Wenn die Menge mit Francesco-Rufen dem Papst Ovationen darbringt, fordert er sie auf, mit noch größerer Lautstärke Jesus Christus zu loben. Denn an Ihm allein hängt all unserer Glaube. Dies zu vertiefen, ist die Herausforderung im Jahr des Glaubens.
In seinem Buch Die kurze Erzählung vom Antichrist erzählt Wladimir Solowjew folgende Geschichte: Nach einer von schweren Krisen geprägten Periode übernimmt ein brillanter, gebildeter, schöner, von allen bewunderter Mann die Herrschaft über die Welt. Alles atmet auf. Ordnung wird wiederhergestellt, Wohlstand stellt sich ein. Ewiger Friede werde herrschen, alle kommen zu ihrem Recht … Nach der Lösung aller politischen und sozialen Probleme bleibt noch die religiöse Frage zu klären.
Um sie zu lösen, beruft der Kaiser ein Konzil ein, wo er um die Anerkennung der Versammelten wirbt und zwar mit Gunsterweisen und Zuwendungen, von denen er annimmt, sie seien den jeweiligen Glaubensgemeinschaften, Katholiken, Orthodoxen und Evangelischen besonders teuer. Ein Großteil der Versammelten huldigt daraufhin begeistert dem Herrscher. Verbleibt zum zuletzt noch ein Häuflein Uneinsichtiger. Diese fragt der Antichrist mitleidig: „Was ist euch das Teuerste am Christentum?“
Ihm antwortet Papst Petrus II. stellvertretend für den um ihn gescharten Rest: „Das Teuerste am Christentum ist für uns Christus selbst…“ Daraufhin erhebt sich im Kaiser „ein höllischer Sturm“ und er verliert völlig „sein inneres Gleichgewicht“, schreibt Solowjew. Denn die zentrale Wahrheit unseres Glaubens, die dem totalen Anspruch des Antichrist entgegensteht, war feierlich verkündet worden: Das Teuerste am Christentum ist Jesus Christus, Er, der einzige Sohn des Vaters, voll Gnade und Wahrheit, wie der Evangelist Johannes schreibt (Joh 1,14).
Wer die Apostelgeschichte liest, erkennt sofort: Dass sich alles an Jesus Christus entscheidet, dass in Ihm das Leben ist, genau diese Botschaft verkünden Petrus, Paulus, Philippus, Stephanus und all die anderen, die das Evangelium in die Welt getragen haben. Und diese Botschaft scheidet die Geister: Sie löst massenweise Bekehrung aus, wie die Pfingstpredigt des Petrus, sie führt zum verbissenen Widerspruch und Martyrium, wie bei Stephanus.
Diese Radikalität ist uns heute abhandengekommen. Wenn es um Fragen der Orientierung geht, drehen sich die Gespräche meist um das Thema der Werte. Jeder Politiker, der etwas auf sich hält, stellt Werte in die Auslage. Und dabei dürfen sogar christliche Werte zur Sprache kommen. In gewisser Weise macht es ja auch Sinn, wenn man für diese Werte, die sich aus der Botschaft Christi ergeben, eintritt. Es sind ja Handlungsanweisungen und Ratschläge für ein lebensträchtiges Verhalten des Menschen. Wer für Werte wie Demut, Armut, Wahrheits- und Nächstenlieben, Gehorsam, Keuschheit… die Werbetrommel rührt, tut etwas Gutes.
Vielfach entsteht dann aber der Eindruck, Christsein erschöpfe sich darin, christliche Werte zu bekennen und sie – so gut es eben geht – im Leben umzusetzen. In weltanschaulichen Diskussionen lässt sich dann die Zuträglichkeit bestimmter Werthaltungen an Beispielen belegen, kann man die nachteiligen Folgen eines Lebens, das sich nach „Unwerten“ orientiert, hervorheben. Aber bei all dem trifft man immer noch nicht den Kern dessen, was den christlichen Glauben ausmacht: das aktuelle mächtige, segensreiche Wirken Christi in unseren Tagen.
Warum haben wir solche Schwierigkeiten, uns ausdrücklich zu Jesus Christus zu bekennen? Dabei sind heute Gespräche über den Sinn des Lebens durchaus wieder „in“. Man kann nur staunen, was da alles als lebensträchtig herumgereicht wird. Mit größter Selbstverständlichkeit wird von Erfahrungen mit Reiki, Pendeln, Rutengehen, mit Yoga, Feng-shui, Hellseherei, Kartenlegen… berichtet. Mit Interesse werden Rezepte und Geheimtipps ausgetauscht, Vegetarier entwickeln Perspektiven von hundertjährigem Leben, Gurus werden empfohlen und Kurstermine für transzendentale Meditation notiert.
Und wir Christen? Sitzen dann etwas verschüchtert daneben, wissen zwar, dass all dies in den Augen Gottes Götzendienst ist, halten uns aber zurück. Man will ja niemanden vor den Kopf stoßen. Und vielleicht ist an dem einen oder anderen doch etwas dran… Man erinnert sich an den Satz: „Prüft alles, und behaltet das Gute!“ (1Thess 5,21) – und schweigt. Von Jesus Christus als Mensch gewordenem Gott zu sprechen, der gekommen ist, um all das als Irrweg zu entlarven, kommt wohl nicht gut an.
In mancher Hinsicht ist dieses Verhalten nachvollziehbar. Die Verunsicherung ist groß. Was wurde uns nicht alles an Theorien über Jesus Christus vorgesetzt – auch von Theologen! Da wurde und wird an fast allem gezweifelt: dass Jesus überhaupt gelebt hat; dass Er der Sohn Gottes gewesen ist (vielmehr sei Er der Sohn des Joseph oder eines römischen Soldaten); dass Er am Kreuz gestorben ist (vielmehr sei Er scheintot gewesen und habe Sein Leben – eventuell mit Maria von Magdala irgendwo, vielleicht in Indien beendet); dass Er von den Toten auferstanden ist (ein Konstrukt, das sich Seine Jünger haben einfallen lassen, damit die „Sache Jesu weitergehe “)… Ich kann mich erinnern, solches in Predigten gehört zu haben.
Wenn dieses Jahr des Glaubens wirklich Frucht bringen soll, muss sich an dieser Situation etwas tiefgreifend ändern. Die erwähnte zentrale Botschaft unseres Glaubens muss erkennbar und glaubwürdig in den Vordergrund rücken: „Das Teuerste am Christentum ist für uns Christus selbst…“ Das erfordert zunächst vor allem, dass wir Christen unser Leben von Seiner Gegenwart erfüllen lassen.
Mit Ihm treten vollkommen neue Perspektiven ins Leben. Wer sich darauf einlässt, an Seiner Hand zu gehen, wird wahrnehmen dürfen, was Gott alles im Leben verändert. Oft gelingt dies nur im Rückblick, weil uns der Alltagstrott mit seinen vielen Ablenkungen diesbezüglich den Blick trübt und oft nur das Beschwerliche und Leidvolle ins Bewusstsein hebt. Darum ist das Klagen unter Christen – obwohl auch Klagen möglich sein muss – so weit verbreitet.
Und dabei wäre es so wichtig, dass die Welt erfährt, dass Jesus Christus heute mächtig wirkt. Dass Er nicht nur eine große historische Persönlichkeit unter vielen ist, sondern dass Ihm alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist, wie der Apostel Matthäus berichtet.
Im Leben der Heiligen wird dieses Wirken Gottes besonders deutlich. Aber dann heißt es oft: Ja, das seien eben Ausnahmeerscheinungen, besonders Auserwählte. Unter uns, den Menschen wie du und ich, da geschieht all das eben nicht. Dem können wir gegensteuern, wenn wir die Aufforderung von Papst Franziskus an die in Rio de Janeiro versammelten Jugendlichen ebenfalls umsetzen: „Füg Christus hinzu, nimm Christus in dein Leben hinein und du wirst einen Freund finden, auf den du dich immer verlassen kannst!“
Ich habe das in meinem Leben unzählige Male erleben dürfen. Die erste Erfahrung nach meiner Bekehrung vor etwa 40 Jahren war das Bewusstsein: „Du bist nie mehr allein. Ich begleite dich auf deinen Wegen. Ich werde deine Augen öffnen…“ Seither habe ich immer einen Ansprechpartner, der mich ermutigt, aufrichtet, tröstet, mir in Momenten der Versuchung Kraft zum Widerstand gibt.
Ich durfte auch miterleben, wie Christus erstaunliche, vorher kaum vorstellbare Werke der Evangelisation entstehen ließ: den 12. Internationalen Familienkongress 1988 in Wien mit 12.000 Teilnehmern, ein Riesenunternehmen, das viel zur Glaubenserneuerung nicht nur in Österreich beigetragen hat und nur aus der Bereitschaft einer Handvoll Menschen entstanden ist, die sich ermutigt durch die selige M. Teresa auf ein Abenteuer eingelassen haben; die Zeitschrift VISION 2000, die nun seit 25 Jahren ohne institutionelle Unterstützung besteht und eine Auflage mehr als 25.000 Exemplaren erreicht; Radio Maria, ebenfalls eine Privatinitiative, das mittlerweile weltweit nach Radio Vatican das Radio mit den meisten Hörern ist…
Und ich durfte ganz konkrete Wunder erleben, von denen ich eines zum Abschluss als Zeugnis für das Wirken des Herrn in unseren Tagen erzählen möchte.
Wir hatten es schon seit längerem bemerkt: Unterhalb des Kinns meines Vaters – er war damals eineinhalb Jahre zuvor mit 61 Jahren in Pension gegangen – war eine Geschwulst zu sehen. Sie wuchs langsam, aber unaufhörlich. Wer den Vater darauf ansprach, bekam eine ausweichende Antwort: „Nichts besonderes. Kein Grund zur Sorge.“
Als erste Schwierigkeiten beim Reden auftraten, drängten wir ihn, endlich einmal zum Arzt zu gehen. Keine Reaktion, bis die Situation unhaltbar geworden war und mein Bruder – selbst Arzt – ihn ins Spital zur Untersuchung mitnahm. Die Diagnose: Krebs im fortgeschrittenen Stadium. Welche Art von Krebs, wollte man gar nicht erst herausfinden. Zu gefährlich.
Nachdem die Diagnose feststand, besuchte ich ihn am Abend. Er war allein in einem eher trostlosen kleinen, aber hohen Spitalszimmer, ratlos, hilflos. Unbeholfen auch unser Gespräch. So hatte ich meinen eher unnahbaren Vater noch nie erlebt. Tiefes Mitleid erfüllte mich, als ich ihn allein zurückließ.
Und dann: Ich überquere die Straße vor dem Spital auf dem Weg zu meinem abgestellten Auto. Da weiß ich plötzlich mit unumstößlicher Sicherheit, dass mich der Herr wissen lässt: „Wenn Du neun Tage fastest, wird Dein Vater gesund.“ Nicht der geringste Zweifel. Es lag jetzt nur an mir, mich für das Angebot zu entscheiden. Eine tiefe Ruhe war da.
Ich fastete also, der Vater unterzog sich einer Strahlenbehandlung – und wurde gesund. Er starb mehr als 20 Jahre später.
Dank sei Dir, Herr!