fr. Revocatus: Mit einigem Unbehagen muß ich das eher bejahen. Eine große Frustration habe ich nicht beobachtet. Es gibt auch bei uns eine feministische Strömung, die diese „Tradition“ nicht mehr akzeptieren will. Aber das ist eher politisch motiviert und auf intellektuelle und eher städtische Frauen begrenzt. Es hat kaum einen Einfluß auf den Alltag auf dem weiten Land. Vergessen wir nicht die Größe Tansanias: ein Territorium mehr als zehnmal so groß wie Österreich. Wenn ich jetzt heimkomme, fahre ich mehr als zwei Tage mit dem Autobus von Daressalam bis nach Sumbawanga.
Noch ein persönlicher Eindruck zur Frauenfrage: Ich denke, sie wollen den Partnern - als schwer um die Familieneinkommen kämpfende und oft verzweifelte Männer - nicht noch zusätzliche Probleme machen. Und sie wollen den Bestand ihrer Ehe, die ja auch eine Art Sozialversicherung ist, auch nicht durch ein Pochen auf ihre Rechte gefährden.
In der Kirche ist der Feminismus - anders als in Europa - jedenfalls kaum zu spüren. Frauen hinterfragen nicht, daß Kleriker immer Männer sind…Und doch: Letztlich sind es unsere Frauen, die ihren Kindern den Glauben weitergeben.
Fühlt man sich in Tansania der Weltkirche nahe? Oder konkreter: Wie weit ist der Papst und der Vatikan vom afrikanischen Kirchenalltag entfernt.
Fr. Revocatus: Das Bewußtsein, Teil der großen Weltkirche zu sein, ist stark und schön. Wir haben die gleiche Meßliturgie wie in Österreich, wir lesen und meditieren über die gleichen Bibelstellen, und nicht zuletzt bringen uns Fernsehen und Printmedien den Hl. Vater und die Weltkirche näher. Auch wenn wir in vielem - vor allem wirtschaftlich und sozial - noch große Defizite haben: Als Christen sind wir auf gleicher Augenhöhe mit allen unseren Schwestern und Brüdern rund um den Globus.
Aus welchen materiellen Quellen speist sich das Leben der Kirche?
Fr. Revocatus: Am wichtigsten sind die Spenden der Gläubigen. Jede Religionsgemeinschaft ist für ihre Finanzierung selbst verantwortlich. Bei uns gibt es die grundsätzliche Verpflichtung rund 10% des Nettoeinkommens an die Kirche zu zahlen, das verbindet uns mit den Muslimen. Zugegeben, das ist ziemlich theoretisch. Jeder gibt, was er für richtig hält und was ihm möglich ist. Ein Einfordern der Zahlungsschuld durch Gerichte oder ähnliches gibt es bei uns nicht. Und dann hoffen wir natürlich immer, daß unsere sozialen und kirchlichen Projekte in Rom und in den katholischen Ländern auf Zustimmung und Unterstützung stoßen. Auch deshalb bin ich jetzt auch hier in Österreich...
Wie steht es um die oft problematische Beziehung Christen - Moslems?
Fr. Revocatus: Es ist - generell gesprochen - ein erstaunlich friedliches Zusammenleben. Auch staatspolitisch funktioniert es durch relativ gerechte Ämter- und Machtaufteilung. Die Präsenz der Muslime konzentriert sich auch im Wesentlichen auf Sansibar und die Küstenebene. Nein, die Probleme und Ängste, die wir von anderswo hören, die haben wir in Tansania gottseidank nicht.
Wodurch unterscheiden sich aus Ihrer Sicht die christlichen Kirchen Afrikas von denen in Europa?
Fr. Revocatus: Wie schon angedeutet: Bei uns zuhause geht es in der Kirche - wenn ich das jetzt so formulieren darf - um einiges fröhlicher und optimistischer zu. Und die Kirchen sind auch viel voller. Die Kirche in Tansania feiert die Auferstehung, weniger den Kreuzestod und die Grablegung. In Europa ist die Zahl der Gläubigen sicher wesentlich kleiner geworden, aber das Glaubensleben hat bei denen, die sich in der Kirche noch zuhause fühlen, ein höheres Niveau.
Das Gespräch führte Georg Reichlin-Meldegg.