Herz-, Leber- oder Lungentransplantationen sind fast schon Routineoperationen. Nur mangelt es meist an Spenderorganen. Der Druck, deren Zahl zu erhöhen, wächst. Daher auch die Bemühungen, die Kriterien der Todesfeststellung zu verändern (siehe S. 31). Dabei ist schon die derzeit gültige Hirntod-Definition abzulehnen, wie der folgende Beitrag zeigt.
Die großen Fortschritte der Transplantationsmedizin haben es möglich gemacht, menschliches Leben durch die Transplantation von Organen eines anderen Menschen zu retten. Diese Möglichkeit hat weltweit einen enormen Bedarf nach übertragbaren Organen entstehen lassen. Lange Wartelisten auf Organe existieren. Dies hat zu einem starken Druck in Richtung der Erleichterung der Beschaffung solcher Organe erzeugt.
David Hill von der Universität Cambridge hat beim Kongreß „Die Zeichen des Todes“ an der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften am 3. und 4. Februar 2005 an das medizinische Problem erinnert, daß Organe eines wirklich schon gestorbenen Menschen für die Übertragung weitgehend nicht mehr brauchbar sind.
Es mußte also ein Weg gefunden werden, die Organe vor dem wirklichen Tod entnehmen zu können. Das „Hirntodkriterium“ bot sich als Lösung dieses Problems an. So hat im Jahre 1968 ein ad hoc Komitee der Harvard Medical School eine neue Definition des Todes eingeführt, das so genannte „Hirntodkriterium“. Dieses hatte, wie aus dem Text der Stellungnahme am Ende des Kongresses klar wird, nicht den Zweck, den objektiven Zeitpunkt des Todes eines Menschen festzustellen, sondern ausschließlich den Zweck, die Entnahme vitaler Organe eines Sterbenden zu ermöglichen, solange sie noch für die Transplantation brauchbar sind.
Ich habe mich mit dem Hirntod-Problem in meinem Buch Ins Herz geschrieben. Das Naturrecht als Fundament einer menschlichen Gesellschaft (Sankt Ulrich Verlag, 2010) befaßt und auch auf die inzwischen zahlreichen Fälle hingewiesen, in denen Personen, bei denen nach der „Diagnose“ Hirntod die Organe nicht entnommen werden konnten, bei entsprechender Behandlung wieder gesund geworden sind.
Papst Johannes Paul II. hatte bereits am 14. Dezember 1989 in einer Stellungnahme für einen von der „Päpstlichen Akademie der Wissenschaften“ veranstalteten Kongreß über die Bestimmung des Todeszeitpunktes erklärt: „Es scheint sich tatsächlich ein tragisches Dilemma aufzutun: Einerseits sieht man die dringende Notwendigkeit, Ersatzorgane für Kranke zu finden, die in ihrer Schwäche sterben würden oder zumindest nicht wieder genesen können. Mit anderen Worten, es ist verständlich, daß ein Kranker, um dem sicheren oder drohenden Tod zu entgehen, das Bedürfnis hat, ein Organ zu empfangen, welches von einem anderen Kranken bereitgestellt werden könnte … In dieser Situation zeigt sich jedoch die Gefahr, daß man einem menschlichen Leben ein Ende setzt und endgültig die psychosomatische Einheit einer Person zerstört. Genauer, es besteht eine wirkliche Wahrscheinlichkeit, daß jenes Leben, dessen Fortsetzung mit der Entnahme eines lebenswichtigen Organs unmöglich gemacht wird, das einer lebendigen Person ist, während doch der dem menschlichen Leben geschuldete Respekt es absolut verbietet, dieses direkt und positiv zu opfern, auch wenn dies zum Vorteil eines anderen Menschen wäre, bei dem man es für berechtigt hält, ihn derart zu bevorzugen.“
Inzwischen ist diese „wirkliche Wahrscheinlichkeit“ durch dokumentierte Fälle erwiesen, in denen nach der „Hirntoddiagnose“ den für tot Erklärten die Organe nicht entnommen werden konnten und sie überlebt haben und wieder gesund geworden sind, darunter junge Menschen, die noch das ganze Leben vor sich hatten. Ein besonders dramatisches Beispiel ist das des Priesters Don Vittorio vom „Institut Christus König und Hoher Priester“.
Nach einem schweren Autounfall wurde er für hirntot erklärt. Der Generalobere des Instituts protestierte jedoch gegen die Organentnahme und verlangte die Verlegung in ein anderes Krankenhaus. Durch die dort erfolgte Pflege kam er wieder zum Bewußtsein und wurde so weit geheilt, daß er seinem priesterlichen Dienst wieder nachgehen kann, zunächst noch an den Rollstuhl gebunden, inzwischen jedoch auch davon befreit. Niemand wird bestreiten können, daß er durch die vorgesehene und bereits vorbereitete Organentnahme getötet worden wäre.
Ein 1995 vom Bayrischen Rundfunk ausgestrahlter Fernsehfilm hat sich eingehend mit dem Problem des Hirntods auseinandergesetzt. In diesem Film wurde unter anderem der Fall von Jan Kerkhoffs berichtet, bei dem nach einem Autounfall Hirntod diagnostiziert wurde. Seine Frau wurde gebeten, die Organentnahme zu erlauben. Aufgrund der Tatsache, daß Herzfunktion, Blutdruck und alle anderen Lebensfunktionen normal waren, war sie aber der Überzeugung, daß ihr Mann lebt. Daher gab sie nicht die Zustimmung zur Organentnahme. Und tatsächlich erwachte der Mann wieder aus der Bewußtlosigkeit, wurde geheilt und lebt wieder gesund. Er konnte im Fernsehfilm gemeinsam mit seiner Frau über die Vorgänge um die Hirntoderklärung berichten.
Dieser Film hatte dann jedoch, wie mir berichtet wurde, für die Redakteurin die Folge, daß ihr die Wiederholung solcher Sendungen von der Leitung untersagt wurde. Man darf solche für die Transplantationsmedizin unangenehme Tatsachen nicht über das Fernsehen bekannt machen.
Mir sind andere Beispiele bekannt, in denen zwei Jugendliche nach Motorradunfällen mit Schädel-Hirn-Traumata bei unterschiedlicher Reaktion der behandelnden Ärzte unterschiedliche Schicksale hatten. Den einen hat der im betreffenden Krankenhaus arbeitende Transplantationsbeauftragte sofort mit dem Hubschrauber in das Allgemeine Krankenhaus (AKH) in Wien transportieren lassen, wo ihm die Organe entnommen wurden.
Beim anderen Patienten – sein Unfall geschah kurz vor dessen Matura im Sommer – konnte der behandelnde Arzt im Krankenhaus den Abtransport verhindern. Der junge Mann wurde in der Intensivstation behandelt und gerettet. Im Herbst konnte er die Matura nachholen. Wäre auch er ins AKH geflogen worden, wie es der Transplantationsbeauftragte eigentlich wollte – er hatte den Hubschrauber schon bestellt –, hätte es die Matura nicht gegeben, sondern eine Beerdigung.
Der brasilianische Arzt Cicero G. Coimbra hat nachgewiesen, daß gerade bei Kindern und Jugendlichen bestimmte Behandlungsmethoden bei Schädel-Hirn-Traumata die Rettung bewirken können, daß aber gerade bei diesen das Interesse an den wertvollen Organen so überwiegt, daß die Rettung meist gar nicht erst versucht wird.
Ein zweiter Punkt ist, daß inzwischen die Erfinder des „Hirntods“, Prof. Truog und Prof. Franklin Miller (siehe Hastings Center Report 38, Nr. 6, 2008) selbst erklärt haben, daß man die „dead donor rule“ aufgeben müsse. Sie geben zu, daß die Praxis des „Hirntods“ faktisch das Töten des Spenders bedeutet („in fact involves killing the donor“). Aber man müsse dieses Töten des Organspenders als ein gerechtfertigtes Töten („justified killing“) ansehen. Sie bestätigen damit das, was das Ergebnis des Kongresses von 2005 war und was Papst Johannes Paul II. mit Schreiben vom 1. Februar 2005 an die Päpstliche Akademie der Wissenschaften geklärt wissen wollte. Der Kongreß wurde gebeten, die Zeichen des Todes („The Signs of Death“) neu zu prüfen. Dies war im damals kurz vor dem Tod des Papstes herrschenden Meinungsklima zweifellos eine Großtat.
Als klar wurde, zu welchem Ergebnis der Kongreß gekommen war, versuchte die „Päpstliche Akademie der Wissenschaften“ zunächst den Beschluß des Schlußdokuments zu verhindern. Dieses wurde aber dennoch beschlossen und von 15 der anwesenden 25 Teilnehmer eigenhändig unterschrieben. Zehn Teilnehmer haben nicht unterschrieben, aber 15 zu 10 war doch eine große Mehrheit. Wie sich herausstellte, ließen sich auch ursprüngliche Befürworter des „Hirntods“ von den vorgebrachten Argumenten überzeugen, wodurch diese große Mehrheit zustande kam.
Das im Dokument festgehaltene und wohlbegründete Ergebnis, daß der „Hirntod“ nicht den Tod des Menschen bedeutet, war für die „Päpstliche Akademie der Wissenschaften“ so unerwünscht, daß deren Kanzler, Bischof Marcélo Sánchez Sorondo, die Publikation des Schlußdokuments untersagte. Das zeigt eine völlig unbegreifliche Parteinahme für die menschenmörderische „Hirntodpraxis“. Sie wurde jedoch damals leider auch von der Päpstlichen Akademie für das Leben geteilt.
Kann es aber ein „gerechtfertigtes Töten“ eines unschuldigen Menschen geben? Die Lehre der Kirche ist in diesem Punkt einhellig und klar. Was es jedoch leider bisher nicht gibt, ist eine Klarstellung seitens des kirchlichen Lehramtes, worum es bei der Hirntodpraxis geht. Solange das kirchliche Lehramt dazu nicht klar gesprochen hat, halten sich selbst hohe kirchliche Würdenträger, wie auch katholische Krankenhäuser, für berechtigt, das „justified killing“ zu vertreten. Diese Tatsachen sind für mich ein tiefer Schmerz.
Der Autor ist emer. Professor für Röm. Recht in Salzburg und Mitglied der „Päpstlichen Akademie für das Leben“.