VISION 20004/2012
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Wer glaubt, verschenkt sein Herz

Artikel drucken Auch die agnostische Welt „glaubt“– jedoch den falschen Autoritäten (Von Christof Gaspari)

Europa scheint Abschied vom Glauben zu nehmen. Damit darf sich die Kirche nicht abfinden. Wer zum Glauben gefunden hat, kann gar nicht anders, als das weiterzuschenken, was sein eigenes Leben erfüllt.

Keine Frage: Die Lage ist bedenklich: Der Anteil der Katholiken an der Bevölkerung in Österreich nahm von 1981 bis 2011 von 84% auf 64% ab. Wie wenig aussagekräftig das Etikett „Katholik“ darüber hinaus ist, illustriert ein Artikel in Die Presse (v. 1.9.07): „Eine knappe Mehrheit der Katholiken (53%) glaubt noch an Gott. An die Grundbotschaften des Christentums, dass Christus Sohn Gottes und von den Toten auferstanden ist, glaubt nur ein Drittel der Katholiken. Der (…) Glaubenssatz, dass es einen Himmel gibt, in den man kommen kann, wird nur von 23% der Katholiken geglaubt. Das hält sich – unter Katholiken wohlgemerkt – schon fast die Waage mit dem Glauben an eine Wiedergeburt fernöstlichen Musters (18%).“ Vergleicht man diese Ergebnisse mit Erhebungen in Frankreich oder Deutschland, schneidet Österreich sogar noch relativ gut ab.
Was ist da passiert? Kardinal Joseph Ratzinger hat dies 2003 in einem Tagespost-Interview treffend analysiert. Mit der Aufklärung habe sich ein neues Weltbild etabliert, das auf Gott verzichtet: „Alles, so scheint es, ist materiell erklärt; man braucht, wie Laplace schon gesagt hat, die Hypothese Gott nicht mehr; alles wird aus materiellen Faktoren erklärt. Die Evolution ist gleichsam die neue Gottheit geworden. Nirgendwo ist ein Übergang, an dem man einen Schöpfer bräuchte – im Gegenteil: Ihn einzufügen, erscheint wissenschaftlichen Gewissheiten entgegengesetzt und insofern etwas kaum noch Vertretbares zu sein.“
Der Glaube erscheint nun als vorwissenschaftliches, unbegründetes Vermuten: In früheren Zeiten habe die Kirche dem noch unaufgeklärten Volk ihre Vorstellungen aufgedrängt, von der Jungfrauengeburt, den Wundern, der Auferstehung… – wissenschaftlich unhaltbar. Daher auch die Bemühungen, deren Lehre an das wissenschaftliche Weltverständnis anzupassen, die Heilige Schrift mit aufgeklärten Augen zu lesen. Dann werden die Berichte der Evangelien zu Lehrerzählungen, die Wunder zu Gleichnissen für Gottes heilsames Wirken, die Auferstehung wird zum Symbol dafür, dass „die Sache Jesu“ weitergehe und Jesus selbst als leiblicher Sohn des Zimmermanns zwar zum herausragenden Boten Gottes, aber Seiner Gottheit entkleidet… Ein auf das Maß des naturwissenschaftlich Möglichen weichgespülter Glaube also.
Das fordert dazu heraus, über das Verhältnis von Wissen und Glauben nachzudenken. Für viele gilt nach wie vor der Spruch: „Glauben heißt nix wissen!“ Wo man nicht sicher ist, da glaubt man eben: dass Angelika Merkel die nächste Wahl gewinnt oder verliert, dass die Menschen in Europa glücklicher sind als die Inder, dass der US-Geheimdienst beim Angriff auf das World-Trade-Center die Hand im Spiel gehabt habe…
Wie steht es nun aber wirklich mit dem Glauben? Als Christen sollten wir unser Glaubensverständnis aus der Offenbarung beziehen. Und da sind wir weit weg vom bloßen Vermuten, lesen wir doch im Hebräerbrief (11.1): „Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht.“ Wer glaubt, legt sich also fest, trifft eine Entscheidung in Bereichen, in denen eine letzte Sicherheit nicht gegeben ist.
Aber steht das im Widerspruch zu dem, was wir heute unter gesichertem Wissen verstehen? Naturwissenschaftliche Erkenntnis baut auf der Beobachtung von wiederkehrenden Phänomenen und Zusammenhängen auf. Wo sie Regelmäßigkeiten beobachtet, entwickelt sie Theorien über das Zustandekommen von Phänomenen. Sie gelten so lange, bis Beobachtungen auftreten, die den theoretischen Erwartungen widersprechen. In solchen Fällen ist die Theorie zu erweitern, so dass sich der Widerspruch auflöst,  oder man verwirft sie.
Naturwissenschaftliche Erkenntnis ist somit in mehrfacher Hinsicht eingeschränktes Wissen: Sie beschränkt sich auf das Wiederholbare und gilt nur bis auf weiteres. Und noch etwas: Dass auch morgen die Sonne aufgehen wird, also die Gesetze der Astronomie auch in 24 Stunden noch gelten, wissen wir streng genommen nicht, wir hoffen es. Gleiches trifft für die menschlichen Gesetze zu, etwa den Rechtsvorrang im Straßenverkehr: Ich weiß, dass er in Österreich gilt. Aber wenn ich mich ins Auto setze, hilft mir nur die Hoffnung, dass sich die Verkehrsteilnehmer an die Regel halten – und, wenn ich auf die Bremsen steige, die Hoffnung, dass der Mechaniker, der die Bremsen repariert hat, gut gewerkt hat. Nur in der Form des Vertrauens und des Hoffens wird das sogenannte gesicherte Wissen für uns bedeutsam.
Bei näherem Hinsehen entdecken wir, dass unser Leben eine ununterbrochene Folge von Vertrauensakten ist: dass die Wurst, die ich kaufe, nicht verdorben ist, die Ampel, auf die ich zufahre, nicht nach allen Seiten grün zeigt, dass das Medikament richtig verpackt wurde, der U-Bahn-Fahrer nicht betrunken ist… Im Gasthaus, im Verkehr, im Spital, am Arbeitsplatz – über­all wird Vertrauensvorschuss verlangt. Und erst recht, wenn es um das Wissen geht, das wir aus den Medien beziehen: Wie viel (oft unberechtigtes) Vertrauen, dass nicht gelogen oder manipuliert worden ist! Wollte man alles bis ins Detail überprüfen, also „gesichertes Wissen“ erwerben, das Leben käme zum Stillstand.
Wir sind auf Vertrauen, auf Glauben angewiesen. Die Frage ist nur: Wem glaube ich, vor allem in den entscheidenden Belangen meines Lebens? Erstaunlicher Weise tritt diese Frage heute stark in den Hintergrund. Das mächtige Instrumentarium heutiger Technik und ihr weitgehend reibungsloses Funktionieren wiegen uns in der falschen Sicherheit, alles im Griff zu haben. Stirbt aber ein Mensch, der uns nahesteht, kommt es zu einer Scheidung oder wird ein Kind lebensbedrohlich krank, dann tritt plötzlich die Frage auf: Wozu das Leben? Ist da nicht mehr als nur der Alltagstrott? Stimmt es, dass alles dem blinden Zufall zu verdanken ist und sich irgendwann im Nichts auflöst, wie es uns der herrschende Agnostizismus und Atheismus weis zu machen versucht? Welchen Autoritäten folge ich, wenn ich mich mit dieser Sichtweise zufrieden gebe? Wem vertraue ich da in lebenswichtigen Fragen: den Philosophen der Aufklärung, Karl Marx, Charles Darwin, Max Horkheimer, Herbert Marcuse? Sind sie informiert und vertrauenswürdig genug, dass ich mich ihrem Welt- und Menschenbild anvertraue? Oder gibt es doch ein tieferes Wissen in jedem von uns?
Als Antwort erzähle ich Ihnen, liebe Leser, am besten, wie es mir im Umgang mit der Frage gegangen ist. Als Kind in eine glaubenslose Familie geboren, wurde ich – wie in Österreich so üblich – zwar getauft, in den Religionsunterricht geschickt und später auch von der Familie zur Erstkommunion – das einzige Mal übrigens, bei dem ich meine Familie in der Kirche gesehen habe – begleitet. Nach einer miss­glückten Beichte beendete meine Mutter das kirchliche Intermezzo.
Unterbrochen von Firmung und kirchlicher Trauung währte mein an religiösen Fragen uninteressierter Agnostizismus bis 1970. Damals wurde meine neun Monate alte Tochter schwer krank: Ihr Kopf mit Furunkeln übersät, davon eines am Nasen­ansatz. Bricht es nach innen auf, wäre sie verloren, erklärte mir der behandelnde Arzt. Schock – und Anlass, mich plötzlich an Gott zu wenden, an den ich eigentlich gar nicht glaubte. Ich redete Ihn an, schlug Ihm einen Deal vor: Du heilst meine Tochter – ich gehe zur Beichte. Die Tochter genas – ich vergaß mein Versprechen. Schande! Für Gott aber kein Grund, locker zu lassen. Ich hatte Ihn ja direkt angesprochen.
Weil ich von mehreren Seiten bedrängt wurde, nahm ich ein Jahr später an einem Glaubenskurs teil. Nicht aus Interesse, sondern um den  mühsamen Gesprächen zu entgehen und mit dem Hintergedanken, bei mir werde das ohnedies keine Folgen haben. Es war jedoch die große Wende in meinem Leben.
Was sie ausgelöst hat? Das Zeugnis von Laien, gestandenen Männern, die selbstverständlich und attraktiv von ihrem Leben mit Christus erzählten. Sie stellten mich vor die Alternative: Entweder halte ich diese vernünftigen Männer für Spinner oder ich nehme ihre Botschaft ernst und öffne mich für den, der mir da als Mensch gewordener Gott präsentiert wird, Jesus Christus. Ich entschied mich, die Beichte, die ich verdrängt hatte, jetzt nachzuholen  – und zu glauben.
Das lateinische Wort für glauben: „credere“ bringt gut zum Ausdruck, worum es eigentlich geht. Vom Wortstamm her bedeutet es: „cor“ und „dare“ – das Herz geben. Beim Glauben geht es darum, sein Herz zu schenken. Sich jemandem mit der ganzen Person anzuvertrauen. Das macht ja das Glauben auch so schwer: Du triffst eine folgenschwere Entscheidung. Du vertraust dich jemandem ganz an. Du lässt dich auf ein Abenteuer mit unabsehbaren Folgen ein. Aber du tust es, weil du begriffen hast: Gott ist nicht der Alte mit dem weißen Bart auf der großen Wolke, nicht der ferne Generaldirektor der Weltraum GmbH, nicht der Auslöser des Urknalls, der sich dann zurückgezogen hat, nicht eine namenlose Energie – nein, Er ist dir nahe, Er geht dir nach, Er will dein Leben zum Guten, zur Seligkeit hin lenken, Er wird dich Tag für Tag begleiten, dir in der Not beistehen, Er hat immer ein offenes Ohr für dich und Er ist Mensch geworden, hat uns in unüberbietbarer Weise alles offenbart, was für unser Leben wichtig ist. „Dios solo basta“ – Gott allein genügt, so die heilige Teresa von Avila.
„Ich stehe an der Tür und klopfe. Wenn einer meiner Stimme hört und die Tür öffnet, werde ich bei ihm eintreten, und ich werde bei ihm Mahl halten und er mit mir,“ (Offb 3,20) spricht Gott. Er klopft bei jedem anders an, tritt bei jedem anders ein, feiert mit jedem ein besonderes Mahl. Mit jedem sucht Er diese Begegnung.
Beizutragen, dass sie bei möglichst vielen Mitbürgern zustande kommt, ist eine der Herausforderungen im Jahr des Glaubens. Denn es braucht die Zeugen dafür, dass der Herr diese Nähe sucht. Zu allen Zeiten waren die Glaubensboten Glaubenszeugen. Es ist das Zeugnis, das Betroffenheit auslöst. Typisch dafür die Pfingstpredigt des Petrus. Sie traf die Zuhörer „mitten ins Herz“ (Apg 2,37), berührte sie in ihrem Innersten. Sie begriffen sofort: Jetzt muss sich alles ändern. Daher die Frage: „Was sollen wir tun, Brüder?“ Und die Antwort des Petrus: „Kehrt um!“, fangt neu an, lasst euch taufen und empfangt den Heiligen Geist.
Natürlich ist mit diesem ersten Schritt nicht alles erledigt. Er ist nur der Beginn einer neuen Existenz, einer neuen Herzensbeziehung zum lebendigen Gott. Und wie jede Liebesbeziehung bedarf sie der Erneuerung, der Vertiefung, des Durchstehens von Durststrecken, die die Treue erproben und so die Liebe wachsen lassen. Daher ist das Jahr des Glaubens auch eine gute Gelegenheit, der eigenen Liebe zum Herrn neue Impulse zu geben, Ihn besser kennenzulernen, Sein Wort besser zu verstehen, um es in der Sprache von heute verständlich weiterzugeben – damit die Botschaft, dass Gott uns in Jesus Christus Sein Antlitz gezeigt hat, auch heute die Menschen „mitten ins Herz“ trifft.


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