VISION 20003/2011
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Antonio Gaudi

Artikel drucken Botschaft an uns (Dom Antoine-Marie)

Eine Kirche ist das einzige Gebilde, das würdig ist darzustellen, was ein Volk empfindet. Die Religion ist nämlich die höchste Regung im Menschen.“ Das war die Ansicht von Antonio Gaudi, dem Architekten der Basilika Sagrada Familia in Barcelona. Bei der Einweihung des Bauwerks im November 2010 stellte Papst Benedikt XVI. fest: „Ich glaube, daß die Weihe dieser Kirche der ,Sagrada Familia’ in einer Zeit, in der der Mensch sich anmaßt, sein Leben hinter Gottes Rücken aufzubauen, so als hätte er ihm nichts mehr zu sagen, ein sehr bedeutsames Ereignis ist. Gaudi zeigt uns durch sein Werk, daß Gott der wahre Maßstab des Menschen ist.“

Antonio Gaudi kam 1852 in Reus, in der spanischen Provinz Tarragona als fünftes Kind des Franz Gaudi Serra und der Antonia Cornet Bertran zu Welt. Sein großer Schmerz: Er verliert früh alle seine Schwestern und Brüder. Die Serie dieser Todesfälle erklärt wohl den Ernst, den Gaudis Charakter prägen wird.
Von der Seite des Vaters her entstammt Antonio einer Familie von Kupferschmieden. Dem Vater in der Werkstatt bei der Formung des Kupfers zuzuschauen, vermittelt dem Jungen die Fähigkeit, „in drei Dimensionen zu denken“. Von klein auf leidet Antonio an Rheumatismus. Die Krankheit zwingt ihn, sich lange Zeiten hindurch in der Einsamkeit eines kleinen Familienbesitzes, Riudoms, in der Nähe von Reus aufzuhalten. Dort nehmen seine Augen die Lichteffekte des Mittelmeerraums und die reinen Bilder der Felsen, Pflanzen und Tiere auf. Er wird daher stets die Natur als große Lehrmeisterin bewundern.
Im Schuljahr 1868-69 übersiedelt der junge Mann nach Barcelona, um an der Hochschule Architektur zu studieren. Sein Studium finanziert er durch Arbeit in namhaften Ingenieur- und Architektenbüros. Auch belegt er Philosophie, Ästhetik- und Geschichtevorlesungen. Seiner Ansicht nach ist es Aufgabe der Kunst, sich von den Ordnungen und Gestalten der Natur – sie sind ja Werke des Schöpfers – inspirieren zu lassen. In ihnen leuchten ja die Wahrheit und die Schönheit auf. 1878 erwirbt er sein Architekturdiplom.
Er arbeitet anschließend für eine Genossenschaft und lernt eine Lehrerin kennen, die Arbeiterkinder unterrichtet. Nach langem Zögern spricht er von Verlobung. Bedauernd gesteht ihm die junge Frau, daß sie bereits verlobt sei. Daraufhin beschließt der junge Mann, sich ganz dem Herrn zu weihen und zölibatär in der Welt zu leben. Seinen Vater wird er während dessen langen Lebensabends ebenso pflegen wie seine Nichte, eine kranke Waise.
Das 19. Jahrhundert war in Spanien eine Periode enormer sozialer Umwälzungen. Ein antiklerikales Fieber grassiert und die Kirche wird verfolgt. Joseph Bacobella, ein Buchhändler und großer Verehrer des heiligen Joseph, hat die Eingebung, der heiligen Familie von Nazaret ein Gotteshaus zu errichten. Zur Sühne für die Sünden seines Jahrhunderts will er ein markantes Zeichen der Liebe Gottes und dessen menschgewordenen Sohnes Jesus setzen.
Die Arbeiten beginnen, aber bald schon kommt es zu Meinungsdifferenzen zwischen Bocabella und seinem Architekten, der das Projekt aufgibt. Da hat eine Tante Bocabellas nachts einen Traum: Sie sieht den Architekten, der die „Heilige Familie“ voranbringen wird: ein junger Mann mit blauen Augen… Ohne dem Traum Bedeutung beizumessen betritt dann Joseph ein Architekturbüro. Dort steht er plötzlich einem jungen Mann gegenüber, dessen blaue Augen ihn zusammenfahren lassen. In Katalonien sind nämlich blaue Augen eine Seltenheit. Der junge Architekt heißt Gaudi.
Bocabellas Vorstellungen gingen eher in Richtung eines klassizistischen Stils. Er stimmt aber ohne Zögern Gaudis überlegenen Vorstellungen zu. Überzeugt, daß man ohne Opfer auf der Baustelle nicht vorankommen wird, gibt Gaudi das gemütliche Leben eines renommierten Architekten auf, intensiviert sein Gebetsleben und verordnet sich Askeseübungen. „Dieses Gotteshaus ist ein Tempel der Sühne“, erklärt er. „Das heißt: Es lebt vom Opfer.“ In der Fastenzeit des Jahres 1883 fastet er so streng, daß ihn die Entsagung beinahe das Leben kostet.
Gaudi entwirft das Gotteshaus der Heiligen Familie als Synthese der katholischen Lehre. Die Schöpfung der Welt, die Arbeit des Menschen, der Übergang vom Reich der Finsternis zum Reich des Lichtes, die Geheimnisse des Lebens Christi, die sieben Sakramente, die sieben Gaben des Heiligen Geistes, die Seligpreisungen, der Tod, das Fegefeuer, das letzte Gericht, die Hölle, der Himmel… all das soll aufscheinen. Die ungefähr 100 Meter lange Kathedrale in Form eines lateinischen Kreuzes wird fünf Kirchenschiffe und drei Fassaden umfassen.
Auf der enormen Baustelle der Sagrada Familia sorgt Gaudi für eine wunderbare Brüderlichkeit. Da es noch keine Sozialversicherung gibt, werden die Arbeiter bis zu ihrem Lebensende beschäftigt. Vorsorglich richtet der Architekt ein Versicherungssystem auf Gegenseitigkeit ein. Jeder zahlt einen kleinen Teil seines Gehalts ein, um Arbeitern im Krankheitsfall etwas zahlen zu können. Die Arbeiter lieben ihn so sehr, daß sie ihn Vater nennen, wenn sie von ihm sprechen, was Gaudi aber nie erfahren wird.
Seine Güte ist sprichwörtlich. Eines Tages kommt ein Bildhauer nach durchfeierter Nacht auf die Baustelle. Darauf der Architekt: „Wenn der Leib es verlangt, ist das erste, was man tun muß, ihn ausruhen zu lassen.“ „Ja,” erwidert der Bildhauer, „mach ich, wenn ich abends heimkomme.“ „Nein, Sie müssen es jetzt tun.“ Was dann auch geschieht. Die Güte dieses Vaters geht jedoch Hand in Hand mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Als einer seiner Kunden überfällige Honorare nicht zahlen will, ruft er die Justiz an. Er gewinnt den Prozeß – und spendet das Geld einem Kloster von Ordensfrauen.
Gaudi hat auch mit Charakterschwächen zu kämpfen. Sie kommen immer wieder in scharfen Worten zum Ausdruck: „Mit meinem Temperament,“ sagt er, „kann ich die Dinge nur so sagen, wie ich sie sehe. Und darunter leiden die Leute sicher…“ Und er ergänzt: „Meine Willensstärke hat mich viele Hindernisse überwinden lassen, ist aber an etwas gescheitert: der Änderung meines Temperaments.“
Nach dem vorzeitigen Tod seiner jungen Nichte im Jahr 1912 und dem seines Vaters stellt Gaudi fest: „Jetzt ist mir alles genommen. Mir bleibt nur, mich ganz dem Tempel der Heiligen Familie zu widmen.“ Von da an lebt er in seinem Haus, übersiedelt aber im Oktober 1925 auf die Baustelle der Sagrada Familia. Er ist ärmlich gekleidet und ernährt sich vor allem von getrockneten Früchten sowie Ziegenmilch mit Zitrone. Sein Honorar wandert in den Bau der Basilika. Mit beginnender Wirtschaftskrise wird er betteln gehen, um seine Arbeiter bezahlen zu können – was ihm allerdings schwer fällt. Eines Tages gibt eine Frau ihm eine Peseta, ein minimaler Betrag, den er ganz glücklich in die Sammelbüchse des Gotteshaus wirft.
Als die Infantin Isabella die Baustelle besucht, erscheint Gaudi und die könglichen Garden weisen ihn beim Anblick des ärmlich gekleideten Mannes ab. Darauf Gaudis Mitarbeiter: „Wie dumm sind die!“ „Nein“, erwidert Gaudi, „sie tun ihre Pflicht.“ Eines Tages kommt der Rektor der Universität von Salamanca, ein großer Dichter und Agnostiker, Miguel de Unamuno. Angesichts der Fassade der Geburt Christi, die von christlichen Symbolen strotzt, wendet er sich an den Architekten: „Wie können Sie, ein so intelligenter Mann, an solche Dinge glauben!“ Gaudi reagiert nicht. Kurz darauf läutet es zum Angelus. Gaudi unterbricht das Gespräch, nimmt den Hut ab, beginnt ohne Menschenscheu schlicht zu beten. Zuletzt sagt er: „Laus Deo! Ich wünsche allen eine gute Nacht.“
Antonio feiert täglich die Heilige Messe mit, vertieft sich in die Lektüre des Evangeliums, um sich bei der Gestaltung der Personen, die das Gebäude zieren, inspirieren zu lassen. Wenn er Besucher über die Baustelle des Gebäudes führt, sind seine Erklärungen eine hervorragende Darstellung der christlichen Lehre. Mehrere Buddhisten und Shintoisten haben sich, als sie mit Gaudi und dessen Werk in Kontakt kamen, zum Katholizismus bekehrt.
Am 7. Juni 1926 gegen 18 Uhr wird Gaudi beim Verlassen der Baustelle von einer Straßenbahn gerammt. Man hält ihn für einen Bettler und bringt ihn ins Spital vom Heiligen Kreuz, ein Ordensspital für Arme. Er empfängt die Krankensalbung. Als man seine Identität feststellt, bieten die Spitzen der Medizin ihre Dienste an. Aber es ist zu spät. Am 10. Juni stirbt Gaudi als Armer, wie er sich das gewünscht hatte. Seine letzten Worte: „Mein Gott, mein Gott!“
Groß ist die öffentliche Trauer bei seinem Begräbnis, an dem weltliche und kirchliche Autoritäten ebenso teilnehmen wie ganz einfache Leute. Er wird in der Krypte „seiner“ Kirche bestattet, in der Kapelle „Unsere liebe Frau vom Karmel“. Sein Seligsprechungsprozeß ist eingeleitet.
Auszug aus Lettre du 9 janvier 2011, Abbaye Sant-Joseph de Clairval

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