VISION 20001/2013
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„Und dankbar fahre ich weiter…“

Artikel drucken Begegnung im städtischen Getriebe (Marlène Inauen)

Häsch mer chli Münz?“  – höre ich hinter mir eine Stimme an der Tramhaltestelle – und bald steht er auch vor mir: D. mit glühenden Augen, langen Haaren und Bart.
Ich kenne ihn von früheren Begegnungen, er mich auch – und vielleicht stellt er darum an mich keine Frage nach Geld, so als ob ihm das Gespräch wichtiger wäre. „Wie geht's Dir heute?“, frage ich. „So mittel. Das Volk wird einfach immer egoistischer. Dabei ist Betteln kein Schleck! Und dann hatte ich noch eine Lungenentzündung Anfang Jahr!“
„Mensch, warst Du im Spital?“, frage ich nach. „Denkste, mag nicht ins Spital!“ Ja, kann ich mir schon vorstellen... „Wer hat Dich dann gepflegt?“ „Ich mich selber... Antibiotika und so...“ Ich weiß, dass D. im „Begleiteten Wohnen“ ein Zimmer hat, aber auch, dass die Begleitung nur wenige Präsenzstunden umfasst.
„So bist Du also wieder rausgekommen! ... Einer schaut schon zu Dir, glaube ich…“. „Meinsch de Jesus? Dä isch aber au de einzig!“, antwortet D. spontan.
Ich staune: So selbstverständlich spricht er davon, dass da einer ist. Und einer, der ihm wohl will, ihn trägt!
„Wie hast Du Ihn eigentlich kennengelernt, den Jesus?“ Vielleicht durch die franziskanische Gassenarbeit, denke ich leise. Aber D. sagt: „Sälber. Aber das isch e ganzi Gschicht!“
Er zögert und erzählt schließlich doch einen Ausschnitt davon: „Eines Nachts... war da bei meinem Schrank so ein Licht... und ich habe verstanden, dass ich das nicht mehr sollte, mir ,eine ineknalle’. Da habe ich damit aufgehört, am nächsten Tag. Und nie wieder seither mir ,eine ineknallt'. Und das ist jetzt acht Jahre her...“
Ich spüre, dass da noch einiges mehr wäre an Erfahrungen..., spüre aber auch bei D. einen großen Respekt dem allem gegenüber – und bin beeindruckt. Wenn auch die Menschen ihn immer wieder enttäuschen, hält er daran fest, dass da Einer für ihn sorgt, für ihn da ist...
„Welch' ein Glaube!“, würde Jesus vielleicht auch heute sagen oder: „Menschen wie er werden euch vorausgehen ins Reich Gottes!“ Davon bin ich überzeugt. „Wer einem Vorübergehenden auch nur ein Glas Wasser reicht, weil er zu Mir gehört...“, höre ich kurz danach im Evangelium der Abendmesse. Wie aktuell noch heute!
Auf der Heimfahrt treffe ich D. zufällig nochmals - im Tram versucht er, seine 8 Franken, die ihm heute noch fehlen, zusammenzubringen. Erfolglos bei fast allen, sehe ich.
„Heute habe ich Lust, Dir etwas zu geben“, sage ich – (und dies fröhlich, was nicht immer der Fall ist; ich gebe D. öfters auch nichts). „Das soll Dir Mut machen für alles Weitere heute Abend!“
Dankbar fahre ich weiter – dankbar, dass ich den Glauben eines ganz einfachen Menschen sehen durfte und ihn begleitet wissen darf – auch in alle Zukunft.

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