VISION 20001/2008
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Unsere Hoffnung ist der Herr

Artikel drucken Ãœber das Denken heute, das sich ganz im Diesseits eingeigelt hat (Von Christof Gaspari)

Hoffnung - ein so häufig gebrauchtes, attraktives, lebensspendendes, aber auch oft fehlgedeutetes Wort. Der Papst hat es uns in “Spe Salvi" neu ausgelegt. Im folgenden ein Versuch, es in unseren Alltag zu übertragen.

Zum Jahreswechsel wird Ausschau gehalten. Was kommt auf uns zu? Rosige Perspektiven? Trotz Jahrzehnten erfolgreichen Wirtschaftsaufschwungs leben wir keineswegs in der ersehnten Glückseligkeit, die uns in den sechziger Jahren als Folge des Wirtschaftswachstums - er würde alle unsere Wünsche erfüllen - vor Augen geführt wurde. Wir sind als Volk weitaus reicher, als wir uns je erträumen ließen: Zweitauto, Zweitwohnung, -zig FS-Programme, Urlaub auf Madeira, Computertomographie für jedermann, Erdbeeren zu jeder Jahreszeit, akademische Grade wie am Fließband, Wien-Berlin um 29 Euro, und, und, und...

Und dennoch will die Freude nicht so recht aufkommen: Klimakollaps, steigende Kriminalitätszahlen, das Kilo Brot um 4,60 (sprich 63,30 Schilling), der internationale Terrorismus, die Zukunft der Pensionen, die Pleite des Gesundheitssystems, das schmelzende Eis am Nordpol - alles Gründe, sich Sorgen zu machen. Wieviele ungelöste Probleme nach Jahrzehnten “erfolgreicher", zukunftsorientierter Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik.

Pessimisten malen dementsprechend die Zukunft in düstersten Farben.

Dem halten die Optimisten entgegen: Was soll's - Probleme sind dazu da, gelöst zu werden. Wir haben es bisher geschafft, wir werden es weiterhin schaffen. Es geht aufwärts. Die Evolution ist ein Naturgesetz. Klar, die Medien suhlen sich in den Negativmeldungen. Das gibt reißerische Schlagzeilen her. Aber: Wir schaffen es!

Die Sichtweise: Wenn's rundherum gut geht, dann geht es uns allen gut. Stimmt und stimmt nicht. Warum sind sonst heute soviele unglücklich: die alleingelassenen Alten, die Kinder in den Kinderkrippen und die Schüler in den Horten, sowie jene, die niemand erwartet, wenn sie heimkommen, die Partner zerbrochener Beziehungen, die Mütter abgetriebener Kinder?

Es ist Zeit zu erkennen, daß wir das Heil, das Paradies auf Erden nicht schaffen können. Daran erinnert uns auch die Enzyklika. Die Verheißungen der Neuzeit, verwirklicht in der französischen Revolution, im Kommunismus, im Nationalsozialismus haben sich nicht erfüllt. Im Gegenteil, sie waren Quellen unsagbaren Leids, millionenfachen Todes. Und genauso wenig werden sich die Verheißungen des Neoliberalismus erfüllen. Sie werden schon jetzt mit blutigen Kämpfen um Rohstoffquellen, mit dem Leid und dem Tod von Millionen ausgebeuteten Menschen weltweit, mit der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich erkauft - und sie werden umso mehr Opfer fordern, je näher das unausbleibliche Scheitern der Ideologie rückt. Ein hoffnungsloses Szenario? Keineswegs. Denn unsere Hoffnung hängt letztlich nicht an den äußeren Umständen - so sehr sie unsere Befindlichkeit auch beeinflußen - unsere Hoffnung ist der Herr. Wir setzen auf das Wirken des allmächtigen Gottes. Konkret. Heute. Hier. In jeder Lebenslage. Auch wenn wir es nicht spüren.

Zugegeben: Es sind sicher nicht viele, die so fest in der Hoffnung verankert sind. Daher ist wohl der erste, wichtigste Schritt: sich diese Hoffnung zunächst selbst zu eigen zu machen - um sie dann in eine in sich verschlossene Welt zu tragen. Unser gesellschaftliches Umfeld, die meisten unserer Arbeitskollegen, Freunde, Bekannten - ja wir selber sind geprägt von dem Streben, Erfüllung rastlos in diesseitigen Glückserfahrungen zu suchen. Und sofern diese heute enttäuscht werden, versprechen Politik, Werbung und Wissenschaft seligmachende Wirkung für morgen: wenn die Entwicklung embryonaler Stammzellen menschliche Organe erneuern, wenn neue Energiequellen erschlossen, neue Materialien entwickelt, die Erreger von Krebs gefunden sein werden...

Alles Sinnhafte zielt nur auf das Schaffen besserer Lebensbedingungen: mehr Bildung, mehr materiellen Wohlstand, mehr äußere Sicherheit, ein längeres Leben und das möglichst ohne Leiden... Diese Sichtweise hat sich auch auf die kirchliche Verkündigung ausgewirkt. Diese spricht nicht - oder kaum - von dem, “was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was keinem Menschen in den Sinn gekommen ist: das Große, das Gott denen bereitet hat, die ihn lieben." (1Kor 2,9) Wann haben Sie, liebe Leser, das letzte Mal eine Predigt gehört über das wunderbare Leben mit Gott, das uns einmal erwartet? Oder über die große Gefahr, daß wir dieses Glück verspielen?

Müssen wir uns nicht zuerst selbst fragen: Haben wir Heilsperspektiven jenseits des Todes? Oder geht es uns Christen nicht auch so, daß wir nur an die Möglichkeiten denken, die unser Dasein vor dem Tod betreffen, wenn von der Zukunft die Rede ist? Haben wir uns nicht unbemerkt den religionskritischen Vorwürfen gefügt, die da meinten: Wer vom Jenseits spricht, der betreibe Jenseitsvertröstung und Weltflucht, er sei unfähig, sich den Problemen im Hier und Jetzt zu stellen.

Und nun kommt Papst Benedikt und sagt uns: Wer das Hier und Jetzt heilsam gestalten will, der muß mit dem gnadenhaften Wirken Gottes rechnen und diesem Rechnung tragen. Bei der Hoffnung geht es nicht primär um ersehnte, lebensfreundliche künftige Zustände - so sehr die Sehnsucht nach diesen berechtigt sein mag -, sondern um das Vertrauen auf die Zusagen Gottes. Christen wissen, daß der allmächtige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist unablässig und mächtig am Werk sind. Jenseits menschlicher Möglichkeiten und ohne Beeinträchtigung unserer Freiheit wirkt der Herr das Heil in der Geschichte und in unserem Leben.

Er ist Gott mit uns. Und darauf setzen wir unsere ganze Existenz. Das ist unsere Hoffnung. Sie ist kein Trostpflaster für im Leben Gescheiterte, sondern der einzige Weg, Halt zu finden - in guten und schlechten Tagen.

Ich möchte heute wiederholen, was ich zu diesem Thema vor fünf Jahren geschrieben habe: “Der Christ muß nicht die Augen verschließen vor Zukunftsperspektiven, die dazu angetan sind, lähmende Angst einzuflößen. Hoffnung zu geben, bedeutet also keineswegs, Menschen in Scheinsicherheit zu wiegen, ihnen eine Scheinhoffung, die zu Enttäuschungen führen muß, vorzugaukeln. Die christliche Hoffnung ist realistisch bis zum Exzeß. Sie sieht das Übel, benennt dessen Quelle, den Satan, aber sie weiß auch um die Allmacht dessen, der jenseits der Bosheit unbeirrt das Heil wirkt - und dieses jedem Menschen immer wieder anbietet."

Hoffnung? Die Herausforderung besteht darin, daß wir selbst Menschen der Hoffnung werden. Daß wir uns für das Wirken dessen öffnen, der allein Quelle der Hoffnung ist. Daß wir Hoffnung ausstrahlen, damit die anderen nach der Quelle unserer Hoffnung fragen.

Es geht dabei nicht um ein Perfektionierungsprogramm. Vielmehr um ein Leben aus Jesus Christus. Denn unsere Hoffnung ist keine Fata Morgana. Sie hat ein Gesicht: das Antlitz Jesu Christi.

Wer sich für Ihn, dessen Geburt wir eben gefeiert haben, öffnet, in dem wächst auch die wahre Hoffnung, langsam, oft mit Rückschlägen, aber kontinuierlich, wenn er am Ball bleibt. Daher spricht der Papst auch von den Lern- und Übungsorten der Hoffnung: dem Gebet, dem Umgang mit dem Leiden, dem Tun, dem Ausstrecken nach dem Kommen Christi, dem Gericht als Lern- und Übungsort der Hoffnung.

Maranata, war der sehnsüchtige Ruf der jungen Kirche - Komm bald, Herr Jesus! Sind wir nicht von dieser Erwartung heute weiter entfernt denn je? Daß der Herr kommt - ist das eine Perspektive, die uns beflügelt? Es ist Zeit, daß wir uns dieser Frage stellen, daß wir uns von dieser Perspektive begeistern lassen.

Ja, es ist eine begeisternde Perspektive: Wir alle werden erleben, daß all das Unrecht, das Elend, die Benachteiligungen, die Vergewaltigungen, die Lieblosigkeiten, die Gewalttaten, Mißbräuche, usw... nicht unter den Tisch gekehrt, sondern offenbar und einem gerechten Urteil zugeführt werden - und zwar vor dem, der alles bis ins kleinste Detail durchschaut. Er wird die Übeltäter - und wer zählt nicht zu ihnen? - mit ihrer Schuld konfrontieren und in Seiner grenzenlosen Barmherzigkeit den Weg der heilsamen Läuterung weisen - vorausgesetzt, sie lassen sich auf dieses Angebot ein.

Dann wird Gott “alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangenen." Und Gott wird halten, was Er verspricht: “Seht ich mache alles neu." (Offb 21,4f)


Das Wunder der Hoffnung

 

Aber die Hoffnung, sagt Gott, das verwundert mich wirklich.

Mich selber.

Das ist wirklich erstaunlich.

Daß diese armen Kinder sehen, wie das alles geschieht,

und daß sie glauben, morgen ginge es besser.

Daß sie sehen, wie das alles heute geschieht, und daß sie glauben, morgen früh ginge es besser.

Das ist verwunderlich, und das ist entschieden das größte Wunder unserer Gnade.

So daß es mich selber verwundert.

In der Tat muß meine Gnade doch eine unglaubliche Stärke besitzen.

Und einer unerschöpflichen Quelle entfließen, breit wie ein Strom.

Seitdem sie zum erstenmal strömte, und seit sie von Ewigkeit strömt.

Charles Péguy

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