VISION 20002/2008
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Ist der Embryo ein Mensch?

Artikel drucken Überlegungen zur Biotechnologie (Von Inge M. Thürkauf)

Seit Jahrzehnten wird diese Frage in ungezählten Publikationen kontrovers diskutiert. Biotechnische Manipulationen wie Klonen, Stammzellforschung, Präimplantationsdiagnostik (PID) sind Schlagworte, die täglich die Medien beschäftigen. Dabei wird genügend Widersprüchliches vertreten, was es dem interessierten Fachfremden oft erschwert, hinter dem Wust von Informationen den Wahrheitsgehalt dieses die Würde des Menschen treffenden Problems zu finden.

Eine tragische Note erhält die seit Monaten schwelende Diskussion um eine zeitliche Verschiebung des Stichtags in Bezug auf den Import embryonaler Stammzellen aus dem Ausland durch die unreflektierten Voten des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, Bischof Wolfgang Huber, und der Forschungsministerin Annette Schavan. Beide, Bischof wie CDU-Politikerin, sind bereit, den Forderungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft Gehör zu verschaffen und dies auch noch christlich zu begründen. Dabei treibt diese eine Forschung voran, die menschliche Embryonen als Testmaterial für Therapien (bei ungewissen Heilungserfolgen) und zur Erprobung von Pharmaka ausbeutet und zu diesem Zwecke tötet.

Das Festhalten an einer unumschränkt wertfreien Forschung degradiert den menschlichen Embryo immer stärker zu einer Sache. Daher sind “Überlegungen zum biotechnischen Umgang mit menschlichen Embryonen", wie sie Adrienne Weigl in ihrem im Resch-Verlag erschienenen Buch “Der preisgegebene Mensch" zur Sprache bringt, dringend empfohlen.

Durch ihr breitgefächertes Studium (Philosophie, Grenzfragen der Biologie, Geschichte der Naturwissenschaften und katholische Dogmatik, nach ihrer Promotion wissenschaftliche Mitarbeiterin am John Henry Newman-Institut in Penzberg in Fragen der Bioethik des Lebensanfangs) bringt die heute als Leiterin eines Kreisbildungswerkes tätige Autorin die Voraussetzungen mit, in diesen komplexen Fragen zu informieren und dabei auch dem Laien die hinter Fachbegriffen verborgenen Zusammenhänge verständlich zu machen.

Ihr Buch ist ein wichtiger Beitrag zur philosophisch-ethischen Standortbestimmung, geteilt in drei Frageebenen: den biologisch-faktischen Teil (Was läuft ab, was wird gemacht?), die naturphilosophische sowie anthropologische Deutung (Was haben wir mit einem Embryo vor uns?) und die anthropologisch-ethische Ebene (Wie muß/darf man an einem Menschen handeln, wie sind die einzelnen Techniken ethisch zu beurteilen?).

Die Autorin will dem Leser einen nachvollziehbaren Denk- und Forschungsweg vorlegen, der ihn erkennen läßt, daß der Mensch von der Zeugung an voll und ganz Mensch ist, auch oder gerade weil mit der modernen Biologie die Frage nach dem Beginn des Menschen neu gestellt wurde. Es bedarf eben, wie Max Thürkauf einmal betont hat, des geschulten Auges des Fachmanns, um den Embryo in seiner Frühphase als Mensch zu erkennen.

Eindrucksvoll belegt der Kapitelteil mit der Überschrift “Ein Lebewesen entwickelt sich" in detaillierten Schritten die Formung des Lebewesens Mensch. Dabei wird deutlich, daß der “frühe Keim" “ab der Befruchtung als ein Lebewesen bzw. ein Organismus der Art Mensch zu verstehen ist" (S.33), was nichts anderes heißt als: ein Mensch wird nicht Mensch, sondern ist Mensch von Anfang an.

Die Sichtweise des Biologen ist notwendig, jedoch nicht hinreichend. Von entscheidender Bedeutung ist die Frage, was den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet, was ihn als Mensch erkennen läßt, vor allem welche Würde ihm gegeben ist.

Adrienne Weigl hat dem Thema Menschenwürde ein breites Feld eingeräumt. Die Titel “Menschsein und Menschenwürde" sowie “Einspruch um der Würde willen" behandeln im Hinblick auf den Beginn des menschlichen Lebens kompetent und ausführlich das, was im Grundgesetz jedes zivilisierten Landes verankert ist: Die Würde des Menschen ist unantastbar.

“Die Anmerkungen zu einigen rechtlichen Fragen" beenden diese Studie, die auch ein Gegner dieser Betrachtungen “gelesen haben muß, wenn er erwartet, daß man seinen Beitrag ernst nimmt" (Robert Spaemann in seinem Vorwort).

Daß sich die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen als Fehlschlag erwiesen hat, dürfte nach den bekannt gewordenen Erfolgen mit adulten Stammzellen jedem einsichtig geworden sein. Selbst Ian Wilmut, der Schöpfer des Klon-Schafs Dolly, hat sich von dieser Embryonen verbrauchenden Wissenschaft distanziert. Daher stellt sich die Frage, was Verantwortungsträger veranlaßt, an einer Forschung festzuhalten, die sowohl ethisch als auch wissenschaftlich nicht zu verantworten ist?

Wie kaum ein Thema zuvor hat die Auseinandersetzung um das werdende humane Leben die Kluft von Wissenschaft und Glauben offen gelegt. “Der Glaube an Gott wurde durch den Glauben an die Wissenschaft verdrängt - um der Macht des Machens willen" (Max Thürkauf). Ohne die Kraft des Glaubens an den Gott des Lebens, an Seinen Tod und Seine Auferstehung wird der Mensch an die ehrgeizigen Pläne der Wissenschaftler und Politiker preisgegeben.

In einer Zeit, in der menschliches Leben zur Disposition gestellt wird, trägt die Studie von Adrienne Weigl zu einer Anthropologie bei, die - wissenschaftlich gestützt - das Leben achtet, es verteidigt und schützt, weil wir, wie der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen in seinem Brief an die Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnt, sonst viel zu verlieren haben.

Der preisgegebene Mensch - Überlegungen zum biotechnischen Umgang mit menschlichen Embryonen (Mit einem Vorwort von Robert Spaemann). Von Adrienne Weigl. Resch-Verlag, 2007

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