“Erzählt den Menschen von Jesus Christus!": Kern der Botschaft eines neuen Dokuments der Glaubenskongregation. Es ruft in Erinnerung, welchen Schatz unser Glaube darstellt.
Das Wort Evangelisierung hat eine überaus reichhaltige Bedeutung. In einem weiteren Sinn faßt es die gesamte Sendung der Kirche zusammen: Ihr ganzes Leben besteht ja in der Verwirklichung der traditio Evangelii, der Verkündigung und Weitergabe des Evangeliums, das “eine Kraft Gottes [ist], die jeden rettet, der glaubt" (Röm 1,16), und letztlich mit Jesus Christus identisch ist (vgl. 1 Kor 1,24). Deshalb richtet sich die so verstandene Evangelisierung an die ganze Menschheit.
Evangelisieren bedeutet in jedem Fall nicht nur eine Lehre unterrichten, sondern den Herrn Jesus in Wort und Tat verkünden, also Werkzeug seiner Gegenwart und Wirksamkeit in der Welt werden. “Jeder Mensch hat das Recht, von der Frohbotschaft Gottes zu hören, der sich in Christus offenbart und schenkt; so erst kann der Mensch seine eigene Berufung voll verwirklichen".
Es handelt sich dabei um ein Recht, das der Herr jeder menschlichen Person verliehen hat. Deshalb kann jeder Mann und jede Frau wahrhaft mit dem heiligen Paulus sagen: Jesus Christus hat “mich geliebt und sich für mich hingegeben" (Gal 2,20).
Diesem Recht entspricht die Pflicht zur Evangelisierung: “Wenn ich nämlich das Evangelium verkünde, kann ich mich deswegen nicht rühmen; denn ein Zwang liegt auf mir. Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!" (1 Kor 9,16; vgl. Röm 10,14). So wird deutlich, wie jedes Tun der Kirche eine grundlegende evangelisierende Dimension hat und nie von dem Bemühen getrennt werden darf, allen zu helfen, Christus im Glauben zu begegnen, denn darin besteht das Hauptziel der Evangelisierung: “Das Soziale und das Evangelium sind einfach nicht zu trennen. Wo wir den Menschen nur Kenntnisse bringen, Fertigkeiten, technisches Können und Gerät, bringen wir zu wenig".
Heute herrscht jedoch eine wachsende Verwirrung, die viele dazu verleitet, den Missionsauftrag des Herrn (vgl. Mt 28,19) ungehört und unwirksam zu lassen. Oft meint man, daß jeder Versuch, andere in religiösen Fragen zu überzeugen, die Freiheit einschränke.
Es wäre nur erlaubt, die eigenen Ansichten darzulegen und die Menschen einzuladen, nach ihrem Gewissen zu handeln, ohne ihre Bekehrung zu Christus und zum katholischen Glauben zu fördern: Man sagt, es genüge, den Menschen zu helfen, bessere Menschen oder der eigenen Religion treuer zu sein; es genüge, Gemeinschaften zu bauen, die fähig sind, für Gerechtigkeit, Freiheit, Frieden und Solidarität zu arbeiten.
Darüber hinaus behaupten einige, daß man Christus denen, die ihn nicht kennen, nicht verkünden und deren Zugehörigkeit zur Kirche nicht fördern sollte, weil es möglich sei, auch ohne ausdrückliche Kenntnis Christi und ohne formale Eingliederung in die Kirche gerettet zu werden.(...)
Das Zweite Vatikanische Konzil hat die Pflicht und das Recht jedes Menschen bekräftigt, die Wahrheit im Bereich der Religion zu suchen, und dann hinzugefügt: “Die Wahrheit muß aber auf eine Weise gesucht werden, die der Würde der menschlichen Person und ihrer Sozialnatur eigen ist, das heißt auf dem Weg der freien Forschung, mit Hilfe des Lehramtes oder der Unterweisung, des Gedankenaustauschs und des Dialogs, wodurch die Menschen einander die Wahrheit, die sie gefunden haben oder gefunden zu haben glauben, mitteilen".
In jedem Fall “erhebt die Wahrheit nicht Anspruch als kraft der Wahrheit selbst". Den Verstand und die Freiheit einer Person ehrlich zur Begegnung mit Christus und seinem Evangelium aufzufordern, ist daher ihr gegenüber keine ungebührende Einmischung, sondern ein rechtmäßiges Angebot und ein Dienst, der die Beziehungen zwischen den Menschen fruchtbarer machen kann. (...)
Wenn der Mensch religiös bedeutsame Ereignisse und Wahrheiten anderen mitteilt und ihnen hilft, diese anzunehmen, steht dieses Tun nicht nur ganz im Einklang mit dem Wesen eines humanen Dialog-, Verkündigungs- und Lernprozesses, sondern entspricht auch einer anderen wichtigen anthropologischen Gegebenheit: Dem Menschen ist die Sehnsucht eigen, die anderen an den eigenen Gütern teilhaben zu lassen. Die gläubige Annahme der Frohbotschaft drängt von sich aus dazu, sie anderen mitzuteilen. Die Wahrheit, die das Leben rettet, entflammt das Herz dessen, der sie annimmt, mit einer Liebe zum Nächsten, die seine Freiheit bewegt, das weiterzuschenken, was er selbst umsonst empfangen hat.
Auch wenn die Nichtchristen durch die Gnade, die Gott schenkt “auf Wegen, die er weiß", gerettet werden können, kann die Kirche doch nicht unbeachtet lassen, daß ihnen in dieser Welt ein überaus hohes Gut fehlt: die Erkenntnis des wahren Antlitzes Gottes und die Freundschaft mit Jesus Christus, dem Gott-mit-uns. Denn “es gibt nichts Schöneres, als vom Evangelium, von Christus gefunden zu werden. Es gibt nichts Schöneres, als ihn zu kennen und anderen die Freundschaft mit ihm zu schenken".
(...) An diesen Gütern will die Kirche alle teilhaben lassen, damit sie so die Fülle der Wahrheit und der Mittel des Heils besitzen und “befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes" (Röm 8,21).
William Kardinal Levada
Auszüge aus Lehrmäßige Note zu einigen Aspekten der Evangelisierung der Kongregation für die Glaubenslehre.