VISION 20005/2008
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Ist Benedikt XVI. erzkonservativ?

Artikel drucken Gedanken vor der Lourdesreise des Papstes

Wie oft hört man Kritik: Der Papst führt wieder den alten Ritus ein, er ärgert die Juden, indem er für deren Bekehrung am Karfreitag beten läßt, er tauft einen Muslim vor laufender FS-Kamera: er unterläuft das 2. Vatikanische Konzil. Wie berechtigt sind solche Vorwürfe?

Glaubt man manchen Kommentatoren, so ist unser derzeitiger Papst, der doch so brillant, bescheiden, so mutig ist, nicht nur abscheulich konservativ, sondern auch noch einer, der das Konzil ablehnt. Man müßte den Gründen, die für diese Behauptung - eigentlich eine Karikatur - angeführt werden, eigentlich im einzelnen nachgehen, um aufzuzeigen, wie tendenziös, ja mißbräuchlich sie sind.

Hier sei beispielsweise nur in Erinnerung gerufen, daß kein einziger offizieller Text verbietet, die Heilige Messe so zu feiern, wie dies zur Zeit des 2. Vaticanums üblich war: daß also der Zelebrant und das gläubige Volk in dieselbe Richtung schauen (grundsätzlich nach Osten, also dorthin, wo das erste Tageslicht aufstrahlt). Natürlich wendet sich der Priester jedesmal, wenn er das Volk anspricht, außerdem bei den Lesungen, der Predigt den Gläubigen zu. Weder die Liturgie-Konstitution “Sacrosanctum Concilium", noch die “Allgemeine Einführung in das Römische Meßbuch" (in allen bisherigen Ausgaben) haben die eine oder andere Ausrichtung vorgeschrieben.

Auf der Leserbriefseite von “La Croix" habe ich mehrere sehr emotionsgeladene Briefe gelesen, manche sehr aggressiv, die den Eindruck erweckten, daß die Erhaltung der früheren Form die Fundamente der Kirche erschüttern und deren Zukunft gefährden würden.

Diese Dramatisierung in Detailfragen macht meiner Ansicht nach zwei Dinge deutlich: Erstens die mangelnde Bildung der Katholiken. Und dann: die Intoleranz, die in manchen Kreisen, die sich für liberal halten, vorherrscht. (...) Dabei ist die Liturgie der Ort der Kommunion - und wir machen daraus den Ort bitterster verbaler Auseinandersetzungen und der wildesten gegenseitigen Ausschlüsse.

Dabei ist klar: Der Heilige Vater, als guter Hirt, möchte doch nur die Versöhnung der beiden Seiten fördern. Er wird sich nie, von welcher Seite auch immer, in Geiselhaft nehmen lassen: Er ist da viel freier als jene, die ihn verächtlich machen.

Überrascht war ich auch, welche Flut an Ratschlägen, sprich Vorwürfen, der Papst von so vielen über sich ergehen lassen mußte, nachdem er einen Journalisten muslimischer Herkunft getauft hatte. Dabei ist das doch ein Ereignis, das uns keineswegs überraschen sollte. Erstaunlich ist vielmehr, daß ein so normaler Vorgang zu einem “Fall" hochstilisiert wird. Sich zu Jesus Christus zu bekehren und um die Taufe zu bitten, sind doch Dinge die vorkommen - oder nicht? Seit 2000 Jahren! Ja, aber der Mann kritisiert den Islam, heißt es dann. Nur - ist das etwa verboten? Kritik soll zum Diskurs anregen und nicht zur Zensur Anlaß geben.

Die offensichtlichste Antwort auf die chronische Herabwürdigung des Papstes läßt sich an dem Echo ablesen, das seine Reisen haben. Regelmäßig heißt es da im Vorfeld, alles würde sehr schwierig werden. In Polen: Wird dieser deutsche Papst überhaupt die Herzen, die noch für Johannes Paul II. schlagen, rühren können? In der Türkei: Wird er den schlechten Eindruck, den seine Regensburger Rede unter den Muslimen hinterlassen hat, auslöschen können? In den USA: Wie wird er sich in diesem Land verhalten, in dem die Kirche sich noch nicht vom Skandal der pädophilen Priester erholt hat?

Und dabei: Jedesmal kam es zu einem Umschwung - nein, nicht der Situation - denn diese ist nun einmal, wie sie ist -, wohl aber der Kommentare. Denn tatsächlich kam es jeweils nicht zum vorhergesagten halben Mißerfolg, sondern zu einem für jeden erkennbaren Erfolg.

Wir können damit rechnen, daß die Reise des Heiligen Vaters nach Paris und nach Lourdes in ähnlicher Weise angekündigt werden wird: als voraussehbarer Mißerfolg. Und das wird nicht verhindern, daß sie wunderbar wird! Diesbezüglich ist Benedikt XVI. ein würdiger Nachfolger Johannes Paul II.

Was die Lehren und das Wirken des einen wie des anderen kennzeichnet, ist das enorme Auseinanderklaffen zwischen dem Urteil der für Religionsfragen zuständigen Medienprofis und dem Empfinden der Menschen. Das gilt sogar für kirchliche Stellen: Wenn es auch offizielle und offiziöse Stellen gibt, die “Rom" von oben herab beurteilen, so gibt es auch das “Volk von unten", das sich nicht schämt, katholisch zu sein. Und ich bin stolz zu letzterem zu gehören!

Alain Bandelier Famille Chrétienne v. 14.-20.6.08

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