Die Kirche ist nicht irgendeine Vereinigung, die sich um die religiösen Bedürfnisse der Menschen kümmert, aber eben ihr beschränktes Vereinsziel hat. Nein, sie bringt den Menschen in Berührung mit Gott und so mit dem Ursprung aller Dinge. Deshalb geht Gott uns als Schöpfer an, und deswegen tragen wir Verantwortung für die Schöpfung. Unsere Verantwortung reicht bis auf die Schöpfung hin, weil sie vom Schöpfer herkommt. (…) Nur weil die Schöpfung Gott gehört, können wir bis ins Letzte auf ihn bauen. Und nur weil Er Schöpfer ist, kann Er uns Leben in Ewigkeit geben. Freude über die Schöpfung, Dankbarkeit für die Schöpfung und Verantwortung für sie gehören zusammen. (…)
Der heilige Johannes hat in den ersten Worten seines Evangeliums den wesentlichen Sinn des Schöpfungsberichts in dem einen Satz zusammengefaßt: „Im Anfang war das Wort.“ In der Tat ist der Schöpfungsbericht (…) durch den gleichmäßig wiederkehrenden Satz bestimmt: „Und Gott sprach…“. Die Welt ist Produkt des Wortes, des Logos, wie Johannes mit einem Zentralwort der griechischen Sprache sagt.
Logos bedeutet Vernunft, Sinn, Wort. Er ist nicht bloß Vernunft, sondern sprechende, sich selbst mitteilende, schöpferische Vernunft. Er ist Vernunft, die Sinn ist und selbst wiederum Sinn stiftet. So sagt uns also der Schöpfungsbericht: Die Welt ist Produkt der schöpferischen Vernunft. Und er sagt uns damit: Am Anfang aller Dinge stand nicht das Unvernünftige, das Unfreie, sondern der Ursprung aller Dinge ist die schöpferische Vernunft, ist die Liebe, ist die Freiheit.
Hier stehen wir vor der letzten Alternative, um die es im Disput zwischen Glaube und Unglaube geht: Ist die Unvernunft, das Unfreie und der Zufall der Ursprung aller Dinge, oder ist der Ursprung des Seins Vernunft, Freiheit, Liebe? Gilt der Primat der Unvernunft oder der Vernunft? Um diese Frage geht es letztlich. Als Gläubige antworten wir mit dem Schöpfungsbericht und mit dem heiligen Johannes: Am Anfang steht die Vernunft. Am Anfang steht die Freiheit. Deshalb ist es gut, ein Mensch zu sein.
Es ist nicht so, daß in dem sich ausdehnenden Universum am Ende in irgendeinem kleinen Winkel des Alls zufällig auch eine Art von Lebewesen entstand, die denken kann und versuchen kann, Vernunft in der Schöpfung zu finden oder in sie hineinzubringen. Wäre der Mensch nur ein solches Zufallsprodukt der Evolution irgendwo am Rand des Alls, dann wäre sein Leben sinnlos oder gar eine Störung der Natur. Aber nein – die Vernunft ist zuerst, die schöpferische, die göttliche Vernunft.
Und weil sie Vernunft ist, hat sie auch Freiheit geschaffen, und weil Freiheit mißbrauchbar ist, darum gibt es auch das Schöpfungswidrige; darum zieht sich gleichsam ein dicker dunkler Strich durch den Bau des Universums und durch das Wesen des Menschen. Aber diesem Widerspruch zum Trotz bleibt die Schöpfung als solche gut, bleibt das Leben gut, weil am Anfang die gute Vernunft, die schöpferische Liebe Gottes steht. Darum ist die Welt erlösbar. Darum können und müssen wir uns auf die Seite der Vernunft, der Freiheit und der Liebe stellen – auf die Seite des Gottes, der uns liebt, so sehr, daß er für uns gelitten hat, damit aus seinem Tod neues, endgültiges, geheiltes Leben hervorgehen konnte.
Auszu aus der Predigt im Petersdom bei der Vigil in der Osternacht am 23.4.11