Das vorherrschende ökonomische Denken betrachtet alles unter dem Blickwinkel der Nützlichkeit - auch die Tiere. Im folgenden ein Appell, den Umgang mit diesen Geschöpfen Gottes zu überdenken.
Als der Herr sah, “daß auf Erden die Schlechtigkeit der Menschen zunahm und daß alles Sinnen und Trachten seines Herzens nur böse war" (vgl Gen 6, 1-8), gab Er Noach den Auftrag, eine Arche zu bauen. In dieser Arche sollten er und seine Familie bei der großen Flut gerettet werden, doch nicht nur sie, auch die Tiere, die Noach im Auftrag des Herrn in die Arche nehmen sollte.
Gott will uns gleichsam zu verstehen geben: Zum Menschen gehören die Tiere, sie sind seine Mitgeschöpfe. Ohne Tiere ist menschliches Leben und menschliche Kultur auf dieser Erde gar nicht vorstellbar. “Zum Dasein hat Er alles geschaffen, und heilbringend sind die Geschöpfe der Welt." (Weish 1,13-15)
Wie sehr die Tiere Mitgeschöpfe des Menschen sind, wird auch an vielen Heiligen sichtbar, die nicht selten in einem paradiesischen Verhältnis zu den Tieren gelebt haben, allen voran der heilige Franz von Assisi. Auch im Leben des menschgewordenen Gottes sind die Tiere vom ersten Tag an dabei: Ochs, Esel, Schafe, Lämmer, Ziegen, ein Esel auf der Flucht nach Ägypten, wilde Tiere bei Ihm in der Wüste, auf einem Esel zieht Jesus in Jerusalem ein. Vögel begleiten Ihn auf seinen Wanderungen durch Palästina, sie finden sogar ein “Nest" in seiner Bergpredigt: Er stellt sie uns darin als Beispiel vor Augen. “Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?" (Mt 6,26)
Tiere also als Botschafter des Himmels, Vögel, die uns verkünden, daß auch wir Menschen das Singen am frühen Morgen und das Danken am Abend wieder lernen können, wenn wir ihre Botschaft begreifen als ein Morgenlied kindlichen Vertrauens auf den himmlischen Vater! Heil-bringend sind die Vögel am Himmel!
Ja, “heilbringend sind die Geschöpfe der Welt." Das habe ich nicht nur an ungezählten Menschen beobachten und miterleben dürfen - und darf es täglich miterleben -, ich selbst habe in meiner Kindheit und Jugend, ja, in meinem ganzen Leben an diesem unvergleichlichen Geschenk Anteil haben dürfen. Nichts war meinem Vater wichtiger, als daß seine Kinder in der Natur und mit der Natur aufwachsen durften und daß die Liebe und Fürsorge dem Tier gegenüber in uns tiefe Wurzeln schlagen konnte, so nach dem Sprichwort, das ich oft zu hören bekam: “Wer plagt sein Pferd und Rind, hält's schlecht mit Weib und Kind."
Wie wünschte ich es jedem Kind auf Erden, es dürfte Gottes Liebe und Nähe, seinen warmen Atem im täglichen unmittelbaren Umgang mit seinen heilbringenden Geschöpfen erleben, wie es vom Schöpfer in seiner Menschenliebe von Anfang an gedacht war! Wie lieben doch Kinder die Tiere - und die Tiere ihre Nähe!
Als Seelsorger weiß ich, was Tiere für den Menschen bedeuten, vor allem für ältere Menschen, von denen heute viele ohne menschliche Gemeinschaft, ja, isoliert leben müssen. Gott allein weiß es. Wie viele Hündchen, Katzen, Kanarienvögel, Meerschweinchen usw. helfen heute vielen einsamen Menschen über viel Traurigkeit und Verzweiflung hinweg. Preis dem Herrn!
Aber ich denke nicht nur an alte Menschen. Immer mehr sind es auch Jugendliche und Kinder, die sich auf diese Weise durch die Wüste ihrer sieben Einsamkeiten hindurchretten. Und immer wieder mache ich die Erfahrung, daß gerade ein solches Tier für viele Menschen der letzte Faden zum lieben Gott ist - und für den Seelsorger nicht selten der letzte Punkt, an dem er noch ein religiöses Gespräch anknüpfen kann. Mir drängt sich immer wieder ein Wort von Christian Morgenstern auf: “Ganze Weltalter von Liebe werden notwendig sein, um den Tieren ihre Dienste und Verdienste an uns zu vergelten."
Es darf als ein echter menschlicher Fortschritt angesehen werden, daß immer mehr Altenheime ihre Türen für die Tiere weit auftun: daß alte Menschen ihre Katze, ihren Hund, ihre Meerschweinchen usw. mitnehmen dürfen oder Tierbesuche ermöglicht werden. Ein großes Lob an alle Verantwortlichen! Wie vielen alten Menschen wurde in den letzten Jahrzehnten das Herz gleich zweimal gebrochen, als sie zum Verlust ihres Heims und ihrer vertrauten vier Wände sich auch noch von ihrem Haustier trennen mußten!
“Heilbringend sind die Geschöpfe der Welt". Sie alle bringen eine Botschaft der Liebe Gottes zu uns Menschen, und wir sollen sie dankbar annehmen und erwidern. Doch auch hier, wie überall im Leben, kann sich Mißbrauch einschleichen. Und Mißbrauch geschieht dort, wo Tiere ausdrücklich zum Ersatz für menschliche Beziehungen gemacht werden, so nach dem Motto des alten Griechen Plato: “Je mehr ich die Menschen kennen lerne, desto mehr liebe ich meinen Hund."
Wo diese Gesinnung sich einschleicht und vorherrschend wird, wo der Mensch sich gegenüber der menschlichen Liebe verschließt, dort hat der Mensch bereits die halbe Seele verloren. Denn immer bleibt die Liebe zum Menschen seine höchste Aufgabe, und sie ist die göttliche Krone auf seinem Haupt.
Solange der Mensch lebt, muß er alles tun, um diese Liebe zu bewahren und zur Entfaltung zu bringen, und wenn er sie verloren hat, sie zurückzugewinnen. Es darf das Tier nicht zum Ersatz für den Menschen gemacht werden, es darf auch nicht zum Götzen für den Menschen werden, wie das heute in den Kreisen “der Schönen und Reichen" - leider auch in vielen Tierschutzorganisationen - zur Mode geworden ist.
Diesem Mißbrauch steht heute ein noch viel größerer, ja, ein gigantischer gegenüber: nämlich eine zunehmend brutaler werdende Degradierung des Tieres durch maßlos gesteigerte Industrialisierung und Konzentrierung der Landwirtschaft. Denken wir an die Millionen und Abermillionen bemitleidenswerter Geschöpfe in tierquälerischen Käfigen und Stallungen (Hühner, Hähnchen, Wachteln, Bären, Pelztiere etc.) und an die grausigen Massentierschlachtfabriken unserer Tage. Denken wir an die Millionen und Abermillionen Tiere in den medizinischen Versuchslabors.
Wer hat schon einmal einen Gedanken an diese Tiere verloren: an die Schmerzen und Ängste, die sie ausgestanden haben, während wir unsere Schmerztabletten schlucken? Haftet nicht vielem “Glück" der Menschen tatsächlich viel Grausamkeit an?
Kann uns Alexander Humbold zur Nachdenklichkeit anregen, wenn er sagt: “Grausamkeit gegen Tiere ist eines der kennzeichnendsten Laster eines niederen und unedlen Volkes"?
Der Himmel hat uns Schweizern im vergangenen Jahrhundert eine große Frau geschenkt: Am 12. Oktober dieses Jahres wird die Kirche sie heiligsprechen, nämlich die selige Maria Bernarda Bütler (siehe S. 17). In einer ihrer Tagebuchaufzeichnungen stieß ich auf eine Stelle, wie ich sie in der Gattung solcher Schriften noch nie gelesen habe und die mich völlig “vom Stuhl gerissen" hat. Eine Stelle, die zu diesem Beitrag nicht besser passen könnte. Maria Bernarda, eine Fürbittgestalt im Format eines Abrahams, hört einmal den Herrn zu sich sprechen, der zu ihr sagt, sie müsse mit ihrem Gebet “die ganze Erde der Länge und Breite nach starkmütig umfangen, keine einzige Seele auf Erden darfst du vom Gebet ausschließen." Und dann folgt jener Satz, jene Aufforderung, die eben ganz einmalig und tiefbewegend ist.
Jesus sagt zu ihr: “Selbst den unvernünftigen, leidenden Kreaturen mußt du ein menschliches Mitleiden erweisen und sie der Güte Gottes empfehlen!"
Was für eine liebenswürdige und berührende Aufforderung des Herrn an diese Heilige - und an uns alle! Denn Jesus allein weiß, was seine “unvernünftigen Geschöpfe" in dieser Welt leiden, welche Ängste und Schmerzen sie ausstehen, oft zugefügt durch unsere eigenen Hände! Für Jesus, das Lamm Gottes, sind die leidenden und gequälten Tiere auch seine geliebten Mitgeschöpfe. Sie alle sollen auf ihre Weise an Seiner herrlichen Auferstehung Anteil erhalten und “von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Herrlichkeit der Kinder Gottes" (Röm 8, 18-30). Hallelujah!
Maranatha, komm Herr Jesus! Erbarme Dich unser und Deiner leidenden Kreaturen. Preis Dir, König der ganzen Schöpfung! Amen.