Wer die Zeitung aufschlägt, das Fernsehen aufdreht und sich einen halbwegs klaren Blick bewahrt hat, staunt: Mit größter Selbstverständlichkeit und viel Pathos werden die unsinnigsten Behauptungen, meist unwidersprochen, verkündet…
Nun ja,“ sagte kürzlich bei einem Interview eine junge Journalistin zu mir. „Früher hatte eben jeder für sich seinen Standpunkt – und den behielt er dann sein Leben lang starr bei. Aber heute haben wir den flexiblen Bürger: Vom Fernsehen und vom PC vielseitig informiert hat der Mensch doch die Chance, seine Meinung alle halben Jahre zu ändern. Heute ist er ebenso autonom wie kritisch. Er ist zum mündigen Bürger geworden.“
Ich versagte es mir, ihrer blauäugigen Einschätzung einige Gegenbeweise zu kredenzen; denn schließlich läßt sich nicht bestreiten, daß man gelegentlich einem mündigen, echt urteilsfähigen Menschen begegnet. Im Gespräch mit diesem stellt sich dann aber meist heraus, daß diese Reife die Frucht eines umfänglichen Lernens an der Erfahrung und durch literarische Zusatzbemühungen entstanden ist – ja, daß dieser erfreuliche Zustand viel eher bei Menschen zu finden ist, deren Informationsquelle einer reichlichen Fernseh- und Internetnutzung eher abhold ist.
Aber da mich die Wahrnehmungsblindheit der jungen Dame, die sich zum Beruf erwählt hatte, über aktuelle gesellschaftliche Zustände und das Verhalten der Menschen zu berichten, in Erstaunen versetzte, möchte ich zumindest in diesem Artikel einige kleine Beispiele für die Blindheit einer erschreckend großen Zahl von Menschen erbringen. Diese Blindheit haben sie als schleichende Indoktrination durch die Medien erworben und sie vertreten eine Meinung, die keineswegs auf eigenem Nachdenken beruht. Das Ausmaß von Verwirrungen in erstaunlich vielen Bereichen – besonders in ethischen Fragen – hat, so scheint es mir, in unserer Zeit eine enorme Verblasenheit hervorgerufen.
Jüngst hat sich in Deutschland z.B. ereignet, daß im größten Bundesland eine rot-grüne Mehrheit die Regierung erobern konnte, weil sie vor allem anderen die Forderung nach einer obligatorischen Einführung von Gesamtschulen zu ihrem Wahlschlager gemacht hatte. Und das, obgleich ausgerechnet in diesem Land bei einem Vergleich von Gesamtschulen mit gestuften Schulen die Erfahrung gemacht worden war, daß die Massenschule lediglich klägliche Mißerfolge zu verzeichnen hatte. Wie ist es möglich, daß man dies dennoch einer so großen Zahl von Bürgern – allerdings lange über die einhellig für die falsche Richtung plädierenden Medien – einzubläuen vermag? Die Verwirrung entstand dadurch, daß die Möglichkeit einer besseren Bildbarkeit der Kinder durch die Länge des Schulalltags – (und damit unbewußt die Abgabe von elterlicher Verantwortung) den Bürgern des Landes schmackhaft gemacht worden war.
Solche Beispiele lassen sich beliebig vermehren. Immer eindeutiger belegen Wissenschaftler die Gefahr von zu früher Kollektivierung der Kinder. Aber immer mehr schwangere Mütter planen dennoch, so rasch wie möglich wieder in die Erwerbstätigkeit zurückzukehren und behaupten mit Verve, daß das für die Babys notwendig sei, damit diese von Profis rechtzeitig tief genug gebildet würden. Und diese Lüge machen sich nicht etwa nur einfache Frauen zu eigen, um fortschrittlich zu sein, sondern auch besonders viele Akademikerinnen. Dabei sollten doch eigentlich sie logisches Denken an der Universität gelernt haben!
Ebenfalls als verwirrt haben sich die Synodalen der Evangelischen Kirche Deutschlands erwiesen, als sie am 10. November, einen Tag vor dem Namenstag Martin Luthers, einstimmig ein neues Pfarrdienstgesetz beschlossen und schwulen Pfarrern dadurch genehmigten, mit dem gleichgeschlechtlichen Partner in den Pfarrhäusern zu leben. Bei aller Toleranz, die bei kirchlichen Laien noch vertretbar wäre, ist Luthers Credo „sola scriptura“ (die Hl. Schrift als einzige Richtlinie) ausgeblendet worden und die Tatsache, daß „Pastor“ übersetzt Hirte heißt: Auf dem Boden der Aussagen von Jesus Christus müßte doch wohl der Pfarrer eher Vorbild zur Entstehung von Einehen und Familien in seiner Gemeinde sein.
Verwirrt sind ganze Heere von Parlamentarien, die PID – das heißt Prä-Implantations-Diagnostik – befürworten. Sie vertreten die medial geförderte Meinung, daß die künstliche Befruchtung und die darauf folgende Auslese von Erbkrankheiten erlaubt werden müßte, weil die europäischen Länder ringsum sie erlauben. Dabei merken sie nicht, daß dieses Argument von der Art ist, wie sie spätestens im Grundschulalter wegen eines besseren Denkvermögens überwunden sein sollte, nämlich daß eigenes Tun nicht durch das Fehlverhalten anderer gerechtfertigt ist. Darüber hinaus blendet diese geradezu skandalöse Einstellung vollkommen die Geschichte des 20. Jahrhunderts in Deutschland aus. Die Kanzlerin brachte es immerhin zu einem schwachen Veto…
Aber was für eine Anmaßung führt hier eine Regie, die dem Elternwunsch nach einem gesunden Kind einen höheren Rang zumißt, als der Ehrfurcht vor künstlich im Labor erzeugten Kindern, deren Überzahl oder Unbrauchbarkeit, dazu führt, daß man sie in den Müll kippt oder für die Forschung weiter verwendet!
Die Klarsicht ist auch den Menschen geraubt worden, die vor einiger Zeit in Angst und Schrecken vor der Schweinegrippe versetzt und zu Impfungen verleitet wurden, obgleich sich ergab, daß eine Übertragbarkeit auf den Menschen gar nicht bestand. Oder die Fehlvorstellungen zum Thema Aids: Man könne die Krankheit mit Milliarden von Kondomen – vor allem für Afrika – in den Griff bekommen. Dabei hat sich in Deutschland die Zahl der HIV-Infizierten trotz massiver Kondompropaganda in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt.
Daß Pornographie eine vertretbare Freizeitbeschäftigung zumindest für das männliche Geschlecht sei, ließ sich vor weniger Jahren noch ohne Widerspruch z.B. in einer katholischen Akademie verkünden, ohne von der sich entwickelnden internationalen Kinderschänderindustrie auch nur Kenntnis zu nehmen. Und dieses Einpendeln schändlichster aller Verbrechen gegen Kinder konnte noch nicht einmal verändert werden, nachdem die Frau Familienministerin einmal einen entsprechenden Blick ins Internet geworfen hatte…
Aufgenötigte Verwirrung bedeutet es auch, wenn man die Überachtzigjährigen unter zu Hilfenahme eines Blätterwaldes von Infos dazu zwingt, juristisch abzusichernde Vollmachtserklärungen abzugeben, nur damit sie in ihren letzten Tagen nicht in die Hände der ihnen staatlich überstellten sogenannten Betreuern fallen und so womöglich der Tendenz zur Euthanasie ausgeliefert werden.
Ebenfalls heilloser Verwirrung ist die Kindergartenpädagogik ausgesetzt. Neuerdings wird hier mit Eifer der „spielzeuglose Kindergarten“ propagiert, damit die Kinder zunächst einmal „zu sich selbst finden“ – und eigenständig die Erkenntnis gewinnen, ob sie ein Junge oder ein Mädchen sind. Sie sollten das frei entscheiden, so befiehlt es die Gender-Mainstreaming-Ideologie, die den Erzieherinnen bei Fortbildungen als pädagogischer Auftrag aufgenötigt wird. Und das, obwohl die Kinder – wie in den Kinderläden von Anno dazumal – nun wieder fragen: „Tante, müssen wir den ganzen Tag wieder tun, was wir wollen?“ Und die kleinen Jungen sagen: „Im Kreis hüpfen – das will ich nicht – das ist für Mädchen.“ Und die Mädchen: „Was soll ich mit dem Säbel? Ich bin ein Mädchen.“ Das heißt: Die Kinder würden ja ihren verwirrten Pädagogen einige Verbesserungsvorschläge und somit eine Belehrung über die eindeutige Wahrheit zuteil werden lassen.
Dies sind nur einige kleine Beispiele für die beispiellose Verwirrung, die sich derzeit wie ein Wirbelwind über Europa ausbreitet. Sie ist trauriges Merkmal einer allgemeinen Halt- und Orientierungslosigkeit, die Folge der Gegebenheit, daß man durch mediale Indoktrination viele Menschen zu gedankenlosen Akteuren ihres Nachahmungstriebes verdammt hat.
Schon Dostojewski hat – leider auch erfolglos – die Russen gewarnt: „Wenn es keinen Gott gibt, dann ist alles erlaubt.“ Wo nicht an Gott, nicht an ein zukünftiges Leben geglaubt wird, da wird alles möglich. Und – so möchte man hinzufügen – dann wird auch Allgemeinverwirrung mit hohem Pegelstand möglich, wie wir das zur Zeit – massiver denn je – erleben.