Der Sonntag, der 12. Oktober 2008, wird für die Kirche der Schweiz, vor allem für jene Menschen, die Gott und seine Kirche von Herzen lieben, zu einem Tag des Jubels und des Dankes werden. Die Schweizer Ordensgründerin der “Franziskaner Missionsschwestern von Maria Hilf", Maria Bernarda (1848-1924), wird heiliggesprochen, das heißt: Die Kirche stellt sie uns als einen Menschen vor, der in seinem Leben die Christusnachfolge in heroischer, ja, einzigartiger Weise gelebt hat.
In ihrem Leben hat der Glaube, die Hoffnung und die demütige Liebe zu Gott und zu den Menschen durch alle Prüfungen des Lebens hindurch, durch alle Widerstände, Enttäuschungen, Krankheiten, Leiden und Schmerzen gesiegt. Hier leuchtet Ostern in einer Lebensgeschichte auf.
Man ist im Leben von Maria Bernarda beinahe versucht, von zwei Wegen zu sprechen, von einem äußeren (missionarischen) und von einem inneren (mystischen) Weg. Und doch sind beide nicht voneinander zu trennen.
Denn schon früh im Leben der kleinen Verena Bütler (so ihr ziviler Name) - sie ist das vierte von acht Kindern einer frommen Bauernfamilie - strahlt die Liebe Gottes in ganz besonderer Weise auf. Nachdem sich Verena Bütler mit 15 Jahren in einen Jungen verliebt hatte und während zwei Jahren schmerzlich um ihre Berufung ringt, “da fühlte sie plötzlich im Geiste, daß Jesus nahe sei. Er wollte nicht, daß sie die Liebe teile." Mit 19 Jahren tritt die Bauerntochter ins Kloster Maria Hilf in Altstätten, Kanton St. Gallen, ein.
Maria Bernarda schreibt rückblickend im Auftrag ihres Beichtvaters: “Sehr oft kam es vor, daß ich plötzlich eine volle Gewißheit hatte: es wandle Gott, der liebe Heiland, neben mir. Ich fühlte, nicht leiblich, doch ganz gewiß, daß Jesus neben mir stand, ich wußte genau auf welcher Seite. Oft kam Er, sanft sich nähernd, oft ganz plötzlich. Einige Male blieb Er zwei bis drei Stunden, dann wieder nur eine Viertelstunde und entfernte sich wieder... In solchem Zustande weiß ich kein Opfer, das mir zu groß gewesen wäre... War Jesus fühlbar bei mir, so fühlte ich keine Last, auch bei den anstrengendsten Arbeiten nicht."
Diese mystische Begabung bleibt Maria Bernarda durchs ganze Leben. Ja, sie vertieft sich im Laufe ihres Lebens immer mehr, sodaß ihr schon früh jene tiefe Einheit in der Liebe mit dem Herrn geschenkt wird, die in der geistlichen Literatur als “unio mystica" bezeichnet wird.
Bereits als junge Schwester hört sie beim Gebet vor dem Eucharistischen Jesus die Worte zu ihr sprechen: “Ich werde dir viele große Gaben geben. Du sollst bis zur vollen Mittagssonne wachsen. Ich will, daß du Mutter und Führerin dieser Meiner Bräute werdest."
Mit 40 Jahren ergeht an Maria Bernarda und sechs Mitschwestern der Ruf, nach Ecuador, Südamerika, zu gehen. In der Handelsstadt Chone, wo sie sich in einer elenden Hütte niederlassen, treffen sie auf katastrophale Verhältnisse. “Die Wollust scheut vor keinem Grad der Verwandtschaft zurück. Ein Hauptübel bilden die wilden Ehen." Von den Kindern sagt sie: “Sie wachsen ohne Erziehung heran, gefühllos, behaftet mit dem unglückseligen Hang zum Laster von ihren ersten Jahren an und bilden zerstörerische Elemente für Ordnung und Sitte. Für die Priester haben sie oft nur Verachtung und Verleumdung übrig. Ja, es gehört zum guten Ton, über Religion und Priester zu spotten."
Doch Maria Bernarda schreckt nicht vor ihrer Aufgabe zurück. Mutig nimmt sie zusammen mit den Mitschwestern das Werk an die Hand und gewinnt bald die Sympathie der Bevölkerung. Ihr Bischof berichtet: “Sie schlafen auf hartem Boden, jeden Tag fasten sie bis elf Uhr, nachmittags nehmen sie nichts zu sich, werken dabei wie Tagelöhner in Haus und Garten, arbeiten viel und beten noch mehr..." Die Hauptsorge gilt den Armen, den Kranken, den Kindern und den Entrechteten.
Doch bereits nach 7 Jahren ertönen die Sturmglocken der antikirchlichen Revolution. Die Schwestern müssen ihre Arbeit aufgeben und nach Cartagena, Kolumbien, fliehen, um dort von vorne zu beginnen. Das Werk der Liebe breitet sich in den kommenden drei Jahrzehnten immer mehr aus und erreicht schließlich Brasilien.
Dieser “äußere Weg" der Heiligen - hier nur angedeutet - war von unvorstellbaren Leiden, von Verkennung und Demütigungen aller Art, selbst vonseiten kirchlicher Vorgesetzter gekennzeichnet. Ein Bischof sagte bei der Seligsprechung: “Die Liebe zu Gott und den Seelen ist die einzige triftige Erklärung, warum die Dienerin Gottes Unbehagen, Entbehrungen, Ortswechsel, Demütigungen, extreme Armut an Gütern, bis hin zu gesundheitlichen Risiken, ja, selbst die Lebensgefahr auf sich nehmen mußte. Zweifellos sollte ihr Name in goldenen Buchstaben in die Geschichte Kolumbiens eingehen." Maria Bernarda selbst verstand ihr Leben als eine Weggemeinschaft an der Seite der Schmerzhaften Gottesmutter.
Das heroische Leben dieser starken Frau ist nur auf dem Hintergrund ihrer außerordentlichen, tiefen mystischen Liebe zu Gott erklärbar. Sie mußte im Auftrag ihrer Seelenführer vieles aufschreiben, was ihr Geheimnis war zwischen Gott und ihrer Seele. Gerade in diesen, oft in großer Müdigkeit und bei Kerzenlicht verfaßten Aufzeichnungen strahlt die prophetische Größe und Heiligkeit ihres Lebens auf. Der Inhalt ihrer Tagebücher ist in den bisher über sie veröffentlichten Schriften nur angedeutet, vieles wird erst in den kommenden Jahren für einen breiteren Leserkreis erschlossen werden können.
So lesen wir zum Beispiel in ihren Aufzeichnungen - solche und ähnliche Stellen finden sich viele in ihren Tagebüchern -, daß sie sich schlafen gelegt habe, “doch schlafen ließ Er mich nicht, sondern Er hielt mich wach mit dem Rufen Seiner Liebe: ,Mein Kind, mein vielgeliebtes Kind, siehe, du mußt Mir dienen als eine süßtönende Orgel, auf welcher Ich in vollen Akkorden meine Liebe austönen lassen will in alle Welt'." Immer wieder bittet Jesus sie um ihr Gebet für seine bedrängte Kirche, für die Priester, für die Verstorbenen, für die ganze Welt."
Sie sagte (vor über 100 Jahren!) der Kirche große und schwere Verfolgungen voraus und daß es viele Martyrer geben werde. Sie spricht mit prophetischer Wucht “vom babylonischen Turm der jetzigen Zeit, aufgebaut im Unglauben, Irrglauben und allen Torheiten der Welt, abgekehrt von Gott, von den Lehren und Wahrheiten des heiligen Glaubens. Da hörte ich geistigerweise die Worte: ,Dieser Turm wird niedergeworfen, zertrümmert von einem Steinchen.'"
Ferner heißt es: “Ein großes, schreckliches Übel hat sich eingefressen in allen Völkern wie noch nie: es ist die Menschenfurcht, und deshalb werden die Menschen zu Tausenden auf falsche Bahnen geführt."
Für das Ende der Zeit sagt sie der Kirche eine große Gnade der Barmherzigkeit voraus (wir denken an die Botschaft von Sr. Faustyna): “Siehe, am Ende der Zeiten umringt Meine Barmherzigkeit die ganze Menschheit mit einem ausgesuchten Erbarmen, um so viele Menschen zu retten, als nur gerettet werden können."
Obwohl Maria Bernarda ein Leben lang durch die Mühlen des Leidens getrieben wurde und mit seherischem Blick die Verfolgungen der Kirche und den 1. Weltkrieg voraussah, verfiel sie zu keiner Zeit, auch nicht am Ende ihrer Tage, jener großen Versuchung, der gerade heute viele Christen erliegen: Der bedrückenden Zukunftsangst und einem schleichenden Pessimismus.
“Niemand besaß eine solche Fülle ungezwungener Fröhlichkeit und fast ununterbrochener Herzensfreude wie Mutter Bernarda. Wie dem hl. Franziskus, war ihr darum ein düsteres, trübseliges Wesen unausstehlich." (B. Mayer)
Kein Wunder, daß an ihrem Todestag, dem 19. Mai 1924, der Stadtpfarrer in der Kathedrale von Cartagena den Menschen verkündet: “Heute ist in der Stadt eine Heilige gestorben: die wohlehrwürdige Mutter Bernarda." Seither besuchen jährlich Zehntausende ihr Grab und erfahren ihre wunderbare Fürbitte beim Herrn. Schon bald nach ihrem Tod ereigneten sich viele beeindruckende Wunder. Das Vertrauen der Menschen in ihre Fürbitte ist auffallend. Selbst Jesus sprach sie zu Lebzeiten mehrmals an als eine Frau und Fürbittgestalt wie Abraham.
Wer sich eingehender für die heilige Maria Bernarda interessiert, wende sich bitte an den Autor des Beitrags:
Urs Keusch, Pfr.em., Gaschürstraße 13, CH-7310 Bad Ragaz