VISION 20004/2012
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Glauben wie ein Kind

Artikel drucken Kindlich sein, nicht kindisch (Don Pietro Cantoni)

Glauben – das ist ein bißchen so wie Gehorchen: Im Römerbrief spricht der hl. Paulus vom Glauben wie vom Gehorsam: Wenn ich glaube, bin ich eigentlich jemand, der gehorcht. Wenn mir etwas gesagt wird, nehme ich das an, nicht etwa weil ich verstehe, dass es wahr ist, sondern weil ich dem vertraue, der es mir sagt. (…)
Wie lässt sich nun der Glaubensgehorsam kennzeichnen? Er ist dem Verhalten ähnlich,  wie Kinder ihren Eltern gehorchen. Wenn ein Kind seinem Papa folgt, tut es das nicht, weil sein Papa mehr Erfahrung hat und er daher Recht haben muss, sondern es respektiert den Vater instinktiv, bewundert ihn und hat ihn sich zum Vorbild genommen.
Wir wissen, wie sehr gerade das heute in der Krise, die die Familie erlebt, in Mitleidenschaft gezogen ist und so zu Erziehungsfehlern und -problemen  führt. Dieser Umstand stellt eines der größten Probleme unsere Zeit dar. Meistens ist das Kind enttäuscht, schockiert, vor allem in jener Entwicklungsphase, in der es unbedingt nach totalem Vertrauen verlangen würde, einem Vertrauen, das allein imstande ist, es in ausgewogener Weise heranwachsen zu lassen.
Wenn die Heilige Schrift davon spricht, wir sollten wie die Kinder werden, bezieht sie sich genau auf diesen Aspekt des kindlichen Seins: den Sinn des Vertrauens, des Respekts, der Bewunderung in der Begegnung mit den Personen des Vaters und der Mutter. „Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.“  Es geht da um eine Metapher, genau genommen um eine Analogie, in der etwas Ähnliches, gleichzeitig aber auch ein Unterschied ausgedrückt wird. Jesus verlangt nicht von uns, Kinder in dem Sinn zu werden, den man als Infantilität bezeichnet: „Seid doch nicht Kinder an Einsicht, Brüder! Seid Unmündige an Bosheit, an Einsicht aber seid reife Menschen!“ (1Kor 14,20)
Das Kind ist ja fraglos noch unreif. Es weiß noch nicht, obwohl es von einem unwiderstehlichen Drang besessen ist, mehr zu wissen. „Wenn aber das Vollendete kommt, vergeht alles Stückwerk. Als ich ein Kind war, redete ich wie ein Kind, und urteilte wie ein Kind. Als ich ein Mann wurde, legte ich ab, was Kind an mir war. Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie auch ich durch und durch erkannt worden bin.“ (1Kor 13,10-12)
Dieser für Erwachsene sogar oft lästige, unverschämte Wissensdrang des Kindes äußert sich im ununterbrochenen Fragen. Diese Fragen sind „schwierig“, bringen daher auch oft in Verlegenheit. Das Kind hört erst dann zu fragen auf, wenn es das Vertrauen in den Erwachsenen verloren hat, meist wegen des schlechten Vorbilds, das dieser abgibt. Das Kind ist klein, trägt aber den Wunsch zu wachsen in sich. Ein Kind, das bleiben will, so wie es eben ist, hat offensichtlich Probleme: Seine Infantilität ist quasi „pathologisch“. Wer in diesem Stadium verharrt, setzt sich der Gefahr aus, vor der Paulus im Epheserbrief warnt: „Wir sollen nicht mehr unmündige Kinder sein, ein Spiel der Wellen, hin und her getrieben von jedem Widerstreit der Meinungen, dem Betrug der Menschen ausgeliefert, der Verschlagenheit, die in die Irre führt.“ (Eph 4,14).
Dennoch gibt es eine Einfachheit, eine Arglosigkeit, eine Demut, die dem Menschen auch als Erwachsener, als alter Mensch und als Intellektueller erhalten bleiben  sollen.  Nur wo diese Haltungen anzutreffen sind, stellen sie die Voraussetzung für den wahren Glauben dar: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast.“ (Mt 11,25)

Auszug aus „il Timone“ Juni 2012

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