Shoukr Allah Maloyan wurde als viertes von acht Kindern im April 1869 in Mardin in Armenien, im Südosten der Türkei geboren. Das von den heiligen Aposteln Judas und Bartholomäus evangelisierte Armenien war 305 zu einem christlichen Volk geworden, als der hl. Gregor der Erleuchter, der erste Patriarch Armeniens, König Tiridates taufte. Im 11. Jahrhundert fiel das Land den Türken in die Hände; in den folgenden neun Jahrhunderten blieb das Volk jedoch standhaft und bewahrte seine Sprache sowie seinen christlichen Glauben. Die Armenier sind in zwei Konfessionen gespalten: die „Apostolische Kirche“, die von der völligen Gemeinschaft der katholischen Kirche getrennt ist, und die Armenisch-katholische Kirche, der auch die Familie Maloyan angehörte.
Bereits früh zeigten sich bei Shoukr Allah Anzeichen einer religiösen Berufung. Im Alter von 14 Jahren wurde er von seinem Pfarrer auf ein Institut zur Ausbildung von Priestern in den Libanon geschickt. Obwohl er wegen diverser Gesundheitsprobleme sein Studium 3 Jahre lang unterbrechen musste, wurde er am 6. August 1896 zum Priester geweiht und hieß fortan Pater Ignatius.
1897 als Missionar erst nach Alexandrien, dann nach Kairo entsandt, erwarb er sich dort den Ruf eines vorbildlichen Priesters. Er selbst schrieb in dieser Zeit: „Von morgens bis abends besuche ich Kranke, Arme und Bedürftige. Wenn ich mich am Abend hinlege, bin ich völlig erschöpft. Niemand kümmert sich um diese Unglücklichen…“ Der Ruf von P. Ignatius als Prediger bei Exerzitien und als Redner führte dazu, dass er oft zum Predigen eingeladen wurde, auch auf Arabisch und Türkisch. Als eifriger Streiter für die Einheit der Christen, knüpfte er Kontakte zu den koptischen Christen in Ägypten. In seiner Freizeit widmete er sich dem Studium der Heiligen Schrift sowie der Sprachen. Als der in Konstantinopel residierende Patriarch der armenischen Katholiken seine außergewöhnlichen Gaben bemerkte, berief er ihn 1904 zu seinem Sekretär. Doch bald danach sah sich P. Ignatius aus Gesundheitsgründen gezwungen, nach Ägypten zurückzukehren, wo er bis 1910 blieb.
Indessen geriet die Diözese von Mardin in eine schwierige Situation; der hochbetagte Ortsbischof war außerstande, die schweren Probleme zu lösen, die sich stellten: Mangel an gut ausgebildeten Priestern sowie eine schwierige wirtschaftliche Lage. Erschöpft trat er zurück; der Patriarch vertraute die Verwaltung der Diözese P. Ignatius an. Zunächst begeistert in seiner Geburtsstadt empfangen, sah dieser sich bald denselben Schwierigkeiten ausgesetzt. „Es tut mir so leid um diese Diözese“, schrieb er. „Das Leben hier ist eine Qual; doch dafür sind wir Priester geworden.“ Am 21. Oktober 1911 wurde Pater Ignatius auf der Synode der armenischen Bischöfe in Rom zum Erzbischof von Mardin gewählt und geweiht. Gleich nach seiner Rückkehr eröffnete er Schulen, an denen die armenischen Traditionen und Literatur in den Vordergrund rückten, und nahm sich der Probleme seiner Schäfchen an; besonders wollte er diejenigen unterstützen, die wegen ihres Glaubens an Christus verfolgt wurden. Denn seit dem Ende des 19. Jh. versuchte Sultan Abdul-Hamid, das Wiedererwachen eines armenischen Nationalbewusstseins, das er als Bedrohung für die Einheit des osmanischen Reiches betrachtete, im Keime zu ersticken. 1895 wurden Hunderte von christlichen Kirchen und Klöstern zerstört und Hunderttausende von Gläubigen ermordet; andere verließen in großer Zahl ihre Heimat.
Am Abend des 3. August 1914 erfuhren die Teilnehmer an einer Einkehrveranstaltung für Priester in Mardin, dass sich die Türkei mit Deutschland und Österreich gegen Russland, Frankreich und England verbündet hatte. Viele wussten gar nicht, wer gegen wen Krieg führte und warum. Im Oktober begann die Polizei unter dem Vorwand, nach christlichen Deserteuren zu suchen, Wachen um die Kirchen zu postieren, in Wohnungen und Klöster einzudringen, Frauen zu misshandeln und Wertgegenstände zu beschlagnahmen. Die Verfolgung der Armenier lebte wieder auf. Abgesandte der Regierung verbreiteten die Parole: „Schont nicht das Leben auch nur eines Christen!“
Am 24. April 1915 kündigte der türkische Innenminister Talaat Bacha unter dem Vorwand einer Verschwörung gegen die Türkei die Ausrottung der Armenier an. Am 30. April wurde der Sitz des Erzbischofs in Mardin von türkischen Soldaten umzingelt, da die Kirche angeblich Waffenlager verbarg. Als man keine Waffen fand, wurden blindwütig Akten und Archive zerstört. Anfang Mai rief Erzbischof Maloyan seine Priester zusammen und informierte sie über die gegen die Armenier geschürten Bedrohungen: „Ich ermutige euch nachdrücklich, euren Glauben zu stärken. Setzt all eure Hoffnung auf das Heilige Kreuz, das auf dem Felsen Petrus gegründet ist. Unser Herr Jesus Christus hat seine Kirche auf diesem Felsen und auf dem Blut der Märtyrer erbaut. Ich habe dem Oberhaupt der Kirche Gottes, dem heiligen Pontifex in Rom, stets unverbrüchliche Treue entgegengebracht. Mein innigster Wunsch besteht darin, dass mein Klerus und meine Herde diesem Beispiel folgen und dem Heiligen Stuhl gegenüber immer gehorsam bleiben.“
Die Ereignisse überschlugen sich: Am 15. Mai wurden mehrere Armenier verhaftet. Als Bischof Maloyan eine Fluchtmöglichkeit geboten wurde, erklärte er: „Wir haben unsere Berufung zum Hirten einer Herde angenommen, wo auch immer sie sei. Wir sind entschlossen, unsere Pflicht dem Herrn sowie der Herde gegenüber zu erfüllen, selbst bis in den Tod." Am 3. Juni wurde er verhaftet und zusammen mit rund 50 Gemeindemitgliedern in ein Gefängnis überführt.
Bischof Maloyan wurde vor ein Gericht zitiert und mit Fragen über Waffen, die er angeblich versteckt hatte, bedrängt; er antwortete aufrecht, das sei pure Erfindung. Auf den Vorwurf einer Verschwörung gegen die Regierung erwiderte er: „Ihre Anklage ist aus der Luft gegriffen. Ich habe mich nie der Regierung widersetzt. Im Gegenteil, ich habe ihre Rechte sowohl privat als auch öffentlich verteidigt …“ Daraufhin schlug der Polizeikommissar mit seinem Gürtel auf den Bischof ein. Als dieser sich beschwerte, rief er: „Heute ersetzt das Schwert die Regierung.“ Als der Bischof aufgefordert wurde, zum Islam überzutreten, legte er folgendes Glaubensbekenntnis ab: „Sie werden mich schlagen, mit Messern und Schwertern durchbohren, mit Gewehren durchsieben und in kleine Stücke schneiden müssen, denn ich werde nie meinen Glauben verleugnen. Das steht endgültig fest.“ Als er wiederum geschlagen wurde, seufzte er: „Ich erleide mit meinem Körper den Schmerz der Schläge, aber in meiner Seele bin ich voller Freude.“
Bei Anbruch der Nacht wurde der Bischof an den Füßen gefesselt und anschließend mit einem Stock geprügelt. Er rief: „Wenn einer mich hört, möge er mir die letzte Absolution erteilen!“ Ein ebenfalls gefangener Priester sprach daraufhin die Worte der Vergebung. Dann wurden dem mutigen Bischof die Zehennägel herausgerissen, und man spuckte ihm ins Gesicht. Nachdem er wieder in seine Zelle gebracht worden war, erhob er seine Arme und Augen zum Himmel und verbrachte seine Zeit mit Beten: „Mein Gott, Du hast zugelassen, dass mir das geschieht. Alles hängt von dir ab. Lass deine Kraft erkennbar werden, denn wir brauchen sie. Hilf uns in diesen schweren Zeiten, denn wir sind schwach und mutlos.“
In den ersten Junitagen wurden etwa 1.600 Christen aus Mardin verschleppt. Man zwang sie, durch Seile aneinandergebunden und mit zusammengeketteten Armen zu marschieren; nach sechs Stunden Marsch erreichten sie ein kurdisches Dorf, wo zunächst ein kaiserliches Dekret verlesen wurde, das sie wegen Verrats zum Tode verurteilte. Wer allerdings zum Islam übertrete, dürfe unversehrt in sein Heimatdorf zurückkehren. Bischof Maloyan antwortete im Namen aller: „Wir sind in euren Händen, aber wir sterben für Jesus Christus.“ Dann forderte er alle Christen auf, bei den Priestern, die sich unter ihnen befanden, zu beichten, und ließ ihnen die heilige Kommunion spenden.
Nach Zeugenberichten waren die Gefangenen die ganze Zeit über in eine leuchtende Wolke gehüllt. Danach wurden einige in die sogenannten Grotten von Sheikhan, andere nach Kalaa Zarzawan geführt und brutal niedergemetzelt; die Leichen wurden in Brunnen geworfen. Wir kennen diese Fakten aus Zeugnissen von aufrechten Mohammedanern, die das Massaker ablehnten.
Dem Erzbischof war eine andere Qual vorbehalten: Nachdem er seine Schäfchen sterben gesehen hatte, musste er allein sterben. Der Polizeikommissar fragte ihn ein letztes Mal, wo er die Waffen versteckt halte und ob er sich nicht doch noch zum Islam bekennen wolle. Der Bischof erwiderte: „Ich habe Ihnen schon mehrfach gesagt, dass ich für meinen Glauben, den wahren Glauben, lebe und sterbe, und dass ich meine Ehre auf das Kreuz meines süßen Erlösers setze.“ Daraufhin jagte ihm der Kommissar eine Kugel in den Hals. Bischof Maloyan murmelte seine letzten Worte: „Mein Gott, erbarme dich meiner. In deine Hände lege ich meinen Geist.“
Die Märtyrer, die Jesus bis in den Tod nachgefolgt sind, sollen uns an das erinnern, was der hl. Ignatius von Antiochien geschrieben hat: „Nichts wird mir nützen von den Reizen der Welt und den Reichen dieses Jahrhunderts. Besser ist es für mich, zu sterben auf Christus hin, als König zu sein über die Enden der Erde. Jenen suche ich, der für uns starb; jenen will ich, der unseretwegen auferstand.“
Die christliche Bevölkerung des türkischen Armeniens wurde größtenteils während dieser Verfolgung von 1915 ermordet, der den Geschichtswissenschaftlern zufolge zwischen einer und anderthalb Millionen Menschen zum Opfer fielen. Doch heute leben viele Anhänger der armenisch-katholischen Kirche in der Republik Armenien und überall in der Welt verstreut.
Am 7. Oktober 2001 wurde der heilige Bischof von Papst Johannes-Paul II. seliggesprochen und mit folgenden Worten gerühmt: „Bischof Maloyan, der im Alter von 46 Jahren als Märtyrer starb, mahnt uns an den geistigen Kampf eines jeden Christen, dessen Glaube den Angriffen des Bösen ausgesetzt ist. Tag für Tag schöpfte er aus der Eucharistie die notwendige Kraft, sein Priesteramt großherzig und leidenschaftlich zu versehen.“ Möge das Zeugnis des seligen Ignatius sowie aller armenischen Märtyrer heute nicht nur diejenigen erleuchten, die deren kirchliche Tradition erben und fortführen, sondern alle, die zur Ehre Gottes und zum Heil der Seelen wahre Zeugen des Evangeliums werden möchten!
Der Autor ist Abt der Abtei Saint-Joseph-de-Clairval in Flavigny sur Ozerain, Frankreich.