Die Erinnerungen sind nicht mehr ganz frisch, aber immer noch so stark, daß sie mich bewegen. Ich war damals gerade ins Teeniealter gerutscht. Wir fuhren mit der neuen U-Bahn in die Nähe des Donauparks. Ich war erstaunt, auch erschrocken über die Menschenmassen…
Durch den Regen kämpften wir uns in Richtung des großen Kreuzes bis meine Familie irgendwann in der Masse stecken blieb. Manche Leute hatten Papphocker mit. „Da vorne ist er, man sieht ihn schon!“ Große Aufregung unter den Menschen. Ich hätte auch gerne irgendwas zum Draufstellen gehabt, denn selbst als mich mein Vater hochhob, um über die unzähligen Köpfe und Schirme zu spähen, konnte ich ihn nicht sehen.
Eigentlich wußte ich gar nicht genau, was ich sehen wollte, auch nicht, in welcher Richtung er sein sollte. Aber ich fand es spannend, dieses Papstfieber. Es war 1983 und Papst Johannes Paul II. war in Wien. Ich hatte ihn nicht gesehen, hatte aber begriffen, daß dieser Mann jemand ganz besonderer ist.
Knapp ein Jahrzehnt später erlebte ich meine große Bekehrung. Plötzlich wurde der Glaube lebendig, Christus war eine Person, zu der ich Beziehung haben konnte. Die Kirche wurde vom Objekt und Ziel vieler kritischer Gedanken zur neuen Heimat. Angesteckt von der Liebe guter Freunde zur Kirche und ihrem Oberhirten, wurden die Texte von JPII. zur wichtigen Lektüre. Die Bewunderung stieg mit jeder gelesenen Zeile. 1995 bereiteten wir uns mit Familiaris consortio und dem Brief an die Familien auf unsere Ehe vor. In unseren Eheringen wurde sein Wahlspruch eingraviert – „Totus tuus Maria“. Die Sehnsucht, ihn zu sehen wurde immer größer.
1997 war ich zum ersten Mal auf einem Weltjugendtag, in Paris. Es war eine unglaubliche Euphorie und Freude, den Heiligen Vater auf dem „Champ de Mars“ vor dem Eiffelturm und später auf „Longchamp“ zu begrüßen. Die Sehnsucht, möglichst weit vorne zu sein, ihn möglichst nahe zu sehen, seine Worte gut zu hören, trieb uns in unserer Kreativität an – Zachäus war lebendig in uns! Aus dem Papst sprach Christus. Wer ihn hörte, wer ihn sah, ahnte von der Liebe Gottes.
Im Juni 1998 kam der Heilige Vater wieder nach Österreich. Wir hatten Platzkarten im Salzburger Dom und zwei sehr lebendige Kinder. Die Ältere blieb bei der Oma in Graz, die Kleine mit 9 Monaten wurde als Stillkind mitgenommen. Trotz der Sorge, wie wir die Wartezeit mit einem Kleinkind überstehen sollten, freuten wir uns auf diese Begegnung und waren gespannt, welche Botschaft der Papst für uns Österreicher hätte. Dann waren wir unerwartet im Mittelgang im Dom plaziert und hatten wieder dieses Gefühl, als ob es Christus selber wäre, der hier einzieht.
Sehr langsam und mit Einsatz seiner ganzen Kräfte ging der Papst von hinten nach vorne. Er pendelte von einer Seite auf die andere – und dann steuerte er wirklich auf uns zu!
Ein Blickkontakt, ein ruhiges Lächeln, ich wußte nicht, was ich sagen sollte, er nahm die Theresia in seine Hände, küßte sie auf die Stirn, blickte ihr tief in ihre kleinen Augen mit den langen dunklen Wimpern und küßte sie ein zweites Mal. Dann segnete er uns – und die Tränen der Freude flossen. Wieder und wieder war dieser Doppelkuß im Fernsehen zu sehen. Er hatte nicht nur unsere Herzen berührt. Es ist ein Heiliger Vater, der seine Kinder liebt!
Im Jahr 2000 wurde mir die Aufgabe übertragen, eine Fahrt zum Weltjugendtag nach Rom zu organisieren. „Roma Mia“ war der Name dieser Route mit rund 1.000 Jugendlichen aus 14 Gruppen und Bewegungen. „Wen sucht ihr?“, fragte der Heilige Vater die hundertausenden Jugendlichen aus der ganzen Welt bei der Begrüßung in Rom.
Das war einer der Momente, wo die Sprechchöre von „JPII, we love you!“ und „Johannes Paul der Zweite, wir stehen auf deiner Seite“ verstummten. Sie waren wegen Jesus gekommen und das war lautstark zu hören! Es war Jesus, den sie suchten, es war Jesus, den ich suchte und wir haben Ihn in Seinem Stellvertreter hier auf Erden gefunden. Bei Ihm hatten wir keine Furcht, die Schwelle zum neuen Jahrtausend zu überschreiten. Mit Ihm war es die Schwelle der Hoffnung trotz aller Bedrohungen und Schwierigkeiten, die sich abzeichneten.
Dann kam der 2. April 2005. Die ganze Welt blickte nach Rom, um zu beobachten, wie ein Heiliger stirbt. Er hatte mit heldenhafter Tapferkeit sein Alter, seine Krankheit und Schwäche in Stärke verwandelt. Wir konnten nicht daheim bleiben. Mit unserem vierjährigen Maximilian bestieg ich stellvertretend für die Familie das Flugzeug, um mich kurz darauf in die lange Schlange einzureihen.
Stundenlang warteten wir, zum Schluß war unser Bub, der den ganzen Tag eingekeilt zwischen den Menschenmassen ausharrte, in meinen Armen eingeschlafen. Ich trug ihn in den Petersdom zu der letzten großen Begegnung mit Johannes Paul II. Es waren kostbare Minuten ganz in seiner Nähe.
Beim Verweilen bei ihm kam mir ein Gedanke: Der Papst hatte bei seinem Weg nach Hause einen Fuß in der Himmelstür stehen lassen, sodaß nun alle die kamen, einen Blick in den Himmel werfen konnten. Dieses Schauen und Staunen, diese Begegnungen und Erfahrungen haben mein Leben und das unzähliger anderer geprägt und verändert.
Danke Heiliger Vater Johannes Paul II.!
Robert Schmalzbauer