Pauline Marie Jaricot wird am 22. Juli 1799 in ein Zeitalter geboren, das von den Schrecken der französischen Revolution erschüttert ist. Vor dem Hintergrund der blutigen Verfolgung rückt in der Kirche die Sorge um das Heil der Seelen und die Bekehrung der Welt zu Jesus Christus wieder stärker ins Bewusstsein.
„Glücklich, wer von seinen Eltern die ersten Saatkörner des Glaubens empfangen hat“, schreibt Pauline an ihre Freundin Julia Maurin. Als Pauline das Licht der Welt erblickt, besteht der Kreis der Familie bereits aus sechs Kindern. Ihre Eltern Antoine Jaricot und Jeanne, geborene Lattier, sind fromme Kaufleute, die sich durch den Seidenhandel ein millionenschweres Vermögen erworben haben. Als die Mutter stirbt, deutet noch nichts im Leben der 17-jährigen Pauline darauf hin, dass ihr Leben in eine ganz andere Richtung gehen wird, als es für eine junge Frau aus bürgerlichem Haus üblich ist. Sie vergnügt sich auf Bällen. Auf keiner gesellschaftlichen Veranstaltung will sie fehlen.
Pauline wird erstmals zum Stadtgespräch, als sie aufgrund der Predigt des Abbé Würtz über die Illusionen der Eitelkeit bei einer Abendandacht in der Kirche St. Nizier beschließt, ihr Leben radikal zu ändern. Sie kleidet sich in den Gewändern der Arbeiterinnen, verkauft ihren Schmuck, die Seidenstoffe ihrer Ballkleider werden zu Paramenten verarbeitet. Der äußeren Veränderung entspricht eine radikale innere Umkehr: Anstatt an gesellschaftlichen Unterhaltungen teilzunehmen, besucht sie unheilbar Kranke in den Spitälern und pflegt sie. In der Kapelle von Fourvière legt sie in der Weihnachtsnacht 1816 ein Privatgelübde ab, Jungfrau zu bleiben. Zu diesem Zeitpunkt ist sie gerade 17 Jahre alt.
Pauline ist nicht das einzige Mitglied der Familie, das eine solch leidenschaftliche Bekehrung erlebt. Ihr Lieblingsbruder Philéas tritt ins Priesterseminar ein. Mit ihm verbindet sie seit Kindertagen der Traum vom Missionieren. Philéas schreibt an seine Schwester über den Mangel an finanziellen Mitteln, die zur Neuerrichtung und den Ausbau von Missionsstationen nötig sind. Pauline will helfen.
Die zündende Idee kommt ihr beim Kartenspiel an einem Abend im Spätherbst 1818. Wenn jede ihrer Freundinnen jede Woche nur einen „Sou“ spendete, selbst aber wiederum 10 Spenderinnen fände, die ebenfalls einen Sou für die Glaubensverbreitung geben würden, und nach dem Schneeballsystem immer so fort, dann ergäbe das in kurzer Zeit eine gewaltige, bis ins Unendliche erweiterungsfähige Hilfseinrichtung für die Mission. So wird der Verein für die Glaubensverbreitung geboren. Mit den Spendengeldern werden zunächst die Missionen in Asien unterstützt. Der durchschlagende Erfolg beruht auf dem Almosen unzähliger „kleiner Leute“, nicht auf hohen Spenden einiger Reicher. Dabei ist das Ziel des Spendensammelns für den Verein sekundär. Seine eigentliche Grundlage sind das Gebet, Informationsaustausch und Kontakte knüpfen: „Wir versammeln uns, um zu beten und die Berichte der Missionare zu lesen, Zeugnisse, die aus der ganzen Welt gekommen sind. In dieser Epoche der Spaltung sind die Versammlungen eine Gelegenheit, uns auszutauschen und Verbindungen herzustellen.“
Von Anbeginn an ist das Ziel Paulines weit gesteckt: „Lasst uns ein universales, ein katholisches System der Unterstützung etablieren.“ Es geht ihr nicht nur um das Heil des einzelnen Menschen, einer Stadt oder eines Volkes, sondern um nicht weniger als das Heil der ganzen Welt. Der Solidaritätsfonds war ins Leben gerufen, dessen wesentliche Aufgabe in der Verteilungsgerechtigkeit liegt. Die Länder, in denen sich die Kirche schon etabliert hat, spenden für die Diözesen, in denen die Kirche erst aufgebaut wird.
Das leidenschaftliche Engagement Paulines trägt bald Früchte und unterstützt wesentlich den Aufschwung der Mission der Kirche. In den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts verdreifacht sich die Zahl der Missionare. Am 3. Mai 1822 kommt es zur statutarischen Gründungssitzung des Vereins: Die Geburtsstunde des Werks der Glaubensverbreitung, das ein Teil der Päpstlichen Missionswerke ist.
Mission ist nicht nur Evangelisierung nach außen, sondern führt ebenso zu einer Evangelisierung nach innen. Pauline bedauert, dass der Rosenkranz zu ihrer Zeit fast nur von denen gebetet wird, die Ordensgelübde abgelegt haben. Insbesondere von jenen Ordensleuten, die entweder zu alt oder zu ungebildet für das lateinische Stundengebet sind. So erfindet sie den „Lebendigen Rosenkranz“, der nach dem gleichen Grundsatz funktioniert wie bereits das Werk der Glaubensverbreitung. Jedes Mitglied verpflichtet sich, jeden Tag ein Gesätzchen des Rosenkranzes zu beten und jeden Monat über ein Rosenkranzgeheimnis zu meditieren, das ihm zugelost wird, sowie weitere Mitglieder anzuwerben. Der Erfolg ist durchschlagend: Als Pauline 1862 stirbt, sind es bereits 2,5 Millionen registrierte Anhänger – 15 Prozent der Bevölkerung Frankreichs.
Im April 1834 erkrankt Pauline so schwer an einem Herzleiden, dass ihr das Sakrament der Krankensalbung gespendet wird. Ihre letzte Hoffnung setzt sie auf eine Wallfahrt nach Mugano zu den Reliquien der Hl. Philomena. Und wirklich wird sie durch ein Wunder geheilt.
Bei ihrer Rückreise empfängt sie Papst Gregor XVI. in einer Privataudienz im Vatikan. Sie hat die Gelegenheit, ihm den Lebendigen Rosenkranz vorzustellen, und äußert die Bitte, dass die Verehrung der heiligen Philomena als Patronin des Lebendigen Rosenkranzes anerkannt werden solle. Pauline bleibt für ein Jahr in Rom. Das Wunder ihrer Heilung wird schließlich anerkannt und der 11. August als Festtag der heiligen Philomena festgelegt.
Nach ihrer Rückkehr nach Lyon wird das Haus Lorette zu einem Ort der Begegnung von namhaften späteren Heiligen: Jean-Marie Vianney, der Pfarrer von Ars, zählt genau so dazu wie Pierre-Julien Eymard, Thérèse Couderc und Claudine Thévenet. Sie alle bekommen bei Pauline nicht nur geistlichen Rat und Unterstützung durch Gebet, sondern auch finanzielle Mittel.
Auch die Not der Arbeiter in Lyon lässt Pauline nicht kalt. „Es scheint mir, dass man dem Arbeiter zuerst die Menschenwürde zurückerstatten muss, indem man ihn von der unwürdigen Sklaverei der schlechtbezahlten Tätigkeit befreit. Dann seine Vaterwürde im Kreise der Familie in einer guten und gesunden Wohnung. Schließlich die Christenwürde durch Trost und Hoffnung der Religion. Gott selbst verpflichtet uns zu sozialer Gerechtigkeit“, meint sie und tritt für gerechte Löhne und geregelte Arbeitszeiten ein. Mit all dem nimmt Pauline die wesentlichen Forderungen der katholischen Soziallehre vorweg, wie sie 1891 von Papst Leo XIII. in der Enzyklika „Rerum Novarum“ formuliert werden sollten.
Pauline, stets eine Frau der Tat, will diese sozialen Forderungen sogleich selbst umsetzen und versucht eine Fabrik zu eröffnen, in denen Arbeiter gerecht behandelt werden. Dafür nimmt sie viel Geld in die Hand. Doch Pauline sitzt zwei skrupellosen Betrügern auf und wird finanziell ruiniert. 1853 trägt sie der Pfarrer von St. Just in der Liste der Armen ein. Der Hl. Pfarrer von Ars, mit dem sie eine langjährige Freundschaft und die Förderung der Verehrung der Hl. Philomena verbindet, sagt von ihr in einer Predigt: „Ich kenne eine Frau, die weiß, wie man ein Kreuz trägt. Und das ist Fräulein Jaricot aus Lyon.“ Er ist es auch, der sie an die Bedeutung der Kreuzesmystik heranführt. „Der gütige Gott gewährt häufig eines der größten Geschenke in der Schatzkammer des Himmels, das Verstehen des Kreuz-wegs; die Liebe zu den Prüfungen und Leiden. Meine Schwester, wenn man versucht, vom Kreuz loszukommen, wird man von seinem Gewicht erdrückt, aber wenn man es in Liebe annimmt, leidet man nicht länger.“
Pauline stirbt mit 62 Jahren einsam, verarmt und krank, aber keineswegs verbittert. In der Pfarre von St. Nizier, wo sie getauft worden war und wo sie häufig betete, findet man Paulines Grab. Es ist ein einfacher Marmorstein mit ihrem Namen. Ihr Seligsprechungsverfahren wird am 18. Jänner 1930 eröffnet und am 25. Februar 1963 unterzeichnet Papst Johannes XXIII das Dekret, in dem die Kirche ihren heroischen Tugendgrad feststellt, so dass sie als „Venerabile“ – „verehrenswürdig“ – gilt.
Ein eRose für die Welt
Aus Anlass ihres 150. Todestages am 9. Jänner 2012 starteten die Päpstlichen Missionswerke eine Gebetsbewegung nach dem Vorbild Paulines. Dabei verpflichten sich die Teilnehmer, täglich ein Geheimnis (ein Vater unser, 10 Ave Maria und ein Ehre sei dem Vater) zu beten. Wer mitmachen möchte, findet nähere Infos auf der missio-Homepage:
www.missio.at/deine-mission/ geistige-solidaritaet.html