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Das Mittelalter: Blütezeit Europas

Artikel drucken Kirchengeschichte: einmal positiv

Es gehört zum unbefragten, in den Medien liebevoll gepflegten “Wissensstand" des modernen Menschen, daß das Mittelalter eine düstere Periode der europäischen Geschichte war. Sie wissen schon: Inquisition, Hexenverbrennung, von einer autoritären Kirche unmündig gehaltene Laien...

Erst die Renaissance habe den Aufschwung herbeigeführt, der Vernunft Raum gegeben, die Befreiung des Menschen aus Herrschaft und Unwissenheit gebracht. Wie ideologisch befrachtet diese Sichtweise ist, weist Thomas E. Woods in seinem nunmehr auch in deutscher Sprache erschienenen Werk Sternstunden statt dunkles Mittelalter nach.

Der Autor zeigt, daß keine andere Institution als die Kirche die Kultur des Westens mehr geformt hat. Wer kennt heute allein schon die folgende Tatsache? Nach dem Ende der spätrömischen Antike, einer wahrhaft dunklen Zeit, ist es ihr als einziger funktionierender Einrichtung gelungen, in den Wirren der Völkerwanderung, die europäische Zivilisation vor dem Untergang zu bewahren. Damals hat sie Kulturtechniken, die uns heute selbstverständlich erscheinen, wie Lesen und Schreiben, über die Zeiten hinweggerettet.

Die Klöster waren Orte, an dem Kultur im besten Sinne des Wortes bewahrt wurde: Das Wissen ebenso wie Methoden der Landwirtschaft. Außerdem wurden weite unbesiedelte Räume urbar gemacht und der Lob Gottes zur Quelle für das unsagbar reiche musikalische Schaffen der späteren Epochen.

Im Mittelalter, einer vom Glauben geprägten Periode, entstand eine blühende städtische Kultur mit den herausragenden Bauwerken, die heute zu den Hauptattraktionen des boomenden Städtefremdenverkehrs zählen Mit der Gründung von Universitäten in Oxford, Bologna oder Paris wurde der Grundstein moderner Wissenschaft gelegt. Keine Rede von Engstirnigkeit und Unterdrückung geistiger Tätigkeit - im Gegenteil.

Wood weist darauf hin, daß es der christliche Glaube an einen Schöpfer und den nach seinem Abbild geschaffenen Menschen war, der die Entwicklung der modernen Naturwissenschaften ermöglichte. In anderen Kulturkreisen hat sich nichts Vergleichbares entwickelt. Es wäre auch aufgrund der vorherrschenden Gottes- und Menschenbilder nicht möglich gewesen.

Noch heute zehren wir von dem christlichen Menschenbild, das die Epoche des Mittelalters geprägt hat: Woher kommen denn die Menschenrechte, wenn nicht von der Vorstellung, daß jedes menschliche Leben heilig ist?

Dem Feminismus ruft Woods in Erinnerung, wieviel die Kirche zur Verbesserung der Stellung der Frau beigetragen hat. Weil diese Frage heute so umstritten ist, ein etwas längeres Zitat aus dem Buch: “Ehebruch lag nach der Lehre der Kirche nicht, wie es im Altertum häufig der Fall war, nur dann vor, wenn eine Frau ihrem Ehemann, sondern auch, wenn ein Mann seiner Ehefrau untreu wurde. Der Einfluß der Kirche auf diesem Gebiet war von großer historischer Bedeutung, und Edward Westermarck, ein Experte für die Geschichte der Institution der Ehe, spricht der Kirche das Verdienst zu, hinsichtlich des Ehebruchs die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau durchgesetzt zu haben. Diese Prinzipien erklären zum Teil, weshalb der Frauenanteil in der christlichen Bevölkerung in den ersten Jahrhunderten so hoch gewesen ist... Ein Teil der Anziehungskraft, die diese Religion auf die Frauen ausübte, bestand darin, daß die Kirche die Ehe zu einem Sakrament erhob und somit heiligte und daß sie die Scheidung verbot (was in der Realität bedeutete, daß sie es den Männern verbot, ihre Frau unversorgt zurückzulassen und eine andere zu heiraten)."

Und wo gibt es eine Kultur wie die des Mittelalters, in der Frauen ihre eigenen Schulen, Klöster, Hospitäler und Waisenhäuser führen konnten?

Soviel aus der enormen Fülle von Fakten, die heute vielfach unbekannt sind, aber wesentlich dazu beitragen können, daß Christen gelassen reagieren und aufklärend wirken können, wenn in Gesprächen die üblichen Klischees über das dunkle Mittelalter aufgetischt werden und die Kirchengeschichte schwarz in schwarz gemalt wird.

Am Ende des Buches läßt Woods die französische Philosophin Simone Weil zu Wort kommen: “Ich bin nicht katholisch, aber ich betrachte die christliche Idee, die im griechischen Denken wurzelt und aus der im Lauf der Jahrhunderte unsere gesamte europäische Zivilisation gespeist worden ist, als etwas, auf das man nicht verzichten kann, ohne herabzusinken." Bedenkenswert für alle, die sich rastlos an der Gestaltung der Zukunft zu schaffen machen. CG

Sternstunden statt dunkles Mittelalter. Die katholische Kirche und der Aufbau der abendländischen Zivilisation. Von Thomas E. Woods, mm-verlag, 304 Seiten, 22,50 Euro.

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