Lebendiger Glaube in den Ländern des Südens: Steigende Zahlen der Gläubigen, bei Priestern und Seminaristen. Gespräch mit dem Nationaldirektor der Päpstlichen Missionswerke über die Ursachen dieser Entwicklung und die Herausforderung, die dies für Europa darstellt:
In vielen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas gibt es im Gegensatz zu Europa und Nordamerika einen richtigen Boom von Priesterberufungen. Worauf ist dieser zurückzuführen?
P. Leo Maasburg: Ein Beispiel für diesen Boom ist das Seminar in Yaoundé in Kamerun. Dort muß man derzeit zwei von drei Bewerbern abweisen, weil es an finanziellen Mitteln für die Ausbildung mangelt. Ich schätze aber, daß in Kamerun immer noch sechs bis siebenhundert Kandidaten für das Priesteramt studieren. Heute trägt also die Verkündigung der letzten 50 bis 70 Jahre ihre Frucht. Der sehr dynamische Einsatz der Missionare aus Italien, Österreich, der Schweiz, Frankreich oder Spanien und ihre enormen Opfer waren nicht vergeblich. In die Mission zu gehen war und ist ein ganz starkes Zeugnis, und die Leistung der Missionare einfach unbeschreiblich. Sie bauen die tragende Struktur eines Landes auf. Wie ein Körper ohne Knochen und Muskeln nicht stehen kann, so stirbt ein Land ohne die christlichen Werte.
Heute glaubt man zwar, daß die Entwicklungshilfe den Ländern den Fortschritt bringt. Das stimmt, aber nur, wenn die sozialen und moralischen Werte grundgelegt und erhalten werden. Trifft die Entwicklungshilfe nicht auf eine Grundstruktur von Bildung, von Gemeinschaftsgeist und von Ehrlichkeit, so fällt sie fast ganz ins Leere und landet vielfach in Kanälen der Korruption oder wird für Waffenkäufe verwendet.
Hier in Europa kann man noch die Meinung hören, daß Mission funktionierende Strukturen, ja ganze Kulturen zerstört hätte. Das steht doch einigermaßen im Widerspruch zu dieser Aussage...
P. Maasburg: Das Zweite Vatikanische Konzil hat es klar ausgesprochen: Das Christentum muß alles was in anderen Kulturen oder Systemen gut, wahr und schön ist annehmen, wertschätzen und erhalten. Wohlgemerkt: muß - nicht kann. Alles was gut, wahr und schön ist, kommt immer von demselben Geist, vom Heiligen Geist. Das Christentum nimmt also alles, was gut, wahr und schön an einer Kultur ist, an, reinigt es und fördert es, läßt es wachsen und schützt es. Der Großteil der Missionare hat dies auch intuitiv so gemacht, auch wenn man heute dazu neigt nur die Fehler zu sehen. Natürlich gab es solche. Im Großen und Ganzen sind die Missionare aber “allen alles" geworden - wie der Hl. Paulus von sich selber gesagt hat, d.h. wer das Evangelium “einpflanzen" will, muß sich ganz in die Kultur des Landes eingelebt haben in die er eintritt.
Man denke nur an den seligen Daniele Comboni, in Afrika, oder an den Heiligen Josef Freinademetz in China. Letzterer war selbst seinem Aussehen und seiner Kleidung nach von einem Chinesen nicht zu unterscheiden, obwohl er ein Südtiroler Bauer war. Sein Chinesisch war so perfekt, daß es von den Chinesen als Maßstab für die korrekte Sprache angesehen wurde. Da wird sichtbar, daß diese Missionare Teil des Landes und der Kultur geworden sind. Genährt vom Wort Gottes, kann auf diese Weise etwas aus der eigenen Kultur wachsen, das kraftvoll und gut ist. Auf dieser Grundlage kann erst Entwicklungshilfe aufbauen. Fehlt diese Grundlage, versickert sie, wie Regen in den Rissen ausgedorrter Erde.
Heißt das, man kann Mission als Voraussetzung für Entwicklungshilfe ansehen?
P. Maasburg: In einem generellen Sinn kann man das sicher sagen. Die Grundlage für jede Entwicklung eines Sozialwesens ist Bildung: Herzensbildung und intellektuelle Bildung. Man kann zwar künstlich eine Industrialisierung aus dem Boden stampfen, aber langfristig wird sie Opfer der destruktiven Kräfte, die im Menschen schlummern: Eine Bombe zerstört in Sekunden was oft durch Jahre aufgebaut worden ist. Wenn das Herz nicht zu Liebe und Versöhnung gebildet wurde, wird es über kurz oder lang immer wieder der Verführung der Gewalt erliegen. Der Mensch muß das Gemeinwesen, den Staat nach bestem Wissen und Gewissen aufbauen, aber es ist Aufgabe der Kirche und ihrer Institutionen die Herzen der Menschen zu bilden.
Das sehen wir in Europa hier allerdings überwiegend anders. Viele, vor allem in den Medien, meinen, man müsse die Angehörigen anderer Religionen bei ihrem Glauben lassen...
P. Maasburg: Ja, andere Kulturen zu glorifizieren, besonders wenn sie fern, oder längst verschwunden sind ist heute in Mode. Nehmen wir die Aztekische Kultur als Beispiel. Cortez und den ihm folgenden Missionaren wird oft vorgeworfen, sie hätten diese Kultur zerstört. Sie wird als kleines Paradies-Ghetto dargestellt, das so niedlich erscheint, wenn die Kulturreste von Touristen bewundert oder bei uns in Museen ausgestellt werden.
Kulturen sind aber Lebenswirklichkeiten, in denen sich das ganze Wesen des Menschen ausdrückt. Und dieses Wesen ist - so erklärt es unser Glauben klar - eben das, eines gefallenen Menschen. Die aztekische Kultur hatte sicherlich wunderschöne Bauten, und manch andere beeindruckende kulturelle Errungenschaften vorzuweisen.
Sie kannte aber auch einen Opferglauben, der - nach christlichem Verständnis schwer mißgeleitet - jährlich 30.000 bis 35.000 Menschenopfer forderte: in unseren Augen nicht gerade paradiesisch. In einer einzigartig “missionarischen" Weise erschien in diese Kultur hinein vor den Augen des Bischofs von Mexiko im Jahr 1531 das Bildnis der Gottesmutter auf dem Umhang des Hl. Juan Diego.
Was neben der wunderbaren Entstehung des Bildes noch beeindruckt, ist, daß die dargestellte Sonnengöttin in jeder Geste und jedem Detail des Bildes “inkulturiert" ist, das heißt die Sprache des Volkes und der aztekischen Kultur spricht. Mit einer Ausnahme: ein schwarzes Kreuz, das sie um den Hals trägt. Es ist das Kreuz der christlichen Spanier. So wußten die Azteken: die Sonnenkönigin, die uns auf diesem Bild erscheint, ist nicht nur unsere Königin, sondern auch die der spanischen Eroberer. Die Azteken waren übrigens vollkommen auf die neue Epoche vorbereitet. In ihrer Zeitrechnung waren sie gerade zum Abschluß einer Zeit-Epoche gelangt und in Erwartung der Offenbarung des Neuen.
Als die Muttergottes am 12. Dezember 1531 erschien, begann genau an diesem Tag der neue Zyklus, die neue Epoche der Azteken. Dieser “Zufall" war wohl einer der Gründe, warum sich innerhalb von zwei Jahren zwischen vier und sechs Millionen Azteken taufen ließen - zum Teil nicht zur vollen Begeisterung der Franziskaner, die mit den Taufen kaum nachkamen. Das ist ein gutes Beispiel für die Offenheit der Kulturen. Sie sind offen für die - richtige! - Evangelisation.
Ist also die Tatsache, daß es jetzt in verschiedenen Teilen der Welt so viele Priesterberufungen gibt, ein Indikator für die Qualität der bisherigen Mission?
P. Maasburg: Ich glaube das kann man sagen: Wieviel Einsatz, Gebet und Opfer wurden da erbracht! Ja sogar, wieviel Lebensopfer! Ich erinnere mich an einen Friedhof im Kongo, dem ersten Friedhof von Missionaren in Afrika. Da gibt es Reihen von Gräbern: in der ersten Reihe sind nur Priester begraben von denen keiner älter war als 25 oder 26 Jahre. Gerade neu geweiht kamen sie in die Mission und nach einem Jahr oder zwei waren sie tot. In der zweiten Reihe der Gräber sind die verstorbenen Priester dann schon 28 oder 29, in der dritten über 30. Die ersten Generationen sind sofort an Ruhr gestorben. Sie haben es gewußt, sind aber dennoch gekommen und haben immer wieder neu aufgebaut. All diese Opfer waren nicht vergebens, sondern tragen heute ihre Früchte.
Können die örtlichen Diözesen all diese vielen Neupriester aufnehmen? Oder findet bereits ein “Export" von Priestern statt?
P. Maasburg: Zunächst einmal ist in den Missionsländern selbst ein großer Bedarf an Priestern. Dort müssen die kirchlichen Strukturen ja erst aufgebaut werden. In manchen Ländern, etwa in Kamerun oder in manchen lateinamerikanischen, in vielen indischen Diözesen gibt es einen Überschuß an Priestern. Und so gibt es in Europa schon einen Anteil von etwa acht bis zehn Prozent ausländischer Priester. Da fließt sozusagen die ursprüngliche “Investition" schon wieder zu uns zurück. Ein Zeichen dafür, daß die Mission wirklich global geworden ist, sie ist keine Einbahn mehr von Europa in die Länder des Südens. Mittlerweile ist es ein Geben und Empfangen.
Vielleicht tragen diese Früchte aus der Missionsarbeit vergangener Generationen Europäischer Missionare dazu bei, Europa heute vor einen vollständigen Glaubensverlust zu bewahren?
Was macht den Glauben in den Ländern des Südens so attraktiv?
P. Maasburg: Was uns oftmals ins Auge sticht, ist den Einheimischen nicht unbedingt das Wesentlichste. Uns fallen die Kirchen Afrikas wegen ihrer Farbenpracht, ihrer vollen Gesängen, oder auch ihrer lange dauernden Messen auf, ebenso die große Freude, die sie ausdrücken. In Afrika haben die Menschen erkannt, daß ihr tiefer Familien- oder Stammessinn in der Kirche ganz angenommen wird. Ihr Bewußtsein zusammenzugehören ist ein wesentlicher Teil dessen, was Christus uns zeigt: Wir sind alle Kinder Gottes, gehören zur “Familie Gottes in der Welt. Das erfaßt der Afrikaner wesentlich tiefer als der moderne Europäer, der ein Kind des Individualismus ist. Da gibt es wenig Solidarität mit der Lehre der Kirche in Glaubensfragen. “Das mache ich mir mit Gott selbst aus", kann man bei uns oft hören. In Afrika kann es immer noch vorkommen, dass ein ganzer Stamm beschließt, den christlichen Glauben anzunehmen.
Bei Exerzitien von indischen Geistlichen wird erfahrbar, daß sie eine sehr direkte, nicht intellektuell Art haben, das Evangelium zu verkünden. Ist das ein Merkmal des Glaubens der südlichen Länder?
P. Maasburg: Ich glaube, es ist ein Merkmal der europäischen, ja der industrialisierten Länder, daß sie den Glauben intellektualisiert haben. Deswegen haben sie den unmittelbaren Zugang zum Glauben verloren. Dieser führt aber immer zu einer persönlichen Begegnung mit Christus im eigenen Leben, der Intellektualismus schirmt vielfach von dieser Begegnung ab. Das ist ein Problem Europas und Nordamerikas. Aber die normale Evangelisation trifft den Menschen ins Herz und nicht ins Hirn. In den Ländern des Südens wird der Glaube oft so verkündet, wie Christus ihn selbst verkündete. Er hat ja nicht intellektuelle Gebäude konstruiert und Theorien verbreitet, sondern an praktischen Beispielen gezeigt, was es heißt, ein Kind Gottes zu sein.
Das Gespräch mit dem Nationaldirektor der Päpstlichen Missionswerke in Österreich führte Christof Gaspari.