Man glaubt es kaum: Eine Frau aus einem Provinznest, eine Bäuerin ohne besondere Ausbildung, die einen Großteil ihres Lebens ans Bett gefesselt, jahrelang fast blind war, die jede Woche menschlich gesehen fast drei Tage lang außer Gefecht war, weil sie das Leiden und Sterben Jesu Christi mystisch mitvollzog, steht am Beginn der Glaubenserneuerung, die sich in Frankreich nach dem Konzil vollzogen hat.
Die Liste ihrer Besucher - es dürften während ihres fast 80 Jahre währenden Lebens rund 100.000 Menschen an ihrem Bett gesessen sein - liest sich wie das “Who is who" der französischen Erneuerungsbewegungen. Bei ihrem Requiem konzelebrierten vier Bischöfe und mehr als 200 Priester, tausende Gläubige begleiteten sie auf ihrem letzten Weg in Châteauneuf de Galaure, einem kleinen Ort im Rhônetal. Und seit ihrem Tod haben etwa 450.000 Menschen das Zimmer besucht, in dem sie einen Großteil ihres Lebens verbracht hat.
Marthe Robin ist einer der ganz großen Glaubenszeugen des 20. Jahrhunderts. Eine Frau, durch deren Hingabe Gott unfaßbar Großes gewirkt hat. Eine Zeugin für die Wahrheit dessen, was der Apostel Paulus über sich selbst sagt: “Deswegen bejahe ich meine Ohnmacht, alle Mißhandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus ertrage; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark." (2Kor 12,10)
Bernard Peyroud, Postulator im Seligsprechungsprozeß von Marthe Robin, hat im Jahr 2006 ein Buch über Marthe auf Französisch veröffentlicht. Es ist nun endlich auch auf Deutsch erschienen. Sehr lesenswert. Ich empfehle es Ihnen, liebe Leser. Am besten, Sie nehmen es als Urlaubslektüre in die Ferien mit.
Man kann nur staunen: wie liebevoll ihr Umgang mit den Menschen war, wie klar ihre Einsichten, wie treffend ihre Ratschläge, wie tief ihre Anteilnahme am Schicksal ihrer Gesprächspartner, wie unfaßbar groß ihre Bereitschaft, Leiden zu tragen, wie relevant ihre Einsicht in die Zeichen der Zeit, wie groß ihre Liebe zu Jesus und zur Gottesmutter - und wie tief ihr Vertrauen zur barmherzigen Liebe Gottes.
Wie fruchtbar ihr Leben war, ist auch daran abzulesen, daß die “Foyers de Charité", das Werk, dessen Gründung ihr der Herr aufgetragen hat, heute weltweit verbreitet ist: In mehr als 80 Foyers werden Exerzitien abgehalten, die sehr zur Glaubenserneuerung und -vertiefung beitragen. Eines entsteht derzeit in Österreich, am Sonntagberg (siehe Ankündigungen S. 28).
Schließen möchte ich mit dem Zeugnis eines der vielen Priester, die mit Marthe Kontakt hatten: “Meine Begegnungen mit ihr haben mich im ersten Augenblick verwirrt, sie hatten etwas Unerwartetes, manchmal sogar Enttäuschendes an sich, sosehr sprachen wir unvorbereitet bald von dieser, bald von jender Angelegenheit. Aber in den folgenden Tagen verschwanden, vor allem während der Anbetung, manche Dunkelheiten, um im Herzen und im Verstand dem Licht des Glaubens Platz zu machen. Es erinnerte mich an das, was am Osterabend die Pilger von Emmaus empfangen haben müssen."
Christof Gaspari
Das Leben der Mystikerin Marthe Robin. Von Bernard Peyrous. Parvis, 352 Seiten, 25.- Euro.