VISION 20001/2008
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Der Mönch und der Mörder

Artikel drucken Ein Benediktinerbruder ringt um die Bekehrung eines Häftlings in der Todeszelle (Von Christof Gaspari)

Wie mächtig das Gebet, wie wichtig der Einsatz für den Mitmenschen und wie kostbar jeder einzelne ist, wird in der folgenden Geschichte offenbar.

Oklahoma, Clear Creek Monastery, Kloster eines beschaulichen Männerordens: Laienbruder Vianney-Marie Graham betet dort seit langem für Männer in der Todeszelle, “die einsamsten aller Verlassenen". Im Jahr 2001 bittet der Mönch um die Erlaubnis, einigen Todeskandidaten zu schreiben. Sie sollen wissen, daß “Gottes Barmherzigkeit für sie offensteht, egal, was sie verbrochen haben." Er hatte sich drei der ärgsten Verbrecher ausgesucht. Einer davon, James Malicoat, hatte seine 13 Monate alte Tochter zu Tode geprügelt. Zwei Wochen hatte ihr Martyrium gedauert.

Seinen ersten Brief schickt der Laienbruder dem Häftling am 15. August, Maria Himmelfahrt. Lange keine Antwort. Sie erreicht ihn mit Datum 1. Oktober, dem Fest der kleinen heiligen Thérèse - was bedeutsam für den weiteren Verlauf der Beziehung ist. War es doch die Heilige aus Lisieux, die erleben durfte, daß der reulose Mörder Henri Pranzini dank ihres aufopfernden Gebets in letzter Minute am Schafott nach einem Kruzifix verlangte, um die Wunden Christi dreimal zu küssen. So wird Thérèse zur Fürsprecherin für die Bekehrung auch von Malicoat.

Von nun an schreibt Bruder Vianney-Marie seinen drei Todeskandidaten monatlich einen Brief, zwei Jahre lang. Sie sind wie Pfeile, die ins Dunkle abgeschossen werden, Ermutigungen, nicht zu verzweifeln, auf Gott zu setzen, Ihn und die Opfer um Verzeihung zu bitten.

In einem beschaulichen Orden verläßt der Mönch das Kloster so gut wie nie. 2003 aber bittet er um die Erlaubnis, seine Schützlinge einmal im Jahr besuchen zu dürfen. Am 17. September kommt es so zur ersten Begegnung mit Malicoat. Ein Gespräch, in dem er telephonisch mit dem Häftling, den er hinter einem dicken Sicherheitsglas sieht, verbunden ist.

Über das Verbrechen will Malicoat nicht sprechen. Der Mönch soll nicht belastet werden mit der gräßlichen Geschichte. Schließlich gelingt es Bruder Vianney-Marie aber doch, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen. Zum ersten Mal seit Jahren kann sich der Gefangene die Last seiner Schuld von der Seele reden. Der Mönch erkennt, welche Erleichterung das für sein Gegenüber bedeutet. In den fünf Jahren seines Aufenthaltes in der Todeszelle hatte er mit niemandem über den Horror gesprochen. Warum er seine Tochter Tessa umgebracht hat, weiß er eigentlich nicht. Er selbst war als Kind geprügelt worden, hatte seinen Vater nicht gekannt, seine Frau verlassen und mit der Mutter von Tessa gelebt. Sie hatte das Verbrechen geschehen lassen.

Und dann stellt der Mönch eine Frage, die den Verbrecher voll ins Herz trifft. Es wird das einzige Mal sein, daß er an Malicoat eine Gefühlsbewegung erlebt: “Sprichst Du mit Tessa?" Und als dieser bejaht: “Was sagst Du da? - Tessa, vergib mir, bitte?"

Glaubensfragen will der Häftling nicht ansprechen, wohl aber über seine Sorgen, seine Familie reden, vor allem über die Mutter. Sie leidet ja so lange schon an der Unsicherheit seines Schicksals.

In den folgenden Jahren versucht Bruder Vianney-Marie, mit Briefen und Besuchen das Vertrauen des Häftlings mehr und mehr zu gewinnen - vor allem aber betet er. Am 26. Juni 2006 teilt ihm Malicoat den Termin seiner Hinrichtung mit: der 22. August. Das sei ok. Denn: “Ich habe Sachen gemacht, auf die ich keineswegs stolz bin. Das werde ich vor Gott zu bringen haben."

Auf so eine Feststellung hatte der Bruder gewartet - und so teilt er dem Todeskandidaten jetzt mit, daß er ihn der Fürsprache von vier Personen anvertraue: der Gottesmutter, um ein gutes Sterben, der heiligen Thérèse, der heiligen Maria Goretti - sie hatte sterbend ihrem Mörder (der sich später bekehrte) vergeben - und einer unbekannten Märtyrerin, der heiligen Bonosa, einem Kind aus der Katakombenzeit.

Mit dieser hatte es folgende Bewandtnis: Ihre Gebeine wurden 1848 gefunden und der französischen Abtei Fontgombault anvertraut. Die kirchenfeindliche Politik Frankreichs führte jedoch zur Auflösung des Klosters, dessen Mönche die Reliquien der Märtyrerin in die USA in Sicherheit brachten, in ein Kloster in Idaho. Am 30. August sollten diese Reliquien nun nach Clear Creek überstellt werden.

Die Exekution rückt näher. Am 20. Juli erfährt der Bruder, daß der Gefängnisseelsorger der Hinrichtung nicht werde bewohnen können. Er soll für einen Beistand sorgen. Das eröffnet ihm neue Möglichkeiten: In einem langen Brief an Malicoat teilt er diesem nun mit, daß er für einen Priester sorgen werde. Gleichzeitig versucht er - jetzt im Klartext -, Malicoat den Weg zum Glauben zu eröffnen, er erklärt ihm, wie er beten, um die Gottes Barmherzigkeit und alle um Vergebung bitten sollte. Er klärt ihn auf, was die Beichte sei: daß der Priester die Vollmacht habe, Sünden zu vergeben. Malicoat könnte den Glauben der Kirche bekennen und dann beichten.

Weiters tritt der Mönch an Father Kirk Larkin, der vor seiner Weihe Dienst in einem Gefängnis gemacht hatte, heran: Ob er Malicoat diesen letzten Dienst leisten könne. Nach anfänglicher Ablehnung erklärt sich dieser doch bereit und schließt sich dem Kampf des Mönchs um die Seele des Verbrechers an.

Nachdem man die Exekution ein letztes Mal verschoben hatte, treffen der Bruder und der Priester am 31. August im Gefängnis ein. Um 10 Uhr 45 kommt es zur letzten Begegnung zwischen Priester, Mönch und dem Todeskandidaten. Eine Stunde räumt man ihnen ein. Bruder Vianney-Marie hatte seinen Schützling nie in einem schlechteren Zustand angetroffen: aufgelöst, von Angst zerquält, übernächtig.

Er stellt dem Delinquenten den Priester vor und überläßt diesem nun das weitere Geschehen, um sich selbst ganz ins Gebet zu vertiefen, die schwere Last des Ringens mitzutragen, erklärt doch der Todeskandidat, er wolle nicht beichten, er könne nicht noch jemanden mit seiner schrecklichen Geschichte belasten.

Der Priester läßt sich jedoch nicht beirren. Punkt für Punkt geht er mit seinem Gegenüber das Glaubensbekenntnis durch, fragte Malicoat jedesmal, ob er dem zustimmen könne - ja. Bruder Vianney-Marie hält es nicht mehr auf seinem Sitz im Hintergrund des Besucherzimmers, er muß auf und ab gehen - und plötzlich sieht er, wie der Priester die Hand zum Kreuzzeichen hebt. Der Mörder hatte seine Schuld vor Gott getragen und bereut! Ein unsagbares Glücksgefühl überkommt den Bruder. Gottes Gnade war im letzten Moment angenommen worden!

Nun heißt es aber, Abschied zu nehmen. Bruder Vianney-Marie spricht ein letztes Mal mit Malicoat, spürt, welche Last von dessen Schultern genommen worden ist. “Wir sind jetzt Brüder," sagt er ihm. “Bist Du jetzt bereit zu gehen?" “Ja," gibt der Todeskandidat ruhig und gefaßt, endlich wirklich im Frieden zur Antwort. Die beiden verbindet nun eine tiefe Freundschaft. Mönch und Priester begleiteten den Freund zur Hinrichtung, der sich James Malicoat tapfer stellt.

Wie mächtig die Kraft des Gebets ist, wird deutlich, wenn man den Hintergrund des Geschehens ausleuchtet: Nicht nur Bruder Vianney-Marie hatte für die Todeskandidaten gebetet, sondern die ganze Mönchsgemeinschaft und die mit der Abtei verbundenen Laien. Außerdem stellte sich heraus, daß die Überführung der Reliquien der hl. Bonosa, ihr feierlicher Einzug in Clear Creek mit Lobpreis und Gebeten um die Umkehr des Häftlings - auch auf den 31. August verschoben - genau zu dem Zeitpunkt stattfand, als Priester und Mönch mit Malicoat zusammenkamen.

Wie gottgelenkt das Geschehen war, wurde endgültig offenbar, als man erfuhr, daß Pranzini, der Mörder, für den die kleine Thérèse so inbrünstig gebetet hatte, ebenfalls am 31. August hingerichtet worden war.

CG

Nacherzählung von “The Monk and the Murderer" in “The Catholic World Report" (Juli 2007).

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