Was er sich für die Welt wünsche, sei Johannes Paul II., damals schon ein alter Mann, gefragt worden. Seine Antwort: “Barmherzigkeit" - ein Wort, das in Predigten und kirchlichen Dokumenten zwar immer wieder anklingt, aber gar nicht so leicht zu definieren ist. Wer den Gehalt dieses zentralen Begriffs der christlichen Offenbarung tiefer erfassen will, dem sei das Buch “Sieben Gesichter der Barmherzigkeit" wärmstens empfohlen.
Den regelmäßigen Lesern von VISION 2000 wird diese Empfehlung sofort einleuchten, wenn ich erwähne, daß der Autor des Texts Urs Keusch ist. Er führt den Leser, begleitet von Bildern des Koautors Michael Blum in sieben Schritten in dieses Wesensmerkmal Gottes ein. Mir gefällt die Definition der Barmherzigkeit, die Pfarrer Geri Keller gegeben hat und die Urs Keusch zitiert: “Barmherzigkeit ist die absolut grundlose Liebe, die das liebt, was nicht liebenswert ist." Ja, lieben, was nicht liebenswert ist. Das ist es also. Und wie tröstlich, daß uns Gott so liebt.
Diese Grundbotschaft der Heiligen Schrift - und zwar von ihrem Anfang an - zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch, belegt durch eine Unzahl von Schriftstellen und eingebettet in die bekannt tiefgehenden Betrachtungen des Autors. Er selbst kann Zeugnis davon geben, wie tiefgreifend die Erfahrung von Gottes barmherziger Liebe sein eigenes Leben verändert hat: aus der Trostlosigkeit des Nihilismus und Existentialismus seines früheren Berufslebens führte sie ihn zum Priestertum, zur geistlichen Begleitung vieler, die nach Liebe hungern.
Sieben Kapitel sind es, wie gesagt, die Gottes Barmherzigkeit beleuchten. Jedes wird durch eine Schriftstelle und eine Passage aus einer Enzyklika Johannes Paul II. (meist “Dives in misericordia") und einem Bild (einer modernen Interpretation des bekannten Bildes vom Barmherzigen Jesus) eingeleitet. Es folgt eine Betrachtung von Pfarrer Keusch, die stets mit einem Gebet abgeschlossen und abgerundet wird. So etwa das 5. Kapitel:
“Jesus, du guter Hirte! Als du unsere Wege gingst, um die verlorenen Schafe zu suchen und zu sammeln, da waren es Frauen, die für deinen Lebensunterhalt umsichtig und liebend gesorgt haben.
Auf dem Kreuzweg haben sie dich begleitet und im Schmerz der Liebe um dich geweint. (...)
Schenk, du König der Liebe, deiner leidenden Welt viele liebende Frauen und mütterliche Menschen, damit in den Familien, in den Schulen, in den Krankenhäusern überall, wo Menschen leben, lieben und leiden, das mütterliche Angesicht deines erbarmenden Vaters aufleuchtet..."
Ein Wort zu den Bildern: Ehrlich gesagt habe ich mir mit ihnen schwergetan. Sie sprechen eine Sprache, die sich mir nicht leicht erschließt. Aber eines habe ich gemerkt: Je öfter ich sie betrachte umso mehr freunde ich mich mit ihnen an.
Besonders berührend das 2. Gesicht der Barmherzigkeit: “Jesus im Wunder der Vergebung und des Neuanfangs", eine eindringliche Einladung, die in jedem Mitmenschen verborgene Schönheit zu entdecken. Wo das gelingt, öffnet sich der Weg zur gegenseitigen Vergebung, zu der uns Jesus so eindringlich ermahnt, weil sie eine wahrhaft lebenspendende Erfahrung ist, die uns der barmherzige Vater gerade in diesen 40 Tagen der Buße anbietet.
Christof Gaspari
Sieben Gesichter der Barmherzigkeit. Von Urs Keusch & Michael Blum. Patris Verlag 52 Seiten, 7 farb. Abb., 1 farb. Foto, 12,80 Euro