Gott existiert. Ich bin Ihm begegnet. Ich bin Ihm unvermutet begegnet – durch Zufall würde ich sagen, wenn bei einer Begebenheit solcher Art überhaupt der Zufall im Spiele sein könnte – mit dem Staunen, das etwa ein Mensch empfinden würde, der in Paris bei einer Straßenbiegung statt des bekannten Platzes, der wohlvertrauten Kreuzung ein unendliches Meer vor sich ausgebreitet und Wellen die Häuser umspülen sähe. Es war ein Augenblick der Verblüffung, der noch andauert. Ich habe mich niemals an die Existenz Gottes gewöhnt. Um 17 Uhr 10 Minuten war ich auf der Suche nach einem Freund in eine kleine Kirche des Quartier Latin eingetreten und verließ sie um 17 Uhr 15 Minuten im Besitz einer Freundschaft, die nicht von dieser Erde war.
Als ein Skeptiker und Atheist der äußersten Linken war ich eingetreten, und größer noch als mein Skeptizismus und mein Atheismus war meine Gleichgültigkeit gewesen: mich kümmerten andere Dinge als ein Gott, den zu leugnen mir nicht einmal in den Sinn kam, so sehr schien er mir längst nur mehr auf das Konto der menschlichen Angst und Unwissenheit zu gehören – ich ging wenige Minuten später hinaus als ein „katholischer, apostolischer, römischer“ Christ, getragen und emporgehoben, immer von neuem ergriffen und fortgerissen von der Woge einer unerschöpflichen Freude.
Ich war 20 Jahre, als ich eintrat. Als ich hinausging, war ich ein zur Taufe bereites Kind…
Hier sind die Fakten: Es ist der 8. Juli. Ein herrlicher Sommertag. Vor mir öffnet sich, schnurgerade, im vollen Sonnenlicht die Rue d`Ulm bis zum Panthéon hin (…) Es ist 17 Uhr 10 Minuten. In zwei Minuten werde ich Christ sein. Gelassener Atheist, der ich bin, ahne ich wahrhaftig nichts davon, als ich des Wartens müde, kopfschüttelnd über die nicht enden wollenden, unverständlichen Andachtsübungen meines Kameraden, nun meinerseits die kleine Eisentüre aufstoße, um als Neugieriger oder als Zeichner das Gebäude näher in Augenschein zu nehmen, in dem er sich, wie mir vorkommt, schon eine Ewigkeit aufhält.
Was man von der Kapelle oberhalb des Portals sehen konnte, war nicht gerade erhebend. (…) Ordensschwestern (…) sprechen mit wechselnden Stimmen irgendein Gebet (…) Neben der Türe stehend, spähe ich nach meinem Freund, und es gelingt mir nicht, ihn unter den knieenden Gestalten vor mir zu erkennen.
Mein Blick wandert vom Dunkel zum Licht, kehrt zu den anwesenden Menschen zurück, ohne irgendeinen Gedanken mitzubringen, gleitet von den Gläubigen zu den unbeweglich verharrenden Ordensfrauen und bleibt dann, ich weiß nicht warum, an der zweiten Kerze haften, die links vom Kreuz brennt… In diesem Augenblick bricht jäh eine Welle von Wundern los, deren unerbittliche Gewalt in einem Nu von dem absurden Wesen, das ich bin, die Hülle reißen und das Kind, das ich nie gewesen bin, geblendet von dem Glanz, ans Tageslicht bringen wird.
Zuallererst werden mir die Worte „geistliches Leben“ eingegeben. Sie werden mir nicht gesagt, ich forme sie nicht selbst, ich hörte sie, als würden sie neben mir mit leiser Stimme von einer Person gesprochen, die sieht, was ich noch nicht sehe. Kaum hat die letzte Silbe dieses leisen Vorspiels die Schwelle meines Bewusstseins erreicht, da bricht von neuem die Lawine los. Ich sage nicht: der Himmel öffnet sich; er öffnet sich nicht, er stürzt auf mich zu…
Wie soll ich´s schildern, mit diesen abgedankten Worten, die mir den Dienst versagen und mir die Gedanken abzuschneiden drohen, um sie in das Magazin der Einbildungen zu verweisen? (…) Es ist die Wirklichkeit, es ist die Wahrheit, ich sehe sie vom dunklen Strand aus, wo ich noch festgehalten bin. Es ist eine Ordnung im Universum, und an ihrer Spitze, jenseits dieses funkelnden Nebelschleiers, ist die Evidenz Gottes, die Evidenz, die Gegenwart ist, die Evidenz, die Person ist, die Person dessen, den ich vor einer Sekunde noch geleugnet habe, den die Christen unseren Vater nennen und dessen milde Güte ich an mir erfahre, eine Milde, die keiner anderen gleicht…
Ihr überwältigender Einbruch ist begleitet von einer Freude, die nichts anderes ist als der Jubel des vom Tod Erretteten, des gerade noch zur rechten Zeit aufgefischten Schiffbrüchigen, mit dem Unterschied allerdings, dass mir erst in dem Augenblick, da ich dem Heil entgegen emporgerissen werde, zum Bewusstsein kommt, in welchem Schlamm ich, ohne es zu wissen, versunken war – und ich frage mich, der ich noch mit halbem Leibe darin gefangen bin, wie ich darin leben, darin atmen konnte.
Zugleich ist mir eine neue Familie geschenkt worden: die Kirche, deren Aufgabe es ist, mich dorthin zu führen, wohin ich gehen muss, denn soviel ist klar, dass trotz des gegenteiligen Scheins mir noch eine Strecke Weges zurückzulegen bleibt, die nur aufgehoben werden könnte durch die Umkehrung der Schwerkraft. Alle diese Empfindungen, die ich in die ohnmächtige Sprache der Gedanken und Bilder zu übertragen mich mühe, sind gleichzeitig, sind eine in der anderen eingeschlossen, und nach Jahren noch werde ich ihren Gehalt nicht ausgeschöpft haben. Alles ist beherrscht von der einen Gegenwart, der zugleich jenseitigen und in unser aller, der unübersehbaren Versammlungsmitte weilenden Gegenwart des Einen, dessen Namen ich nie mehr werde schreiben können, ohne dass mich die Sorge überfällt, seine Liebe zu verletzen, vor der ich stehe als ein Kind, dem das Glück zuteil geworden ist, Verzeihung zu finden, und das erwacht, um zu erfahren, dass alles Geschenk ist.
Draußen scheint noch immer die Sonne, ich bin ein fünfjähriges Kind, und diese Welt, vorher aus Stein und Asphalt, ist ein großer Garten, in dem es mir erlaubt ist zu spielen, solange es dem Himmel gefällt, mich darin zu lassen. Willemin, der neben mir geht und etwas Besonderes in meinem Gesichtsausdruck bemerkt zu haben scheint, sieht mich mit der Eindringlichkeit eines Diagnostikers an: „Ja, was hast du denn?“ – „Ich bin katholisch“, und als hätte ich Angst, mich nicht klar genug ausgedrückt zu haben, füge ich hinzu: „apostolisch, römisch“, damit mein Bekenntnis vollständig sei. „Du hast ja die Augen ganz aufgerissen.“ – „Gott existiert, und alles ist wahr.“
André Frossard
Quelle: Gott existiert - Ich bin ihm begegnet. Von André Frossard. Verlag Dr. Müller Düsseldorf
„Es ist wahr, Gott existiert!“
Eher um Stoff für ein paar kritische Äußerungen über die Kirche zu sammeln, hatte Paul Claudel, in einer religös gleichgültigen Familie aufgewachsen und als junger Dichter dem Zeitgeist verfallen, am 25. Dezember 1886 am Weihnachtshochamt in der Pariser Kathedrale Notre Dame teilgenommen. Und weil er nachmittags nichts Besseres zu tun hatte, kam er zur Vesper nochmals dorthin. So stand er nun, mitten in der Menge, in der Nähe der Sakristei, der Knabenchor sang das Magnicat. Und da geschah es, wie Claudel später schildert:
„In einem Nu wurde mein Herz ergriffen, ich glaubte. Ich glaubte mit einer so mächtigen inneren Zustimmung, mein ganzes Sein wurde geradezu gewaltsam emporgerissen, ich glaubte mit einer so starken Überzeugung, mit solch unerschütterlicher Gewissheit, dass keinerlei Platz auch nur für den leisesten Zweifel offen blieb, dass von diesem Tage an alle Bücher, alles Klügeln, alle Zufälle eines bewegten Lebens meinen Glauben nicht zu erschüttern, ja auch nur anzutasten vermochten. Ich hatte plötzlich das durchbohrende Gefühl der Unschuld, der ewigen Kindschaft Gottes, das Gefühl einer unaussprechlichen Offenbarung.
Schon öfter habe ich den Versuch angestellt, die Minuten zu rekonstruieren, die diesem außergewöhnlichen Augenblick folgten; dabei stoße ich auf eine Reihe von Elementen, die indessen nur einen einzigen Blitz bildeten, eine einzige Waffe, deren die göttliche Vorsehung sich bediente, um endlich das Herz eines armen verzweifelten Kindes zu treffen und sich den Zugang zu ihm zu verschaffen: Wie glücklich doch die Menschen sind, die einen Glauben haben! Wenn es wirklich wahr wäre? Es ist wahr! Gott existiert, er ist da. Es ist jemand, es ist ein ebenso persönliches Wesen wie ich! Er liebt mich, er ruft mich.“