Durch das Kreuz zum Licht. - Ohne Vergießen des Blutes keine Erlösung. - Wer die Wahrheit tut, kommt zum Licht. Diese persönliche Aufzeichnung stammt von einem französischen Karmeliten, den ich gerne vorstellen will.
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1909, Barentin, ein Ferientag für den kleinen Clan der Familie Bunel: Die Kinder spielen im Garten, als ein Bettler sich nähert, ein alter Mann mit langem Bart, einem Stock in der Hand, einem Bündel auf dem Rücken. Er bittet um ein Stück Brot. Die Mutter Bunel zeigt auf die Kinder, wie sie sich verängstigt um sie scharen.
Lucien zeigt keine Furcht. Er läuft in die Küche, schneidet ein großes Stück Brot ab, legt Käse darauf, reicht es dem Bettler. Der legt dem Kind die Hand auf den Kopf und sagt: Ich wußte, mein Kleiner, daß du mir mein Brot geben würdest; ich danke dir, ich brauche es nicht, möge der liebe Gott dich behüten. Dann verschwindet der geheimnisvolle Alte. Später erzählt Jacques diese Episode seiner Kindheit.
Das ganze Leben des Lucien Bunel, Père Jacques, ließe sich im Zeichen des Brotes, das er herschenkte, zusammenfassen: das Brot, das das Kind dem Bettler gab, das geweihte Brot, das der junge Priester in Händen halten und seinen Pfarrangehörigen und Schülern reichen sollte, das letzte Stück Brot, das er im KZ denen schenkte, die hungriger waren als er, das Brot des Lebens, das er- sein eigenes Leben riskierend - in den Lagern des Todes feierte. Sein Leben trägt das Zeichen der Hingabe des Brotes und erfüllt sich in der Hingabe des Lebens.
Wer ist nun dieser Lucien Bunel, der als Karmelit Jacques de Jésus hieß? Lucien wird am 29.1.1900 als viertes Kind von sieben in einer armen Arbeiterfamilie geboren. Er ist außerordentlich schwach, kaum lebensfähig. So weiht in seine Mama auf einer Wallfahrt der Muttergottes - und der kleine Lucien erlebt eine wunderbare Heilung. In der religiös geborgenen Familienatmosphäre erwacht im Herzen des Kindes eine große Liebe zu Gott
Sein Bruder sagt von ihm: Während die anderen Kinder spielen, verbringt Lucien viel Zeit in der Kirche und in der Natur, von Herz zu Herz mit Gott in Seiner Schöpfung.
Lucien spürt den Ruf zum Priestertum, aber die Familie ist arm. Der Pfarrer ermutigt ihn und reiche Leute helfen. So kann er im kleinen Seminar studieren. Er ist außerordentlich begabt, hat aber fest mit seinen persönlichen Schwächen zu kämpfen: Er ist zornig, ehrgeizig und stolz. Im Kampf mit seinen Leidenschaften lernt er viel für sein späteres Wirken als Lehrer und Pädagoge.
Nach der Matura muß er einen zweijährigen Militärdienst leisten. Dort erfährt er hautnah in der Begegnung mit den Kameraden die Not der Sünde. Tief spürt er seine Verantwortung für das Elend der Menschen.
Lucien ist 24 Jahre alt und bereitet sich auf das Priesteramt vor. In den Ferien paßt er auf etwa 100 Kinder von Arbeitern auf und beschäftigt sie bis zum Abend: Spaziergänge, Gebet, Spiele, sportliche Aktivitäten. Sein Einfluß auf die Kinder ist erstaunlich. Selbst bei den schwierigsten erzielt er überraschende Erfolge. Nach der Priesterweihe arbeitet er als Professor, der durch kreative Unterrichtsmethoden die Schüler fasziniert. Er selbst sagt dazu: Das Werk der Erziehung ist ein Kunstwerk. Man darf die Stärken der Kinder wachrufen, Menschen, Heilige formen.
Lucien ist auch in seiner Freizeit für seine Schüler da und verausgabt sich als Priester: Schulstunden, Aufsicht, Nachhilfe, Predigten in der ganzen Diözese, Kurat der Pfadfinder, Beichtvater von Ordensgemeinschaften, geistlicher Begleiter... In diesem turbulenten Alltag überhört er nicht die Stimme seines Herzens, die ihn in die Stille ruft. Durch Kontakte mit Karmelitinnen wird er auf den Karmel aufmerksam. Nach den ersten Karmelschnuppertagen findet er da seinen Weg.
Doch der Bischof gibt den begabten jungen Priester nur ungern her und so muß Lucien warten und lernt, dem Willen Gottes gefügig zu werden.
Von September 1931 an - also 31jährig - ist Lucien nun Mönch von Kopf bis Fuß, aber seine karmelitanische Ausbildung stürzt ihn auch vom Kopf auf seine Füße. Er, der überaus aktiv war, erlebt nun in der großen Stille sein inneres Elend, dem er sich tapfer stellt, und wie ein kleines Kind, mehr und mehr, vertrauensvoll in die Arme des Vaters wirft. Am Fest Kreuzerhöhung erhält er den Habit und den Namen Jacques de Jésus.
Père Jacques sagt: Der Karmel ist eine Gemeinschaft von Menschen, die der Welt den guten Gott zeigen wollen. Man zieht sich nicht aus Schwäche in die Stille zurück, sondern will im inneren Gebet Kräfte sammeln, sich in einer großen Sehnsucht nach Gott ausstrecken, um so immer mehr von Ihm umgeformt zu werden.
Die Karmeliten gründen in Avon, nahe Paris, eine Lehranstalt, um junge Menschen im Geiste des Karmel zu formen. Der 34jährige P. Jacques wird mit der Leitung der Schule betraut. Nun kann er seine reiche pädagogische Erfahrung und seine Liebe zu Christus einsetzen, um die ihm anvertrauten Jugendlichen zu begleiten.
P. Jacques formuliert sein Erziehungsziel so: Kann eine Schule der Karmeliten ein anderes Ziel haben als kleine Heilige zu erziehen? Neben vielem anderen ist es doch das einzige Wesentliche! Alles soll in Freude und Spontaneität geschehen, nicht durch Zwang. Freude in allem, um Gott zu danken für die große Liebe, mit der Er uns liebt.
Im September 1939 bricht der zweite Weltkrieg aus. Die Schule wird geschlossen und P. Jacques muß einrücken. In den verschiedenen französischen Lagern kümmert er sich liebevoll um seine Kameraden. 1940 darf er nach Avon zurück und die Schule erneut öffnen. Früh erkennt er den Schrecken der Nazi-Diktatur. Es gelingt ihm, drei jüdische Kinder unter falschem Namen in die Schule aufzunehmen.
P. Jacques wird jedoch denunziert und am 15.1.1944 verhaftet. Die drei jüdischen Kinder werden nach Auschwitz deportiert und getötet. Über verschiedene Sammellager in Frankreich kommt P. Jacques im April 44 nach Gusen bei Mauthausen, ein Schreckenslager, in dem 40.000 Menschen ihr Leben verloren. Überall fällt P. Jacques durch seine Hingabe und Opferbereitschaft auf. In einem Brief an einen Freund schreibt er: Man braucht Priester in den Gefängnissen! Es gibt so viel Leid und Elend und ich spüre, wie nötig ich gebraucht werde.
In Gusen ist am 7.4.1944 ein Linzer Priester brutal getötet worden - eigenhändig erwürgt vom Lagerkommandanten. Dieser Priester, Dr. Johannes Gruber, sei hier kurz erwähnt, weil er in Österreich noch zu wenig bekannt ist. Er war zwar ein Gefangener, hatte aber durch seine wissenschaftliche Tätigkeit für die SS eine Sonderstellung in Gusen. So konnte er hunderten Menschen durch Lebensmittel und Suppen das Leben retten. Gruber wurde verraten, brutalst gefoltert und getötet. Im selben Monat kam P. Jacques nach Gusen und wurde von den verzweifelten Insassen mit Freude als der neue Papa Gruber begrüßt.
Wie sein Vorgänger setzte sich P. Jacques total für seine Mithäftlinge ein: er teilt mit ihnen seine spärliche Brotration, nimmt sich der Kranken und Sterbenden an, feiert heimlich Gottesdienste, organisiert Diskussionsabende mit Fortbildung für alle, Christen, Kommunisten und Atheisten. Abgemagert zum Skelett ist er von der TBC gezeichnet. Im Mai 1945 wird das Lager befreit. P. Jacques kommt ins Krankenhaus der Elisabethinen nach Linz, wo er am 2. Juni stirbt. Noch im selben Monat wird er nach Frankreich berführt. Sein Seligsprechungsprozeß ist eingeleitet.
Ein französischer Mithäftling in Gusen, ein berühmter Lyriker, schreibt in Gedenken an ihn mehrere Gedichte, mit folgender Widmung: “Für meinen, mehr als einen Bruder geliebten P. Jacques, der das Lächeln seines Christus ins Lager von Gusen trug."
Dieses Portrait möchte ich mit einem persönlichen Zeugnis abschließen: Ich habe mich zwei Jahre lang intensiv mit dem Leben und den Schriften von P. Jacques auseinandergesetzt. Durch meine 35jährige Tätigkeit als Lehrerin haben mich die kreativen Ideen dieses Karmeliten als Pädagoge, vor allem seine tiefe Liebe zu den Schülern sehr angesprochen. In meinem Leben habe ich ebenfalls den Ruf aus einem turbulenten Alltag in die Stille eines kontemplativen Lebens erfahren. Der Mut des P. Jacques, jüdische Kinder in seiner Schule zu verbergen und die damit verbundene Lebensgefahr zeigen seine tiefe Christusliebe, die ihn sein Leben hingeben läßt.
Die Brutalität der Nazischergen beantwortet er mit großer Geduld und Liebe, teilt die letzten Brotstücke und gibt so im wahren Sinn sein Leben hin. Ich weiß, daß diese übermenschliche Liebe ein Geschenk der Gnade Gottes ist, und bin sehr dankbar für das Lebenszeugnis dieses meines karmelitanischen Bruders.