!Im Evangelium des heutigen Sonntags finden wir zwei Aufforderungen Jesu. Einerseits: “Fürchtet euch nicht vor den Menschen!" und andererseits: “Fürchtet" Gott (vgl. Mt 10,26.28). So werden wir dazu angeregt, über den Unterschied nachzudenken, der zwischen den menschlichen Ängsten und der Gottesfurcht besteht.
Die Angst ist eine natürliche Dimension des Lebens. Von klein auf macht man die Erfahrung von Formen der Angst, die sich dann als eingebildet erweisen und vorübergehen. Andere, die ganz konkrete Ursachen in der Wirklichkeit haben, kommen später zum Vorschein. Diesen ist mit menschlichem Einsatz und Gottvertrauen zu begegnen, um sie zu überwinden.
Dann aber gibt es vor allem heute eine tiefere Form der Furcht existentieller Art, die manchmal in Angst übergeht. Sie entsteht aus einem Sinn der Leere heraus, der mit einer gewissen, von einem weit verbreiteten theoretischen und praktischen Nihilismus durchdrungenen Kultur einhergeht.
Gegenüber dem weiten und vielfältigen Panorama der menschlichen Furcht ist das Wort Gottes eindeutig: Wer Gott “fürchtet", “hat keine Angst". Die Gottesfurcht, die die Heilige Schrift als “den Anfang der wahren Weisheit" bezeichnet, fällt mit dem Glauben an ihn zusammen, mit der heiligen Achtung vor seiner Hoheit über das Leben und die Welt.
Das Sein ohne “Gottesfurcht" kommt der Tatsache gleich, sich an Seine Stelle zu setzen, sich als Herr über Gut und Böse, über Leben und Tod zu fühlen. Wer hingegen Gott fürchtet, verspürt in sich die Sicherheit, die das kleine Kind im Arm seiner Mutter hat (vgl. Ps 131,2): Wer Gott fürchtet, bleibt auch mitten in den Stürmen ruhig, da Gott, wie uns Jesus geoffenbart hat, der Vater voller Barmherzigkeit und Güte ist. Wer Ihn liebt, hat keine Angst.
“Furcht gibt es in der Liebe nicht", so schreibt der Apostel Johannes, “sondern die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht. Denn die Furcht rechnet mit Strafe, und wer sich fürchtet, dessen Liebe ist nicht vollendet" (1 Joh 4,18). Der Gläubige läßt sich durch nichts erschrecken, da er sich in den Händen Gottes weiß; da er weiß, daß das Böse und das Irrationale nicht das letzte Wort haben, sondern daß der einzige Herr der Welt und des Lebens Christus ist, das Mensch gewordene Wort Gottes, der uns so sehr liebt, daß er sich selbst aufgeopfert hat und am Kreuz für unser Heil gestorben ist. Je mehr wir in dieser Vertrautheit mit Gott wachsen, die von Liebe durchdrungen ist, desto leichter besiegen wir jede Form der Angst.
Im heutigen Abschnitt aus dem Evangelium wiederholt Jesus mehrmals die Ermahnung, keine Furcht zu haben. Er macht uns zuversichtlich, wie er es mit den Aposteln tat, wie er es mit dem heiligen Paulus getan hat, als er ihm eines Nachts in einem für seine Verkündigung besonders schwierigen Moment in einer Vision erschien: “Fürchte dich nicht! Denn ich bin mit dir" (Apg 18,9-10).
Gestärkt durch die Gegenwart Christi und getröstet von seiner Liebe, fürchtete der Völkerapostel, dessen 2000. Jahrestag seiner Geburt wir mit einem besonderen Jubiläumsjahr begehen werden, nicht einmal das Martyrium. Dieses große geistliche und pastorale Ereignis möge auch in uns ein neues Vertrauen zu Jesus Christus wecken, der uns dazu beruft, furchtlos sein Evangelium zu verkünden und Zeugnis für es abzulegen.
Ansprache zum Angelusgebet am Petersplatz am 23.6.08