VISION 20003/2013
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Setz Dein ganzes Vertrauen auf Jesus!

Artikel drucken In der Welt gibt es keine Absicherung (Von Michael D. O’Brien)

In diesen schwierigen Zeiten ist es nicht leicht, im Wirrwarr der Meinungen die Orientierung zu bewahren, keine Kompromisse mit den Forderungen des Zeit­geistes zu schließen. Als Christen sind wir nämlich aufgerufen, Jesus wirklich konsequent nachzufolgen, bereit, auf vieles zu ver­zichten, wenn notwendig, sogar alles aufzugeben, um in Seiner Wahrheit zu leben.

Was ist Wahrheit?“ fragt Pilatus seinen Gefangenen, den gedemütigten Jesus, der still vor ihm steht. Der Herr antwortet darauf nicht mit Worten, sondern mit dem Ausdruck Seines ganzen Wesens. Er ist die Wahrheit, der Weg und das Leben. Er ist das Fleisch gewordene Wort. Er ist das Zeichen, dem widersprochen wird und das alle unsere üblichen Denkkategorien durcheinanderbringt. (…)
So sollte sich jede Generation die Frage stellen: „Was ist Wahrheit?“ Und die Antwort müssten wir stets mit unserem Leben geben. Der Glaube kann sich niemals darin erschöpfen, einfach nur rational einem Lehrgebäude zuzustimmen – obwohl dieses selbstverständlich ein wesentlicher Bestandteil unseres Glaubens ist. Man sollte den Weltkatechismus studieren und den darin enthaltenen Klarstellungen mit dem Verstand zustimmen. So wünschenswert dies auch sein mag, es reicht nicht. Denn im Grunde genommen besteht unser Glaube in unserer Bindung an Jesus Christus – hier in dieser Welt und in alle Ewigkeit.
Immer und auf vielfältige Weise versucht der spiritus mundi (der Geist der Welt), die echte Einheit von Hirte und Herde aufzubrechen, oft durch die Sünde, oft durch den Irrtum und immer häufiger durch den Missbrauch des Arguments vom „kleineren Übel“.
Indem er die communio (die Einheit) zerstört, erzeugt er eine gefährliche Isolation. Diese zerreißt innerlich und trennt uns von der menschlichen Gemeinschaft (…). Auf diese Weise gettoisiert, bemächtigt sich unser leicht das gottlose Gefühl, verlassen zu sein, das so leicht zu Desorientierung, Entmutigung, Abstumpfung führt, das anfällig für gesellschaftliche und politische Manipulation macht.
Immer, wenn wir von Entmutigung überwältigt werden, wenn wir meinen, wir seien einsam und hilflos, neigen wir dazu, instinktiv nach rein menschlichen, natürlichen Auswegen Ausschau zu halten. „Ach, hätte ich doch nur genug Geld, genug Wissen, genug Macht!“ heißt es dann. Vielgestaltig ist die Liste unserer bevorzugten Hilfsmittel, die an sich ja auch gar nicht schlecht sein müssen. Aber unterschwellig, meist unbewusst, unterliegen wir da dem Wunsch, uns eine möglichst sichere Welt zu bauen, in der wir weitgehend  selbst über die erforderlichen Mittel der Gestaltung und Kontrolle verfügen.
Allzu leicht vergisst man dann, die entscheidende Frage zu stellen, man spielt sie herunter oder ignoriert sie, jedenfalls stellt man sich ihr in letzter Konsequenz nie. Die entscheidende Frage aber, der sich jeder von uns zu stellen hat, ist: „Worauf vertraue ich in letzter Konsequenz?“ (…) In dem Maß einer, der Christus nachfolgt, seine Hoffnungen auf irgendetwas anderes als Ihn selbst setzt, wird er in der Ratlosigkeit landen oder Schiffbruch erleiden. Er wird zaudern, nicht vorankommen, Angst wird ihn erfassen und aller Wahrscheinlichkeit nach wird er in der Entmutigung und in der Verzweiflung enden.
(…) Ist das nicht die Prüfung, der das Volk Gottes zu Ostern und während des Exodus ausgesetzt war? Auch uns fallen überzeugende Argumente ein, um Christus nicht auf dem Kreuzweg nachzufolgen, auf diesem Weg, der die neue Feuersäule ist. (…) Können wir ernsthaft annehmen, dass wir auf unserem Weg zur verheißenen ewigen Heimat niemals ebenso geprüft werden wie unsere Vorfahren in der Wüste? Und warum sollten wir uns dann anders als sie verhalten?
Nach den erstaunlichen Wundern, die die Hebräer erlebt hatten (die Strafen für die Ägypter, die Teilung des Roten Meeres, die Feuersäule, die wunderbare Speisung), erliegen sie weiter den Versuchungen, verfallen sie dem Unglauben. Und wie lautete ihr Angstschrei in der Wüste? „Gab es denn keine Gräber in Ägypten, dass du uns zum Sterben in die Wüste holst?“ (Ex 14,11) Stoßen wir nicht genau diesen Schrei aus, jedes Mal, wenn wir in schwierige Situationen geraten, die hoffnungslos zu werden drohen? Erschallt dann nicht auch unser Protest: Wo bist Du, Gott? Hast Du uns verlassen?
Genauso werden wir reagieren, wenn wir unsere Hoffnung nur auf die Wohltaten und Tröstungen Gottes gesetzt haben und nicht auf die Gemeinschaft mit Ihm – inklusive der Gemeinschaft mit dem Gekreuzigten. Wenn wir nur auf diese Sicherheiten setzen, was werden wir dann tun, wenn diese wegfallen? Landen wir dann nicht zwangsläufig in der Entmutigung, die vom Verrat gefolgt sein wird? Lehnen wir damit nicht das ab, was Er uns lehren will? Verweigern wir nicht die Nachfolge dorthin, wohin Er uns führen will, das Werk, das Er durch uns vollbringen will?
Genau das ist die eigentliche Prüfung. Niemand kann ihr ausweichen.
Aber was sollten wir denn tun, wenn wir in die Wüste geraten sind, in eine Situation, in der alle Sicherheiten auslassen und wo wir den Gefahren der menschlichen Existenz radikal ausgeliefert sind? Die Antwort findet man an vielen Stellen der Schrift. Eine Stelle, die ich oft lese und die ich im Gebet betrachte, ist der Psalm 56: „An dem Tag, da ich mich fürchten muss, setze ich auf Dich mein Vertrauen.“  
Es zahlt sich aus, den ganzen Psalm zu meditieren. Denn sein Autor, der König David, hat erfahren, was es heißt, Mensch zu sein, vor der scheinbar erdrückenden Macht des Gegners zu zittern, sich in seinem ganzen Wesen als zerbrechliches Geschöpf zu erfahren. Er war Goliath nur mit einer Schleuder, fünf flachen Steinen und seinem Glauben entgegengetreten. Er stand vielen Feinden gegenüber, von denen die eigene Anfälligkeit für die Sünde nicht der geringste Gegner war. Und dennoch hat er sich immer an den Herrn gewandt, immer und immer wieder. Und dabei lernte er, dass man nie den Mut verlieren darf. Das Vertrauen fällt uns nicht automatisch in den Schoß. Es ist, wie der Psalmist uns sagt, das Ergebnis einer Entscheidung. Es wächst in dem Maß, in dem wir vertrauen.
Man kann damit sofort beginnen, unabhängig von den Umständen, in denen wir uns befinden, seien es nun die üblichen Prüfungen oder außergewöhnliche, existenzielle Herausforderungen. Jeder von uns trägt seine eigene Last. Und jeder von uns vertraut, indem er Gott anruft, Er möge uns mitten in unseren Prüfungen die Kraft geben, unsere Gedanken und Herzensregungen neu zu bekehren.
Ich habe entdeckt, dass es in ausweglosen Situationen nützlich ist, im Voraus Gott zu loben für die Art und Weise, in der Er mir in der Prüfung beistehen wird  – wie immer diese mir unbekannte Hilfe auch ausfallen möge. Ich bete auch gern den Lobgesang der drei Jünglinge im Feuerofen. Ein wunderschöner Gesang, umso schöner, als der Hymnus ja an einem Ort gesungen worden ist, wo es höchst unwahrscheinlich war, dass so ein Gesang ertönen würde. Solche Gebete in „aussichtslosen“ Situationen sind Gott höchst willkommen. Er wird jene, die so beten, nicht enttäuschen.
Noch einmal: Das ist erlebte Praxis. Wie Sportler, die ihre Muskeln durch Training und Ausdauer stählen, müssen auch wir unser Vertrauen auf Gott einüben. Wir müssen uns oft in Erinnerung rufen, dass Er uns mit allen Gnaden, die wir benötigen überschwemmen wird, damit wir in der Tiefe unserer Persönlichkeiten in Ihm reifen.
Die besonderen Schwierigkeiten in unserem Alltagsleben und die ausgeprägten Lebenskrisen sind jene Situationen im Leben, in denen wir am meisten lernen. Er liebt uns, das dürfen wir nie aus den Augen verlieren. Die Gemeinschaft aller Heiligen liebt uns, die Heiligen hören nicht auf, für uns einzutreten. Ihre Fürsprache und die der heiligen Engel nimmt zu, in dem Maße wir ihrer bedürfen. Aber sie werden uns nichts aufdrängen. Daher müssen wir uns angewöhnen, um Gnade zu bitten – und mit ihr zu rechnen.
Wir leben derzeit in einer geschichtlichen Situation – vielleicht ist es der letzte kurze Augenblick –, in der es möglich ist, all dies ohne drakonische Eingriffe von außen mit Herz, Geist und Seele zu erlernen. Der Himmel öffnet uns eine Unzahl von Wegen zum Heil. Wir können uns der Heiligen Eucharistie mit erneuertem Eifer und neuer Aufmerksamkeit zuwenden. Wir können die Gottesmutter bitten, eine größere Rolle in unserem Leben zu spielen, wir können unser eigenes Leben und unsere Familien ihrer mütterlichen Sorge weihen. Und wir können regelmäßig in der Heiligen Schrift lesen.
Wir können uns auch fragen, wie wir zur Neuevangelisierung beitragen können, denn bis zu ihrer Vollendung – sei es in 1.000 oder auch nur in wenigen Jahren – will Gott alle Seelen zu sich führen. Es ist wirklich nicht der Zeitpunkt, sich der Welt zu ergeben, sondern jener, unsere Hoffnung zu erneuern, um sie der Welt zu schenken.
Michael D. O’Brien ist Autor des Romans Father Elijah, sein Beitrag ein Auszug aus L’Homme Nouveau v. 30.3.13

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