VISION 20004/2008
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Der Mensch ist nur Verwalter

Artikel drucken Hinordnung auf Gott (Von Univ.-Prof. Bernhard Körer)

In Gesprächen bekommt man öfter zu hören, der christliche Glaube sei mitschuld an der heutigen Umweltmisere. “Macht euch die Erde untertan" sei eine Kampfparole gegen die Natur. Im folgenden eine Auseinandersetzung mit diesem Vorwurf.

Universum ist wohl eine der schönsten und informativsten Sendungen des Fernsehens. In prachtvollen Bildern wird jedes Mal ein neues Kapitel der reichen Lebensvielfalt unseres Planeten aufgeschlagen. Der sachkundige Kommentar erklärt Entstehung und Vielfalt der Phänomene und Lebewesen in Vergangenheit und Gegenwart. Die Evolution ist im Hintergrund allgegenwärtig - der große Zusammenhang eines immer mehr sich entfaltenden Werdens.

Wenn ich recht sehe: Gott kommt in diesen Sendungen nicht ins Blickfeld. Zu anderen Zeiten war es offensichtlich anders: “Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes". Himmel und Erde, die ganze Schöpfung als ein Lobpreis auf den, der sie geschaffen hat. Das war nicht nur die Perspektive, die in Psalm 19, also vor über 2500 Jahren angesprochen worden ist, sondern auch das Empfinden von Denkern im neuzeitlichen Europa, das bereits tief von der Aufklärung geprägt war. Ob der Philosoph Immanuel Kant oder der Komponist Ludwig van Beethoven - das Betrachten des Kosmos war für sie immer auch Aufschwung der Seele zu Gott.

Wahrscheinlich vermag die unverstellte Begegnung mit der Natur auch heute noch Staunen zu wecken. Vermutlich ist aber nicht wenigen Zeitgenossen die Adresse abhanden gekommen, an die sie ihr Staunen in Form des Dankes, des Lobpreises richten können. Vielleicht sind sie auch unsicher geworden durch jene, die sagen, daß die Naturwissenschaften den Kosmos und seinen ungeheuren Lebensreichtum auch ohne Gott zu erklären vermögen.

So haben sie möglicherweise den Verdacht, daß Gott eine Art vorwissenschaftlicher Hypothese sei, die heute einfach überholt ist. Und am Ende, so meinen manche, bleibe nur ein Weltbild, wie z.B. das des Nobelpreisträgers Jacques Monod, daß buchstäblich alles durch Zufall und Notwendigkeit, auf jeden Fall ohne Gott zu erklären sei. Und so vertritt er am Ende die Auffassung, daß der Mensch nichts anderes sei als ein heimatloser Nomade am Rand des Universums. Zu Recht hat man eingewendet, daß Monods Aussagen nicht Konsequenz seiner naturwissenschaftlichen Forschungen sind, sondern die Deutung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen im Licht einer atheistischen Philosophie.

Gegen solche Versuche, wissenschaftliche Erklärungen zu weltanschaulichen Aussagen zu verallgemeinern, hat im Sommer 2005 der Kardinal von Wien, Christoph Schönborn, mit seinem Kommentar in der New York Times “Finding Design in Nature" (In der Natur einen Plan entdecken) Einspruch erhoben. Das Stichwort ’design' war genug Anlaß, den Kardinal in die Nähe der sogenannten Kreationisten zu rücken und ihm zu unterstellen, er vertrete im Widerspruch zur modernen Naturwissenschaft einen unaufgeklärten Standpunkt.

Es war der Philosoph Robert Spaemann, der die Absicht des Kardinals vermutlich richtig herausgearbeitet hat: Demnach habe sich Kardinal Schönborn vor allem dagegen gewandt, die Evolutionstheorie als universale Erklärung, als Weltanschauung zu verstehen. Gegen jede Form eines solchen selbstgenügsamen “Evolutionismus", der jede weitere Frage, z.B. nach Gott, überflüssig macht, gelte es, die theologische Perspektive zur Geltung zu bringen. Und zwar nicht nur als unverbindliche Interpretation, sondern als eine Sicht der Wirklichkeit, die in den Fakten einen Anhaltspunkt hat. Robert Spaemann schreibt: “Worum es geht, läßt sich vielleicht am besten mit dem Anfang eines Gedichts von Matthias Claudius sagen: ’Ich danke Gott und freue mich/ wie's Kind zur Weihnachtsgabe,/ daß ich bin, und daß ich dich,/ schön menschlich Antlitz habe.' Gibt es einen Grund, jemandem für das Menschsein zu danken, ja oder nein?"

Den Kosmos als Schöpfung sehen und Gott als Schöpfer, heißt nicht, Gott zum Ersatz für eine wissenschaftliche Erklärung machen. Wo aber Gott als Schöpfer zur Sprache und ins Spiel kommt, da ändert sich die Wahrnehmung der Welt, die Erfahrung des eigenen Daseins und nicht zuletzt das Verhalten zur Welt. Und das ist von größter Bedeutung.

In der neuzeitlichen Diskussion zwischen dem christlichen Glauben und den aufkommenden Naturwissenschaften ist es die längste Zeit darum gegangen, ob bzw. in welchem Sinn die Welt Schöpfung Gottes ist und Wissenschaft und Glaube vereinbar sind. Im 20. Jahrhundert wurden mit dem enormen Fortschritt der Naturwissenschaften und der Technik die Möglichkeiten des Menschen immer größer, in die Natur einzugreifen und den eigenen Anliegen dienstbar zu machen. Daraus hat sich eine zusätzliche Frage ergeben.

Es war vor allem der erste Bericht des “Club of Rome", der in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts auf die katastrophalen Folgen des wissenschaftlichen Fortschritts aufmerksam gemacht hat: Ausbeutung der natürlichen Ressourcen der Erde, Zerstörung des ökologischen Gleichgewichtes und damit der Lebensgrundlagen für die zukünftigen Generationen.

Im damals beinahe noch ungebrochenen Fortschrittsoptimismus saß der Schock tief, den dieser Bericht ausgelöst hat. Für nachdenkliche Menschen ergab sich daraus eine neue ethische Frage: Wie sieht ein verantwortungsvoller Umgang mit der Natur aus? Und so wurde auch in der christlichen Schöpfungslehre ein neues Kapitel notwendig: Schöpfungsethik. Unter diesem neuen Vorzeichen kam es auch zu einem neuen Vorwurf an die Adresse des Christentums. Was ihm die längste Zeit gutgeschrieben wurde, wird jetzt zur Kritik.

Der jüdisch-christliche Schöpfungsglaube, der Gott, den Schöpfer, und die Schöpfung deutlich unterscheidet, galt und gilt als Grundlage für die Entwicklung der Naturwissenschaften. Wie sich bei herausragenden Naturwissenschaftlern am Beginn der Neuzeit zeigen läßt, hat sie der Glaube an einen intelligenten Schöpfer dazu ermutigt, den Bauplan der Natur zu erforschen, den Gott gewissermaßen in Seine Schöpfung gelegt hat. Und weil die Natur ja nicht selbst Gott, sondern von Ihm unterschieden - Schöpfung Gottes - ist, deshalb durfte sie auch der Forschung, ja dem Experiment unterworfen werden.

Aber genau diese “Entzauberung" der Welt wird zusammen mit dem Schöpfungsauftrag “Macht euch die Erde untertan", wie er im Buch Genesis (1,28) formuliert ist, für die Ausbeutung der Natur verantwortlich gemacht. Im deutschen Sprachraum war es vor allem Carl Amery mit seinem Werk Das Ende der Vorsehung, der dem Christentum vorgeworfen hat, der Schöpfungsauftrag sei an der Zerstörung des Planeten Erde mitschuld.

Ich bin gegenüber diesem Vorwurf deshalb eher gelassen, weil der weitere Zusammenhang dieses Schöpfungsauftrages zu beachten ist. Solange dieser Auftrag im Zusammenhang des ganzen Glaubens an Gott den Schöpfer gelesen und verstanden wird, kommt man wohl nicht darum herum, daß der Mensch nicht Herr, sondern bestenfalls Verwalter der Schöpfung ist. Er darf mit der Schöpfung nicht nach Gutdünken schalten und walten und er darf sie nicht hemmungslos ausbeuten, sondern er ist Gott gegenüber verantwortlich.

Und so verwundert es nicht, daß im Zusammenhang mit der ökologischen Krise gerade auch christliche Denker darauf hingewiesen haben, daß das Bekenntnis zur Welt als Schöpfung Gottes den Menschen daran erinnert, daß die Natur nicht einfach Rohmaterial, sondern etwas, was dem Menschen zu treuen Händen anvertraut ist. Diese neue Sensibilität gegenüber einer als Schöpfung verstandenen Welt zeigt sich in einer großen Zahl einschlägiger Werke.

Nicht zuletzt kann an dieser Stelle an einen Abschnitt der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils erinnert werden, die 1965 verabschiedet worden ist. Dieser Text sieht mit dem Schöpfungsauftrag beides verbunden: den Hinweis auf die Größe des Menschen, aber auch auf seine Verantwortung:

“Der nach Gottes Bild geschaffene Mensch hat ja den Auftrag erhalten, sich die Erde mit allem, was zu ihr gehört, zu unterwerfen, die Welt in Gerechtigkeit und Heiligkeit zu regieren und durch die Anerkennung Gottes als des Schöpfers aller Dinge sich selbst und die Gesamtheit der Wirklichkeit auf Gott hinzuordnen, so daß alles dem Menschen unterworfen und Gottes Name wunderbar sei auf der ganzen Erde .... Je mehr aber die Macht der Menschen wächst, desto mehr weitet sich ihre Verantwortung, sowohl die der Einzelnen wie die der Gemeinschaften. Daraus wird klar, daß die christliche Botschaft die Menschen nicht vom Aufbau der Welt ablenkt noch zur Vernachlässigung des Wohls ihrer Mitmenschen hintreibt, sondern sie vielmehr strenger zur Bewältigung dieser Aufgaben verpflichtet." (Pastoralkonstitution, 34)

Wie zahlreiche Werke deutlich machen, geht es in der christlichen Schöpfungsethik nicht nur um die Abwehr einer Schuldzuweisung, sondern auch um eine neue Zuordnung von Glaube und Naturwissenschaft. Man will nicht nur die Frage klären, wie die Welt entstanden ist, sondern sucht auch Orientierung, wie mit der Schöpfung umgegangen werden soll. Und so werden die Aussagen unseres Glaubens über Gott den Schöpfer aufs neue interessant. Sie sagen nicht nur etwas darüber, woher wir kommen, sondern formulieren zugleich eine Grundeinstellung zur Welt als Schöpfung Gottes. In diesem Sinn spricht man heute von einer “Schöpfungsspiritualität" und darauf aufbauend von einer “Schöpfungsethik".

Bereits 1980 hat die Deutsche Bischofskonferenz unter dem Titel “Zukunft der Schöpfung - Zukunft der Menschheit" eine klare Stellungnahme abgegeben. Schon einige wenige Stichworte aus diesem Schreiben machen deutlich, was mit Schöpfungsspiritualität und Schöpfungsethik gemeint ist: Es gilt - so das Dokument - anzunehmen,

* “daß wir auf eigene Ansprüche und Möglichkeiten verzichten und mit anderen teilen müssen, damit alle menschwürdig leben und sich entfalten können";

* “daß die Menschen anderer Kulturen und Traditionen das Recht haben, eigene Wege der Weltgestaltung in die Zukunft zu gehen, ohne daß wir sie mit den Erfahrungen und Maßstäben unserer technischen Zivilisation bevormunden dürfen";

* “daß wir uns selbst, die anderen, die Welt ’mögen', daß wir Gottes lebendes Ja zu uns, zu den anderen, zur Welt selber liebend mitsprechen..."

Solche und ähnliche Überlegungen haben in der Ersten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Basel 1989 dazu geführt, daß die “Bewahrung der Schöpfung" neben “Frieden" und “Gerechtigkeit" als Leitgedanke für das gesellschaftliche Engagement aller Christen formuliert worden ist. Diese Verpflichtung wurde in den beiden folgenden ökumenischen Versammlungen in Graz (1997) und Sibiu (2007) übernommen und bekräftigt. Und die Orthodoxen Kirchen haben als eigenständige Initiative die Anregung eingebracht, die ebenfalls in der Schlußbotschaft von Sibiu festgehalten wird: Der erste Sonntag im September soll als “Tag der Schöpfung" im Leben aller Kirchen einen festen Platz erhalten.

Noch einmal: Gerade als religiöser Mensch wird man dagegen Einspruch erheben, daß Gott wie eine Erklärungshypothese behandelt und am Ende auch wieder verworfen wird. Wohl aber ist es für einen Gläubigen denkbar, daß die Natur, die wir mit Hilfe der Wissenschaften zu erforschen versuchen, Spuren enthält, die über den Zuständigkeitsbereich der Naturwissenschaften hinausweisen und sie als Schöpfung Gottes erkennen lassen.

Es ist denkbar, daß in den Fakten, die Gegenstand der Wissenschaft sind, noch etwas anderes sichtbar wird, das nach einer Erklärung ruft, die jenseits aller wissenschaftlichen Erklärungen liegt, aber doch mit der Vernunft wahrgenommen werden kann. Und eben das behaupten gläubige Menschen - im übrigen nicht nur im Christentum.

Das pure Faktum, daß der Kosmos ist, und die Gesetzmäßigkeiten, die in ihm wirken, sind für viele solche Spuren. Und indem sie Gott erkennen und als Schöpfer anerkennen, wissen sie: Der Mensch ist nicht ein heimatloser Nomade, sondern Geschöpf mit Heimatrecht bei Gott.

Erinnere ich mich recht? Bei der Uraufführung von Joseph Haydns grandiosem Werk “Die Schöpfung" soll das Publikum gleich zu Beginn, bei der Stelle “...und es ward Licht" in tosenden Applaus ausgebrochen sein. Haydn sei, so wird berichtet, aufgestanden und habe mit ausgestrecktem Arm nach oben, gegen den Himmel gedeutet. So habe er klar gemacht, wem seiner Meinung nach eigentlich der Applaus gelte. Joseph Haydns Musik kann ein solcher Fingerzeig sein und damit ein Hinweis auf die grundlegende Einsicht unseres Glaubens: Der Kosmos ist nicht nur ein zwar faszinierendes, aber doch in sich geschlossenes Universum. Er ist Schöpfung Gottes. Und für die gläubige Freude an der Schöpfung, die Haydn mit seiner Musik zum Ausdruck bringt, gibt es für ihn und für uns eine Adresse: Ich danke Gott und freue mich... Das ist nur auf den ersten Blick wenig.

Der Autor ist Professor für Moraltheologie und Dogmatik an der Universität Graz.

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