Während die Vorstellung, nach dem Tod gäbe es eine Wiedergeburt, immer populärer wird, herrscht in der Kirche über die „letzten Dinge“ vielfach nur Stillschweigen. Nicht so Papst Benedikt XVI. In seiner Katechese über die hl. Katharina von Genua kam er nämlich heuer im Jänner auch auf das Fegefeuer zu sprechen (siehe Kasten). Was diese Heilige uns zu diesem Thema zu sagen hat, lesen Sie im folgenden Beitrag.
Von der großen Mystikerin Katharina von Genua (1447 – 1510) gibt es eine Schrift, den sogenannten Traktat über das Fegefeuer. Katharina sagt darin, daß Gott den Menschen mit einer ursprünglich nach Ihm ausgerichteten Seele, mit einer ganz natürlichen Beziehungsfähigkeit zu Ihm schuf. Dieser Zustand wurde durch die Erbschuld unterbrochen, die zwar keine persönliche Sünde ist, die wir begangen hätten, die aber ein wesentlicher Mangel ist.
Katharina sagt dann weiter, daß im Laufe unseres Lebens durch die persönliche Sünde die Beziehung zu Gott immer wieder in Frage gestellt, gestört, ja zerstört wird. Trotzdem bleibt in der Seele eine oft unbewußte Sehnsucht nach einer intakten Beziehung zu Gott aufrecht, sofern sich ein Mensch nicht willentlich (dazu sind wir leider durchaus imstande) und unwiderrufen (durch Reue und Buße) von Gott abwendet (durch die Todsünde).
Wir können dieses Sehnen unserer Seele schon im diesseitigen Leben erkennen: Wenn wir Got?tes Gnaden, die Er immer wieder aufs neue schenkt, annehmen und dadurch zunehmend lernen, auf Seine Liebe zu uns Antwort zu geben. Nicht nur deswegen, weil Gott unsere Wünsche erfüllen oder uns mit Wohltaten überhäufen kann, sondern weil wir erkennen, daß Er über alle Maßen liebenswürdig ist. Je mehr die Seele von der falschen Eigenliebe befreit wird, die – wie Katharina sagt – „zäh, räuberisch und heuchlerisch ist und die es versteht, das Böse unter dem Schein des Guten zu tun“, desto mehr wird sie Gottes Liebenswürdigkeit erkennen und Ihn um Seiner selbst willen lieben lernen.
Stirbt ein Mensch im Stande der Gnade, erkennt die Seele das volle Maß der göttlichen Liebe und will nichts anderes, als die vollständige Vereinigung mit Gott, das ewige Leben, wofür die Seele ja geschaffen ist. Katharina erklärt nun, daß von der Seite Gottes her gesehen das Paradies kein verschlossenes Tor hat, „denn wer eintreten will, der tritt auch wirklich ein“. Gott, der unendlich barmherzig ist, „steht mit seinen uns entgegengestreckten Armen da, um uns in seine Herrlichkeit aufzunehmen.“
Aber da erkennt die Seele das unüberbrückbare Hindernis der Sünde – den absoluten Gegensatz zu Gott –, das sie am Eingehen in die Seligkeit hindert. Sie erkennt an sich die Spuren, die Wunden der Sünde – Katharina nennt das „Rost“. Es ist dies jene durch die Sünde zugezogene Entstellung und Minderung der ursprünglichen Schönheit der Seele.
Die Seele, die sich von ihrer inneren Sehnsucht nach Gott nicht endgültig losgesagt hat, ergreift in einem Zustand seliger Gottesliebe und dem Sehnsuchtsschmerz nach Gott, freudig die von Gott angebotene und herbeigeführte Läuterung, die sie von diesem Rost befreit: das Fegefeuer. Das bedeutet für die Seele, daß sie bereits in ununterbrochener Beziehung zu Gott steht und sich vollständig aus tiefster Einsicht dem Willen Gottes unterworfen hat. Sie kann daher auch nicht mehr sündigen oder auch nur den geringsten Fehler begehen, weil sie Gott bereits über alles liebt, und zwar in vollendeter und uneigennütziger Liebe. So ist sie sich auch des ewigen Heiles gewiß.
Katharina glaubt nicht, „daß es eine Zufriedenheit gibt, die mit jener einer Seele im Fegefeuer verglichen werden kann, außer jener, die die Heiligen im Paradies haben“. Diese Zufriedenheit wächst ununterbrochen, weil zunehmend auch die Hindernisse (der Rost) durch göttliche Einwirkung, durch das Feuer der göttlichen Liebe, abnehmen. Zugleich aber hat die Seele einen unbeschreibbar heftigen Schmerz.
Katharina erklärt das so: „Wenn sich eine Seele (in der Läuterung) dem Zustand nähert, in welchem sie ursprünglich von Gott rein und lauter geschaffen worden ist, so wird jener beseligende (zu Gott hin gewandte) Drang wieder freigelegt und wächst mit solcher Vehemenz und solcher Glut der Liebe, die diese Seele zu ihrem letzten Ziel hinzieht, daß es ihr unerträglich erscheint, noch weiter gehindert sein zu müssen ... Und da sie (die Seelen) mit größter Klarheit einsehen, wieviel ein Hindernis bei Gott bedeutet, und einsehen, daß jener Drang gemäß dem notwendigen Gesetz der Gerechtigkeit zurückgehalten wird, so wächst dadurch in ihnen ein so heftiges Feuer…“
Die Seele sieht immer mehr die wahre Bedeutung jedes Hindernisses, das sie Gott nicht nahekommen läßt. Immer bewußter erkennt sie den Unterschied zwischen Gottes vollkommener Wesenheit und ihrer eigenen Unvollkommenheit, die sie in ihrer Liebe zu Gott noch behindert. Auch aus diesem Zwiespalt entsteht in der Seele eine Art Feuer, das sie reinigt und läutert.
Diese Läuterung ist auch dadurch so schmerzvoll, weil sie sieht, daß die Liebe Gottes selbst es ist, die die Seele schon bei sich in der ewigen Glückseligkeit haben möchte, aber daß es eben noch diese Hindernisse gibt, die das nicht zulassen. Jedoch auch die Freude wächst immer mehr, je mehr die Seele sich der Liebe Gottes nähert. Sie kann zunehmend das reinigende Feuer der göttlichen Liebe mit immer bewußterer Gegenliebe beantworten, daher sind gleichzeitige Freude und Schmerz kein Widerspruch. Schmerzlich für die Seele ist auch, daß sie zwar die Anschauung Gottes selbst glühend herbeisehnt und sich deren Verwirklichung schon ganz sicher ist, aber diese durch sie selbst noch verzögert wird.
So nimmt dieser schmerzvolle Zustand mit der zunehmenden Reinigung auch gar nicht ab, im Gegenteil, er wird zugleich mit der Freude immer stärker, je näher sie der Befreiung aus der Läuterung ist.
Allmählich wird sie frei von den hindernden Spuren, dem „Rost“, vernichtet doch die göttliche Liebe alles, was in ihr unvollkommen ist, besonders die dem Menschen so verderbliche Eigenliebe, von der zuvor die Rede war. Befreit von der Eigenliebe, erwacht und wächst in der Seele die grenzenlose Freude über die bevorstehende vollkommene Anschauung Gottes, über das ewige Leben in Seiner Liebe. Dadurch erträgt die Seele auch die Schmerzen der Läuterung mit größter Freude.
Die hl. Katharina sieht und erklärt das Fegefeuer nicht als Ort, sondern als Zustand, der durch das Feuer der göttlichen Liebe entsteht. Gott selber ist es, welcher der noch nicht ganz reinen, noch nicht vollkommenen und der Heiligkeit Gottes entsprechenden Seele die Gnade des Heranwachsens zur Vollkommenheit schenkt.
Die Läuterung, die Gott schenkt, ist trotz aller damit verbundenen Schmerzen viel mehr zu ersehnen als zu fürchten, ist sie doch wegen der liebenden Einordnung in Gottes Willen mehr als alles andere ein Zustand der Freude: Sie führt uns in das ewige Leben mit Gott, in unsere wirkliche Heimat, dazu, wie Gott uns ursprünglich geschaffen hat.
Welch ein tröstlicher Gegensatz zu Wiedergeburtslehren sind doch die Einsichten Katharinas!
Das Fegefeuer: kein Ort der Unterwelt, sondern ein inneres Feuer
Es muß erwähnt werden, daß Katharina in ihrer mystischen Erfahrung nie besondere Offenbarungen hat über das Fegefeuer oder über die Seelen, die dort geläutert werden. In den inspirierten Schriften unserer Heiligen ist es jedoch ein zentrales Element. Und ihre Art, es zu beschreiben, hat für ihre Zeit originelle Wesensmerkmale.
Der erste originelle Zug betrifft den „Ort“ der Läuterung der Seelen. In ihrer Zeit beschrieb man ihn in erster Linie mit Rückgriff auf Bilder, die an den Raum gebunden sind: Man dachte an einen bestimmten Raum, wo sich das Fegefeuer befände. Bei Katharina dagegen wird das Fegefeuer nicht als Element der unterirdischen Welt dargestellt. Es ist kein äußeres, sondern ein inneres Feuer. Das ist das Fegefeuer: ein inneres Feuer.
Die Heilige spricht vom Weg der Läuterung der Seele auf die volle Gemeinschaft mit Gott hin, ausgehend von ihrer eigenen Erfahrung des tiefen Schmerzes aufgrund der begangenen Sünden angesichts der unendlichen Liebe Gottes. Wir haben vom Augenblick der Bekehrung gehört, wo Katharina plötzlich die Güte Gottes spürt, die unendliche Ferne des eigenen Lebens von dieser Güte und das brennende Feuer in ihrem Innern. Und das ist das läuternde Feuer, das innere Feuer des Fegefeuers.
Auch hier befindet sich ein origineller Zug im Vergleich zum zeitgenössischen Denken. Denn es wird nicht mit dem Jenseits begonnen, um die Qualen des Fegefeuers zu beschreiben – wie es damals üblich war und vielleicht auch heute noch üblich ist –, um dann den Weg zur Läuterung oder Bekehrung aufzuzeigen, sondern unsere Heilige beginnt bei der eigenen inneren Erfahrung ihres Lebens auf dem Weg zur Ewigkeit.
Papst Benedikt XVI.
Auszug aus der Ansprache bei der Generalaudienz am 12.1.11