VISION 20002/2011
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Ãœber die Unterscheidung der Geister

Artikel drucken Einige Hilfen, um zu erkennen, was wahre und falsche Mystik ist (P. Bonifatius Günther)

Privatoffenbarungen, Visionen, Prophezeiungen – wie soll man unterscheiden, was von Gott kommt, was nicht? Im folgenden einige Antworten von Theologen und Mystikern auf oft gestellte Fragen, die Urs Keusch in Fortsetzung seines Artikels in VISION 1/11 zusammengestellt hat:

„Man verschließe den Verstand gegen jede Offenbarung und halte sich einfältig an die Lehre der Kirche und ihren Glauben“. Warum sagt das der hl. Kirchenlehrer, Johannes vom Kreuz ?
P. Bonifatius Günther:
Dies gilt besonders für jeden Mystiker, für ihn also noch mehr als für den einfachen Gläubigen, weil für ihn größere Gefahren bestehen. Nicht seine mystischen Erlebnisse, sondern sein kindlicher und lebendiger Glaube rettet seine Seele und führt ihn zur Vollkommenheit.

Kann man von wahrer und falscher Mystik sprechen?
Günther:
Wahre und falsche Mystik sind Tatsachen, die nun einmal gegeben sind. Man kann sie nicht aus der Geschichte streichen, man wird ihnen auch weiterhin immer wieder begegnen. Wieviel würde der Kirche fehlen, wenn die außerordentlichen Gnadengaben Gottes nicht von Anfang an dagewesen wären, und immer wieder da sind! Und wie viel Schaden wäre der Kirche erspart geblieben, wenn es keine falsche Mystik gegeben hätte.

Gibt es Menschen, die besonders anfällig sind für falsche Mystik?
Günther:
Auf die falsche Mystik fallen besonders gute Priester und fromme Seelen herein. Sie wissen um die außergewöhnlichen Dinge bei den Heiligen, welche von manchen Biographen zu sehr in den Vordergrund gerückt werden. Dies führt dann zur Überschätzung der mystischen Phänomene... Die Seele öffnet dadurch, daß sie nach außergewöhnlichen Dingen Verlangen trägt, dem Teufel Tür und Tor, so daß er sie mit ähnlichen Erscheinungen hintergehen kann.

Sind denn Offenbarungen eher eine Gefahr für den Menschen?
August Poulain
: Kommen sie nicht von Gott – der Fall ist viel häufiger, und man erlangt darüber nur schwer Klarheit – so begibt man sich auf sehr gefährliche Wege. Daraus folgt, daß Offenbarungen im allgemeinen eine Gefahr für den Menschen sind.

Welche Autorität haben dann Privatoffenbarungen?
Poulain:
Sie haben den Wert des Zeugnisses der Person, welche sie berichtet, nicht mehr und nicht weniger. Diese Person ist aber niemals unfehlbar.
Nun gibt es eine Reihe approbierter Offenbarungen. Was bedeuten sie für uns?
Poulain: Die Kirche verpflichtet nie, an Privatoffenbarungen, die Heiligen zuteil wurden, zu glauben. Auch dann nicht, wenn sie dieselben bestätigt (approbiert). Durch diese ihre Bestätigung erklärt sie bloß, daß in ihnen sich nichts gegen den Glauben und die guten Sitten findet, und daß man sie ohne Gefahr, ja sogar mit Nutzen lesen kann... Visionen werden nicht gewährt, um eitle Neugierde zu befriedigen; ihr Ziel ist viel edler: Heiligung der Seele und Vermehrung der Liebe zum Leiden Christi.

Stammen dann viele Offenbarungen nicht von Gott?
Poulain:
Bei Personen, die noch nicht zu hoher Heiligkeit gelangt sind, kann man ohne Unklugheit ruhig festhalten, daß drei Viertel all ihrer Offenbarungen Täuschungen sind.

Fordert man Gott nicht heraus, wenn man Offenbarungen, die von Ihm kommen, zurückweist?
Poulain
: Keineswegs, so antworten der hl. Philipp Neri und der hl. Johannes vom Kreuz, da dieser Widerstand nicht aus Verachtung hervorgeht, sondern ein Akt der Klugheit ist. Diese Kraft der Selbstbeherrschung wird sogar neue Gnaden auf die Seele herabziehen... Günther: Nehmen wir [im Fall eines Erscheinungsortes] einmal an, die Prüfungskommission habe sich wirklich getäuscht und das Verbot sei zu Unrecht erlassen worden: In diesem Fall könnte der von Gläubigen geübte Gehorsam für alle und den Wallfahrtsort nur zum Segen werden. Franz von Sales: Alles ist gesichert im Gehorsam, alles ist verdächtig, was außerhalb des Gehorsams geschieht... Wer sagt, er habe Eingebungen, und sich weigert, den Vorgesetzten zu gehorchen und Ratschläge zu befolgen, der ist ein Betrüger.

Hat manchmal auch der Teufel seine Hand im Spiel?
Franz von Sales:
Es kann auch der böse Feind, wenn man so sprechen darf, den Verstand in Ekstase versetzen und entrücken; er kann ihm so wunderbare Einsichten geben, daß sie ihn über die menschlichen Kräfte erheben und in Schwebe halten. Er kann auch durch solche Klarheiten dem Willen eine Art eitler, weichlicher, schwächlicher und unvollkommener Liebe geben... Tatsächlich hat man in unserer Zeit einige Personen gesehen, die selber glaubten (und jedermann glaubte es ihnen), daß sie von Gott in Ekstasen entrückt würden.

Was bezweckt dann der böse Feind mit solchen Dingen?
Franz von Sales
: Er tut das, um Gott nachzuäffen, Seelen in die Irre zu führen, Schwachen Ärgernis zu geben und einen Geist des Lichtes vorzutäuschen... Sieht man also einen Menschen, der im Gebet entrückt ist, so daß er über sich hinaustritt und sich zu Gott erhebt, aber kein Gott hingegebenes, höheres Leben führt, seine weltlichen Lüste nicht überwindet, seine naturhaften Willensäußerungen und Neigungen nicht abtötet durch innerliche Güte, Einfachheit, Demut und besonders andauernde Liebe, glaube mir, dann sind diese Entrückungen sehr zweifelhaft und gefährlich. Es sind Entrückungen, die bei den Menschen Bewunderung hervorrufen können, aber nicht zur Heiligung führen.

Gibt es nicht auch Offenbarungen, die der Kirche viel Segen gebracht haben, etwa die von der hl. Margaretha Maria Alacoque und der hl. Schwester Faustyna?
Poulain:
Es ist klar, daß Erscheinungen und Privatoffenbarungen, wenn sie echt sind, keine Gefahr bieten, sondern im Gegenteil sehr nützlich sind. Die Gnade wirkt ja immer zu unserem Heile, und außerordentliche Gnaden haben auch nicht eine ganz gewöhnliche Bestimmung.  Die Heilige Schrift zeigt uns an vielen Beispielen, daß eine solche Gnade großen geistigen Nutzen stiftet. Die hl. Theresia versichert dasselbe oftmals von sich.

Haben Privatoffenbarungen also eine bleibende prophetische Aufgabe in der Kirche?
Karl Rahner:
Das Prophetische und Visionäre (im weitesten Sinn) ist aus der Geschichte des Christentums nicht wegzudenken. Wer alle solche Dinge zurückführen wollte auf natürliche oder gar krankhafte menschliche Zustände, würde konsequent leugnen, daß ein geschichtliches Handeln des sich im Wort offenbarenden persönlichen Gottes möglich sei. Damit aber würde er den Charakter des Christentums als einer übernatürlichen geschichtlichen Offenbarungsreligion bestreiten... Auch das kleine Tor einer Privatoffenbarung sei gepriesen, wenn Menschen dadurch den ersten Eingang in eine wirkliche Erfassung des Christentums finden…

Stimmt es, daß auch Heilige sich in ihren Offenbarungen und Visionen geirrt haben?
Rahner
: Der heilige Norbert von Xanten [1226-1234 Erzbischof von Magdeburg] fühlte sich absolut gewiß (certissime), daß der Antichrist noch in seiner Generation erscheinen werde... Katharina von Siena glaubte, Maria habe ihr geoffenbart, sie sei nicht unbefleckt empfangen... Poulain: Der hl. Vincenz Ferrer (1398-1419) predigte die letzten 21 Jahre seines Lebens, daß das Jüngste Gericht nahe bevorstehe. Er wisse das aus einer klaren Offenbarung, und zum Beweise dafür wirkte er überall Wunder. Unter vielen andern erweckte er zu Salamanca 1412 eine Frau vom Tode, welche man gerade zum Friedhof trug, und welche dann seine Worte bestätigte. Und doch ging diese so gut beglaubigte Weissagung nicht in Erfüllung... Günther: Gott will, daß wir selbst den größten Gelehrten und Heiligen nicht für unfehlbar halten, sondern nur das Lehramt der Kirche.

Werden alle Mystiker durch die Kirche geprüft?
Rahner
: Die wahren Mystiker haben sich gegen eine solche Prüfung nicht gewehrt. [Die hl.] Gemma Galgani beendet die Briefe, in denen sie ihrem Seelenführer ihre Visionen und andere Gunsterweise berichtet, häufig mit Sätzen wie folgendem: „Ich habe Ihnen das gesagt, weil es mir Jesus befohlen hat. Glauben Sie aber nichts davon; denn es ist ja doch nur mein toller Kopf!“ Günther: Die echten Mystiker haben nur im Gehorsam gesprochen und das Sprechen war ihnen meistens ein Kreuz. Vor allem haben sie sich dem Urteil der Kirche willig unterworfen.

Woher kommt der populäre Hang zu falscher Mystik?
Kardinal Henry Newmann:
Das große Übel, von dem ich spreche (der populäre Hang zu abergläubischer Wahrsagerei und Zukunftsprophezeiungen), entsteht infolge der Vernachlässigung der Schrift... Aber große Erbauung kommt von der Lesung der Verheißungen der Schrift; und Segen wird denen zuteil werden, die sie lesen. Ganz wenig ist uns über die Zukunft gesagt – nichts, was uns wirklich erbauen kann... Das Evangelium ist das beste geistliche Buch, mit den Briefen des heiligen Paulus und den Psalmen... Christus kennen heißt die Schrift kennen. Das ist ein Anker.
Können Privatoffenbarungen die Heilige Schrift ergänzen?
Katechismus (67): Sie sind nicht dazu da, die endgültige Offenbarung Christi zu „vervollkommnen“ oder zu „vervollständigen“, sondern sollen helfen, in einem bestimmten Zeitalter tiefer aus ihr zu leben.


Was kann man über die echte Mystik sagen?
Günther: Merken wir uns darum unbedingt: Ehrfurcht vor der echten Mystik als Gottes Werk! Priester und innerliche Menschen sollten darum auch Schriften der Mystiker lesen. Wie viel Segen ist von denen der heiligen Theresa von Avila schon ausgegangen. Edith Stein wurde dadurch gläubig und katholisch. Egon von Peterdorf, zuerst Spiritist, wurde durch sie bekehrt. Ein Deutscher in einem Buddhistenkloster sagte nach der Lektüre des Lebens der heiligen Theresa von Avila: ‚Hätte ich dies in Deutschland gelesen, wäre ich nicht hierher gegangen‘. Also Ehrfurcht vor der echten Mystik als dem Werk Gottes!
 
Weiterführende Literatur
Empfehlenswerte Literatur für die geistliche Betrachtung:
Thomas von Kempen: Nachfolge Christi; Teresa von Avila: Das Buch meines Lebens; Gertrud von Helfta: Gesandter der göttlichen Liebe; Mechthild von Hackeborn: Das Buch der besonderen Gnade; Mechthild von Magdeburg: Das fliessende Licht der Gottheit; Juliana von Norwich: Offenbarung von göttlicher Liebe; Katharina von Siena: Gespräch von Gottes Vorsehung, Caterina von Genua: Traktat über das Fegfeuer.
Allgemein empfehlenswerte geistliche Schriften:
Franz von Sales: alle Werke; Therese von Lisieux: Selbstbiographische Schriften; Starez Siluan: Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers; Aurelius Augustinus: Bekenntnisse; Mutter Teresa, alle Schriften; Anna Katharina Emmerich, sämtliche Werke; Papst Benedikt XVI., alle Schriften.
Urs Keusch bietet Interessenten gerne weiterführende Infos an. Seine Adresse kann bei der Redaktion nachgefragt werden.

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