VISION 20004/2012
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Menschen ohne Angst

Artikel drucken Brief über russische Alltagsnöte (Tatjana Goritschewa)

Vor kurzem bin ich aus Russland nach Paris zurückgekommen. Dort hatte ich vier Wochen verbracht und lag meistenteils im Bett. Aber die Menschen sind Tag und Nacht mit ihren Sorgen und seelischen Leiden zu mir gekommen. Noch einmal habe ich erfahren: Die Kraft der Auferstehung hilft uns in jeder unmöglichen Situation. Am Ende aller Katastrophen begegnen wir einem Wunder.
In dieser Zeit sind meine großen Freunde gestorben: die Kunsthistorikerin Natalia Lebedeva (62) und der christliche Dissident Slava Evdokimov (59). Beide haben nicht rechtzeitig medizinische Hilfe bekommen. Ihr Tod ist tragisch – zufällig. Die Medizin in Russ­land existiert nur für die Superreichen.
In diesen Monaten gab es sehr viele Demonstrationen in Mos­kau und St. Petersburg. Endlich sah ich die Menschen, die keine Angst mehr haben und nicht mehr in der Nichttransparenz, in der Lüge und Ungerechtigkeit leben wollen. Ich habe fröhliche, junge, kluge Menschen gesehen, die ihre Würde endlich entdeckt haben. Zweimal – als ich genug Kraft hatte – habe ich auch protestiert, bin zusammen mit Hunderten von jungen Menschen durch die langen Petersburger Straßen mit den Transparenten gegangen. Wir haben z.B. gegen die Verhaftung von Alexander Spack, einem Tierarzt, der Ketamin (ein Mittel, das überall in Westeuropa anerkannt und verwendet wird) für die Anästhesie verwendet hatte. Es gibt viele andere Unschuldige, die in Gefängnissen sitzen.
Man will in Russland keine neue Revolution – vor allem nicht nach dem Vorbild der „arabischen Frühlinge“. Man will aber als freie, schaffende, verantwortliche Persönlichkeit anerkannt werden.
Das Problem der Vernichtung der christlichen Familie bleibt ebenfalls aktuell. In den letzten Monaten haben die Vormundschaftsorganisationen hunderte gute russische Familien zerstört und die Kinder den Eltern abgenommen – unter dem Vorwand, dass die Familien „arm“ sind.

Die Autorin,  christliche Dissidentin und Herausgeberin von Untergrundzeitschriften, wurde 1980 aus der Sowjetunion ausgewiesen. Sie ist Autorin mehrer lesenswerter Bücher. Brief v. 26.5.12

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