Die Dynamik von Wort und Stille, die das Beten Jesu während seines gesamten irdischen Lebens prägt, vor allem am Kreuz, berührt auch unser Gebetsleben in zwei Richtungen. Die erste betrifft die Annahme des Wortes Gottes. Es bedarf der inneren und äußeren Stille, um dieses Wort zu hören. Und das ist ein besonders schwieriger Punkt für uns in unserer Zeit. Denn in unserer Zeit wird die innere Sammlung nicht gefördert; manchmal hat man sogar den Eindruck, daß man Angst hat, sich auch nur für einen Augenblick von der Flut der Worte und Bilder zu lösen, die die Tage prägen und füllen. (…)
Die Evangelien legen oft dar, daß Jesus, vor allem bei wichtigen Entscheidungen, sich ganz allein von der Menge und auch von den Jüngern an einen einsamen Ort zurückzieht, um in der Stille zu beten und seine Sohnesbeziehung zu Gott zu leben. Die Stille ist in der Lage, einen inneren Raum tief in uns selbst zu schaffen, um Gott dort wohnen zu lassen, damit sein Wort in uns bleibt, damit die Liebe zu ihm in unserem Geist und in unserem Herzen verwurzelt ist und unser Leben beseelt. Das also ist die erste Richtung: die Stille wieder zu erlernen, die Offenheit zum Hören, das uns für den anderen, für das Wort Gottes öffnet.
Es gibt jedoch auch eine zweite wichtige Beziehung des Schweigens zum Gebet. Denn es gibt nicht nur unser Schweigen, das uns zum Hören des Wortes Gottes bereit macht, sondern oft stehen wir in unserem Beten dem Schweigen Gottes gegenüber, haben wir gleichsam ein Gefühl des Verlassenseins, scheint uns, dass Gott nicht hört und nicht antwortet. Aber wie bei Jesus ist dieses Schweigen Gottes kein Zeichen seiner Abwesenheit. Der Christ weiß gut, dass der Herr anwesend ist und zuhört, auch in der Finsternis des Schmerzes, der Ablehnung und der Einsamkeit.
Jesus versichert den Jüngern und einem jeden von uns, dass Gott in jedem Augenblick unseres Lebens unsere Nöte gut kennt. Er lehrt die Jünger: „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie; denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet“ (Mt 6,7–8). Ein aufmerksames, stilles, offenes Herz ist wichtiger als viele Worte. Gott kennt uns im Innersten, besser als wir selbst, und liebt uns: Und das zu wissen muss genügen. In der Bibel ist die Erfahrung des Ijob in diesem Zusammenhang besonders bedeutsam. Dieser Mann verliert innerhalb kürzester Zeit alles: Familienangehörige, Besitz, Freunde, Gesundheit; es scheint, dass Gottes Haltung ihm gegenüber das Verlassen, das völlige Schweigen ist. Dennoch spricht Ijob in seiner Beziehung zu Gott mit Gott, er schreit zu Gott: In seinem Gebet bleibt sein Glaube trotz allem unversehrt, und am Ende entdeckt er den Wert seiner Erfahrung und des Schweigens Gottes. Und so wendet er sich am Ende an seinen Schöpfer: »Vom Hörensagen nur hatte ich von dir vernommen; / jetzt aber hat mein Auge dich geschaut« (Ijob 42,5): Wir alle kennen Gott gleichsam nur vom Hörensagen, und je offener wir für sein Schweigen und für unser Schweigen sind, desto mehr beginnen wir, ihn wirklich kennenzulernen.
Dieses äußerste Vertrauen, das sich zur tiefen Begegnung mit Gott hin öffnet, reift im Schweigen heran. Der hl. Franz Xaver betete zum Herrn: Ich liebe dich, nicht weil du mir das Paradies schenken oder mich zur Hölle verdammen kannst, sondern weil du mein Gott bist. Ich liebe dich, weil du du bist.
Auszug aus der Ansprache bei der Generalaudienz am 7.3.12