Mit Spannung hatte man die Entscheidung Papst Paul VI. in der Frage der Verhütung erwartet. Die Medien hatten im Vorfeld Stimmung für eine liberale Lösung gemacht. Bischof Andreas Laun hat diese Zeit als junger Priester erlebt und später “Humanae vitae" engagiert verteidigt.
Bischof Andreas, wie hast Du als junger Priester das Lehrschreiben des Papstes 1968 aufgenommen?
Bischof Andreas Laun: Ich war damals ein frischgeweihter Priester. In meiner Ausbildung an der Universität wurden wir in dieses Thema nicht gut eingeführt. Daher habe ich es auch nicht wirklich verstanden - wie viele andere Junge auch. Aus den Zeitungen war eine Erwartung herauszulesen: Da kommt jetzt eine Veränderung auf uns zu, eine Befreiung, eine großzügige Lösung, die der Liebe entspricht. Das war auch die Stimmung, die mich erfaßt hatte. Und dann kam der Tag, man könnte sagen: der “schwarze" Tag. Die Medien waren voll von Berichten über “Humanae vitae", Schlagzeilen, die sinngemäß sagten: Der Papst sagt nein zu allem und jedem, der Papst, ein Feind der sexuellen Liebe. Der Schock saß tief. Er erfaßte auch die Theologieprofessoren. Später kamen große Protestbewegungen, Unterschriftensammlungen - all das ging rund um die Welt.
Und wie hast Du damals reagiert?
Bischof Laun: Mit großem Erstaunen. Auch habe ich nie gegen den Papst Stellung genommen oder etwas Entsprechendes unterschrieben. Im Gegenteil: Ich wurde zu einer Diskussion eingeladen, in der mir die Aufgabe zugedacht war, den Papst zu verteidigen. Das habe ich zwar gemacht, aber nicht sehr geschickt, weil ich das Anliegen intellektuell noch nicht begriffen hatte. Es war sicher kein glorioser Auftritt.
Warst Du damit als Befürworter der Enzyklika verschrieen?
Bischof Laun: Ich habe das Thema eigentlich vermieden und versucht, mich herauszureden nach dem Motto: Da gibt es doch andere, wichtigere Themen in der Kirche... In diese Flucht kamen dann zwei Einbrüche: Erstens, daß ich anfing, Moraltheologie zu lehren. Daher mußte ich nun über das Thema reden. So habe ich versucht, die Entscheidung begründend darzustellen. Das wichtigste Erlebnis diese Frage betreffend war dann der 12. Internationale Familienkongreß 1988 in Wien. Dort sollte ich ausgerechnet über dieses Thema sprechen. Also habe ich einen Vortrag gehalten, der damals auch sehr beklatscht worden ist. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, daß er nicht gut genug war. Seither habe ich mich viel mit dem Thema beschäftigt und bin ein Stück weitergekommen.
Würdest Du aus Deiner heutigen Sicht sagen, daß dieses Dokument prophetisch ist?
Bischof Laun: Im Grunde genommen ist es ein gewaltiges Schreiben. Man muß nur denken, wie es zustande kam. Paul VI. hat darum gerungen. Er wußte ja genau, was ihm bevorstehen würde. Es hat ihn ja dann auch eine innerkirchliche Verfolgungswelle überschwemmt. Wieviel Spott, Kritik und Ungehorsam ist ihm entgegengebrandet! Dazu kamen die Erklärungen einiger Bischofskonferenzen, die die Lage beruhigen wollten, dabei aber sehr unglückliche Erklärungen herausgegeben haben. Auf diese stützen sich viele heute noch, als seien sie die eigentliche Antwort.
Inwiefern unglücklich?
Bischof Laun: Die Bischofskonferenzen - man muß es leider im Sinn einer Reinigung des Gedächtnisses sagen - haben nicht klar gesagt: Wir stehen hinter dem Papst und seiner Lehre und bemühen uns nun, sie den Menschen näherzubringen. Vielmehr hat man zweideutige Erklärungen abgegeben: als ob es eine Selbstherrlichkeit des Menschen geben dürfe, die Lehre abzulehnen und anders zu leben - und trotzdem ein tadelloses, ruhiges Gewissen zu haben. Das wirkt bis heute in die Pastoral hinein.
Für mich war entscheidend, Gruppen um Josef Rötzer, den großen österreichischen Arzt, kennenzulernen. Er hat das Thema nie losgelassen und viele Menschen angeleitet, praktisch nach der Lehre des Papstes zu leben. Wenn man diesen Menschen zuhört, bekommt man unglaubliche Zeugnisse verheirateter Männer und Frauen, zu hören. Sie sagen: unsere Ehe wurde durch die Abkehr von der Verhütung und durch die natürliche Empfängnisregelung geradezu gerettet. Als junger Priester hat mich das sehr beeindruckt. Ich würde vielen Priestern, die heute noch gegen “Humanae vitae" eingestellt sind, solche Erlebnisse wünschen. Da sprechen nämlich nicht Sklaven des Papstes, sondern glückliche Paare darüber, wie gut dieser Weg ihrer Liebe getan hat.
“Humanae vitae" also ein hoffnungsvoller Weg?
Bischof Laun: Kardinal Schönborn hat heuer in Jerusalem etwas Bemerkenswertes gesagt: Europa habe dreimal nein zur eigenen Zukunft gesagt. Dann hat er aufgezählt: die Ablehnung von “Humanae vitae", das Ja zur Abtreibung und jetzt das Ja zur Homo-“Ehe". Dreht man das Argument um, so wird deutlich: Ein Ja zu “Humanae vitae" bedeutet die neuerliche Zuwendung zur eigenen Zukunft. Das wird allein schon durch den katastrophalen Kindermangel, an dem wir jetzt schon zu leiden beginnen, deutlich erkennbar.
“Humanae vitae" wird meist als “Pillen-Enzyklika" bezeichnet. Wer sie aber zur Hand nimmt, erkennt, daß sie sich weitaus tiefer mit der Beziehung zwischen Mann und Frau auseinandersetzt. Welche Schwerpunkte siehst Du in der Enzyklika?
Bischof Laun: Zunächst einmal: Das Wort “Pille" kommt gar nicht vor. Die Erfindung der “Pille" war nur ein Anlaß, daß der Papst zu dieser Frage Stellung genommen hat. Papst Paul VI. sagt ganz klar, daß jede Manipulation der sexuellen Vereinigung im Sinne der Verhütung abzulehnen sei. Selbstverständlich setzt der Papst die Lehre des 2. Vaticanums zum Thema Ehe und Liebe voraus.
Als Katholiken müssen wir uns klar machen: Wir haben in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts ein kirchengeschichtliches Großereignis erlebt. Die Kirche hat sich in besonderer Weise dem Thema Ehe und Familie zugewendet. Zwar gab es in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts Vordenker auf diesem Gebiet, die in einer Zeit, in der die Welle der Prüderie aus dem 19. Jahrhundert die Gesellschaft verseucht hatte, den Blick auf die Liebe freigelegt haben.
Dann kamen das 2. Vaticanum, “Humanae vitae" und vor allem der große Papst Johannes Paul II.. Dieser geistige Titan hat das Thema in einer Art behandelt wie kein Papst vor ihm. “Humanae vitae" hat die Lehre des 2. Vaticanums aufgegriffen und Johannes Paul II. hat sie vertieft. Und in diesem Licht sollten wir heute an das Thema herangehen.
Gut gefallen hat mir die Passage, in der Papst Paul VI. sagt, man dürfe, wenn es um die Vereinigung von Mann und Frau geht, nicht nur einen biologischen oder soziologischen, Blinkwinkel haben, sondern man müsse den ganzen Menschen sehen. Dem Papst geht es um “die Liebe, die aufs Ganze geht". Diese Aussage finde ich besonders schön.
Bischof Laun: Das wird ja in der Diskussion meist übersehen, auch bei den Verteidigern von “Humanae vitae": daß der Akt der Verhütung die Liebe beschädigt. Es wird also nicht nur das Kind zurückgewiesen. Vielmehr liegt im Verhütungsakt selbst etwas Unwahres, bezüglich der Liebe von Mann und Frau. Wenn man das erkannt hat, dann versteht man auch, warum wir so viele Scheidungen haben. Denn wer ständig verhütet, lebt nicht nur im Widerspruch zur Fruchtbarkeit, sondern eben auch zur Liebe. Und diese Beschädigung der Liebe führt dann leicht in vielen Fällen zur Scheidung. Heute denke ich: Die Ablehnung von “Humanae vitae" ist mit ein Grund für die vielen Scheidungen. In “Evangelium vitae" Nr. 13 hat Papst Johannes Paul II. außerdem darauf hingewiesen, daß die Verhütungsmentalität mit der Abtreibung verbunden ist.
Kannst Du das erläutern?
Bischof Laun: Es gibt Verhütungsmaßnahmen, die gleichzeitig abtreibend wirken. Aber nicht nur darum geht es. Sondern die Verhütungsmentalität bereitet den Boden für die Abtreibung vor. Das bedeutet nicht - ich muß das betonen -, daß jeder, der verhütet, auch bereit ist abzutreiben!
Und noch einen Punkt möchte ich hervorheben, den Paul VI. allerdings nicht vorhergesehen hat: das Thema Homosexualität. In dem Augenblick, in dem man sagt, man könne die Liebe ganz von der Fruchtbarkeit lösen und sexuelles Tun sei nichts anderes als Ausdruck der Liebe, so hat man kein Argument dagegen, daß Homosexuelle ihre “Liebe" ebenfalls sexuell ausdrücken. Ich bin überzeugt, daß eine der Wurzeln der Homosexuellenbewegung in dieser Sichtweise - nämlich die Fruchtbarkeit aus der sexuellen Begegnung wegzumanipulieren - liegt, als wäre die Sexualität von ihrer Struktur her kein Akt der Fruchtbarkeit.
Zentral erscheint mir in der Enzyklika das Thema Ganzhingabe. Sie wird durch Ausschaltung der Fruchtbarkeit, die ja Teil der Person ist, verhindert...
Bischof Laun: Das ist wohl der tiefste Grund, warum Verhütung falsch ist. Nehmen wir als Beispiel die Situation, wo durch Einnahme der “Pille" eine fruchtbare Frau unfruchtbar gemacht wird. Im Grunde genommen umarmt der Mann nun eine “neue", eine andere Frau. Damit liebt er nicht seine Frau, wie sie wirklich ist, sondern er liebt eine zurechtgemachte. Dazu kommt, daß es durch jeden kontrazeptiven Akt nicht zu einer Vereinigung kommt. Vielmehr wird auseinandergehalten, was ineinander strömen möchte. Besonders deutlich beim Kondom, einer richtigen Trennungsmauer. All diese Gedanken müßten noch viel mehr entwickelt werden, damit die Menschen die Lehre der Kirche verstehen können, daß nämlich die Vereinigung in eine Nicht-Vereinigung umgewandelt wird, die Ganzhingabe in eine Teilhingabe.
Paul VI. weist darauf hin, daß an der sexuellen Umarmung ja nicht nur das Paar beteiligt ist, sondern daß - weil es sich um einen potentiell lebensspendenden Akt handelt - auch Gott selbst im Spiel ist. Müßte nicht auch darüber mehr gesprochen werden?
Bischof Laun: Es ist eine der gewaltigsten Aussagen des kirchlichen Lehramtes, daß die Seele eines neuen Menschen nur von Gott kommen und nicht Ergebnis eines biologischen Ablaufs sein kann. Gott ist bei der Zeugung und beim Entstehen eines neuen Menschen wesentlich dabei.
Das Gespräch mit dem Salzburger Weihbischof Dr. Andreas Laun hat Christof Gaspari im Rahmen einer Sendung von “Radio Maria" am 7.6.08 geführt. Man kann eine CD der Sendung im Studio von “Radio Maria" (01 710 7072) bestellen.