Vom Ende der Welt zu reden, ist absolut tabu - sogar in der Kirche, dort besonders. Haben Sie schon einmal eine Predigt über das Thema gehört? Ich nicht. Und dabei gibt es Jahr für Jahr Sonntagsevangelien zum Thema.
Während Sekten mit dem Weltuntergang erfolgreich hausieren gehen, scheint es vielen Christen, Priestern, Laien und Bischöfen fast peinlich, das Thema anzuschneiden. Verwundert, wenn nicht sogar etwas belustigt, nimmt man zur Kenntnis, daß die ersten Christen die Wiederkunft des Herrn herbeisehnten und annahmen, sie könnte bald bevorstehen. Heute scheint eher zu gelten: Nur nicht zu viel vom Jenseits reden: Das könnte ja als Verströstung, als Ablenkung von den drängenden Problemen jetzt und hier interpretiert werden.
Zugegeben: Man kann das auf diese Weise mißverstehen und es gab zeitweise auch diese Form von Mißdeutung. Von dieser Fehlhaltung sind wir jedoch heute meilenweit entfernt. Als Christen sind wir eher in Gefahr, den eigentlichen Grund unserer Existenz, das Ziel unseres Daseins aus den Augen zu verlieren. Und dabei: Das einzige Argument gegen die totale Sinnlosigkeit der Existenz, ist die Rede vom neuen Himmel und der neuen Erde. Nach jedem Tod gibt es Auferstehung. Und am endgültigen Ende der zeitlichen Geschichte steht die Perspektive des ewigen Lebens beim liebenden Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist.
Oder sollen wir uns etwa an der Perspektive begeistern, die uns heute unausgesprochen als Triebfeder für unsere Existenz verschrieben wird? Alles geht so weiter wie bisher, wir schaffen es, haben es bisher immer geschafft, es geht aufwärts, die Zukunft ist voller Verheißung, wir verlängern die Trends: Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer - also gut, wir finden einen annehmbaren Kompromiß und werden alle immer reicher: immer mehr Autos, immer mehr Häuser, immer mehr Festessen, immer mehr Reisen auf die Fidschi-Inseln, immer mehr Fernsehstationen, Audio- und Video-CDs... und: immer längeres Leben (100, 120, 140, 180, 250... Jahre), immer mehr Kinder nach Maß, immer mehr Kinderbetreuung für immer weniger Kinder, immer mehr Berufstätigkeit, immer größere Städte ... Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Und das alles auf dem Hintergrund der Vorstellung, alles sei durch Zufall entstanden und löse sich einmal im Nichts auf - spätestens wenn alles dem Gesetz der wachsenden Entropie, also dem Wärmetod, dem physikalischen Abbau der Ordnungen unterlegen ist. In letzter Konsequenz also Sinnlosigkeit pur.
Muß man dann als Träumerei abtun, was uns die Heilige Schrift in Aussicht stellt - einen neuen Himmel und eine neue Erde? Entspricht ihre Botschaft nicht viel eher dem, was uns Menschen im tiefsten Inneren vorschwebt, was wir eigentlich ersehnen? Und ist der, der verkündet hat, Er würde vorausgehen und uns eine Wohnung bereiten, nicht extrem glaubwürdig? Und ist das Wunder des 2000jährigen Fortbestehens der Kirche nicht ein schlagender Beweis dafür, daß Jesus Christus tatsächlich Worte ewigen Lebens hat, die nicht vergehen werden - auch jene nicht, die das Ende betreffen?
Ob dieses Ende und das neue Leben unmittelbar bevorstehen, das wissen wir nicht. Es geht auch nicht darum, es auszurechnen, das Ende vorherzusagen, sich ängstlich nach Zeichen des Untergangs umzusehen, um die Katastrophe möglichst in einer “light-Version" über sich ergehen zu lassen. Das lustvolle Ausmalen apokalyptischer Katastrophen kann man getrost den Untergangspropheten überlassen.
Wohl aber gilt es, schon jetzt den Neubeginn, die Auferstehung im Kleinen, im Alltag, inmitten der vielen kleinen und größeren Enttäuschungen, Rückschläge, Untergänge, mit denen wir Tag für Tag konfrontiert sind, aus der Hand Gottes annehmen zu lernen und darauf zu vertrauen, daß der allmächtige Vater imstande ist, jede Misere in ein Instrument des Heils umzuwandeln. Das sagt uns ja schließlich das letzte Buch der Heiligen Schrift, die Apokalypse: Es mag noch so drunter und drüber gehen: Der lebendige Gott schläft nicht, Er bleibt Herr der Geschichte und Er wendet letztendlich alles, wirklich alles, zum Guten - für jene, die das Geschenk annehmen wollen.
Was aber ist nun dieses wunderbar Gute, das uns in Aussicht gestellt ist? Warum fällt es so schwer, eine Vorstellung von dem zu entwickeln, was uns in der Ewigkeit an Erfüllung erwartet? Ein Grund dafür ist sicher, daß wir zwar recht gut unsere alltäglichen Bedürfnisse beschreiben können, uns aber schwertun, unsere tiefe Sehnsucht zu erfassen.
Und dennoch geben da nicht Erfahrungen, die wir im Alltag machen, Auskunft? Etwa die Erfahrung des Unfriedens: ein Streit mit der Ehefrau, dem Kind, egal wodurch er ausgelöst wurde: Welche innere Unruhe - bis endlich der Friede wiederhergestellt ist! Welche Erlösung im Kleinen! Wir tragen eben eine ganz große Sehnsucht nach Frieden in uns. Und: Wir fühlen uns erleichtert, wenn uns Schuld vergeben wird. Nun: Im neuen Himmel, auf der neuen Erde wird ein unvorstellbarer Friede herrschen, ein Einklang mit allen Wesen, die uns umgeben.
Das wird mehr sein als nur friedliche Koexistenz: Wir werden uns für die anderen zu öffnen vermögen, weil wir nicht mehr ängstlich unser Inneres verbergen müssen. Die vielen Schwächen und Schattenseiten unserer Persönlichkeit, die uns behindern und belasten, vor denen wir selbst gern die Augen verschließen und die wir sorgsam vor den anderen verbergen, werden wir im Licht Gottes erkannt und mithilfe Seiner barmherzigen Liebe gereinigt haben. Alle Tränen, die wir über das Leid, das wir selbst erlitten und anderen bereitet haben, werden getrocknet sein. Endlich werden wir zu dem Geschenk an die anderen, das Gott von Ewigkeit her als Berufung für uns vorgesehen hat.
Wir werden gelernt haben zu vergeben - allen und in allem. Endlich nicht immer dieselben quälenden Gedanken, das Kreisen um erlittenes Unrecht! Endlich auch ein offener Blick für die Schönheit und den Wert der anderen Menschen! Kein Konkurrenzkampf mehr, wer der Bessere, der Schönere, der Fähigere ist. Jeder wird als besonders wichtig, wertvoll, unersetzbar in den Augen aller offenbar. Kein Neid, kein Geiz, keine Mißachtung.
Weil wir erkennen, wie sehr Gott jeden einzelnen liebt, werden auch wir entdecken, wie liebenswert wir selbst und wie liebenswert jeder einzelne ist. Damit wird endlich Gerechtigkeit herrschen: Jedem wird von jedem anderen zuteil, was ihm zusteht. Schluß mit dem Kampf um Lebenschancen.
Keine Spur von langweiliger Idylle, sondern faszinierendes Abenteuer der Entdeckung der wunderbaren Pläne Gottes mit Seiner Schöpfung und Offenbarwerden der unauslotbaren Tiefe Seiner Liebe zu uns. All das spielt sich nicht im luftleeren Raum, in einer Geisterwelt , sondern in einer erneuerten Schöpfung ab. Von ihr wissen wir ja, daß sie in Wehen liegt und “sehnsüchtig" auf “das Offenbarwerden der Söhne Gottes" wartet (Röm 8,19).
Eine ähnlich strahlende Schönheit, die Seher an der Gottesmutter bei ihren Erscheinungen bewundern, wird auch unseren Auferstehungsleib zieren. Diese Schönheit wird alle Wunden, Narben, Verstümmelungen verklären, die uns das irdische Leben zugefügt hat. Mit all unseren Sinnen werden wir genießen, was die erneuerte Schöpfung uns an Schönheit und Früchten darbieten wird - und wir werden Jesus sehen!
Diese Beschäftigung mit dem Leben bei Gott ist keineswegs eine Flucht aus dem Diesseits. Denn eines ist ja unverkennbar: Unser ewiges Leben hat ja schon längst begonnen. Daher erfahren wir schon jetzt bruchstückhaft, was uns später in Fülle erwartet: Die Freude an der Schönheit, an der erwiesenen und geschenkten Liebe, an der erkannten Wahrheit, die Hoffnung selbst dort, wo alles hoffnungslos erscheint...
Ich gestehe sofort, daß diese Perspektive keinerlei Anspruch erhebt, die Lehre der Kirche umfassend wiederzugeben. Diese Vorstellung ist Ergebnis meiner Beschäftigung mit dem Thema in den letzten Wochen. Ich denke aber, daß es gut wäre, wenn wir über die Phase der Sprachlosigkeit in dieser so wichtigen Frage unseres Lebens bei Gott hinauskämen. Es könnte dazu beitragen, daß wir damit aufhören, über die - zweifellos äußerst besorgniserregenden - Zeitläufe nur zu klagen. Zwar sollen wir all die Zeichen sehen, aber bei ihrem Anblick nicht in Resignation verfallen, sondern im Gegenteil die Häupter erheben. Wir haben ja eine wunderbare Perspektive!
Famille chretienne