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Nicht jeder Satz ein Dogma

Artikel drucken Das Lehramt im Medienzeitalter (Denis Sureau)

Enzykliken, Predigten, Bücher, Interviews… Päpste und Bi­schöfe äußern sich heute in vielfacher Form. Schwierig, da klar zu erkennen, welche Äu­ßerung dem Lehramt zuzurechnen, welche als private Ansicht anzusehen ist. Dazu einige Überlegungen:


Die Enzyklika Lumen Fidei, die im vergangenen Juni veröffentlicht worden ist, ist nicht so leicht zu lesen und erschließt sich nicht allen sofort, selbst gebildeten Lesern. Mangels geeigneter Vermittlung hat sie wenig Widerhall im christlichen Volk gefunden. Das kurze Gezwitscher via „Twitter“ hingegen wird von 10 Millionen Handys wahrgenommen. Doch welche Lehre kann man mit 140 Zeichen vermitteln?
So stellt sich die klassische Frage, wo beginnt und wo endet das päpstliche Lehramt? Und selbst diese Frage tritt heute zurück hinter eine noch kritischere Fragestellung: Wo beginnt und wo endet überhaupt das Lehramt bzw. die private Äußerung?
Dazu kommt ein zweites Element: der exponentiell steigende Umfang der päpstlichen Lehräußerungen. Seit Beginn des letzten Jahrhunderts hat sich die Zahl der Texte vervielfacht, vor allem seit Pius XII.: Seine Reden füllen 21 Bände zu 650 Seiten – klein gedruckt. Das Werk von Johannes Paul II. umfasst 86.000 Seiten! Die Enzykliken sind in einem bisher unbekannten Ausmaß übergewichtig geworden: Es genügt jene von Pius XI. mit denen von Johannes Paul II. zu vergleichen. Benedikt XVI. hat versucht, den Trend zu ändern. Aber seine Sozialenzyklika Caritas in Veritate ist mehr als imposant. Und die erste Enzyklika von Papst Franziskus, Evangelii Gaudium, umfasst bis zu 320 Seiten…
Zu dieser beispiellosen Aufblähung gesellt sich ein drittes verwirrendes Phänomen: die Veröffentlichung von Schriften durch die Päpste neben ihrem Magisterium. Leo XIII. hat einen Gedichtband veröffentlicht, der offensichtlich nicht dem Lehramt zuzurechnen ist. Jean Guitton hat Dialog mit Paul VI. (1967) veröffentlicht, dann André Frossard (Fürchtet euch nicht!, 1982) und Vittorio Messori (Die Schwelle der Hoffnung überschreiten, 1994) mit Johannes Paul II. und schließlich Peter Seewald (Licht der Welt, 2010) mit Benedikt XVI..
Die beiden letzten Päpste haben darüber hinaus Bücher veröffentlicht: Fürchtet euch nicht! oder Erinnerung und Identität von Johannes Paul II. sowie die drei Bände Jesus von Nazareth von Benedikt XVI..
Diese Bücher sind keine Akte des Lehramtes, sie tragen allerdings die Unterschrift von Päpsten. Weder die Journalisten, noch die Leser (leider!) halten beides auseinander, machen keinen Unterschied zwischen dem Papst, der lehrt, und dem Papst, der sich als Privatperson äußert.
Was ist nun aber genau die Aufgabe des Magisteriums? Louis Bouyer antwortet darauf in seinem Dictionnaire Théologique (Desclée-Mame 1995): „Es ist jene Aufgabe, die der Kirche zukommt, insbesondere ihrer apostolischen Hierarchie, fortgesetzt das Wort Gottes in dessen Namen und mit dessen Autorität zu verkünden und bei Bedarf dessen Sinn zu definieren.“
Als Hüter und Förderer des objektiven Glaubensinhalts (fides quae) müssen sich die Bischöfe und vor allem der Papst dann äußern, wenn eine bestimmte Theologie sich vom Inhalt des Glaubens gelöst hat. Sobald sie das tun, müssen die Gläubigen bereit sein, dem Folge zu leisten. Je nach Inhalt dieser Belehrung und der Art ihrer Präsentation, ist dann ein „religiöser Gehorsam des Willens und Verstandes“ (Lumen Gentium 25) gefordert.
Aber weder die Bischöfe noch der Papst sind dazu berufen, auf alle Fragen, die sich stellen, eine Antwort zu geben. In seinem Kommentar zur Konstitution Dei Verbum hat Joseph Ratzinger eine Sichtweise als abwegig bezeichnet, die im ordentlichen und außerordentlichen Lehramt von Papst und Bischöfen den Ausgangspunkt der Gläubigkeit sehen würde. (…)
Der Inhalt unseres Glaubens kommt uns grundsätzlich aus der Schrift und der Tradition entgegen. Die Aussagen des kirchlichen Lehramts sind nur eines der Elemente, wenn auch eines von größter Wichtigkeit für deren Interpretation. Gleiches gilt für das heutige Lehramt: „Die besondere, dem Lehramt zugesicherte Gnade besteht keineswegs darin, eine neue Offenbarung an die Stelle jener zu setzen, die ein für allemal geschah, sondern genau im Gegenteil: sich nie von dieser zu entfernen.“ (Louis Bouyer)
In seiner Enzyklika Evangelii Gaudium vertritt Papst Franziskus eine ganz richtige Ansicht, wenn er betont: „Ich glaube auch nicht, dass man vom päpstlichen Lehramt eine endgültige oder vollständige Aussage zu allen Fragen erwarten muss, welche die Kirche und die Welt betreffen.“ (16)
Das ist weder falsche Bescheidenheit, noch Absage an seine Aufgabe als Oberster Hirte, sondern es entspricht der von seinem Vorgänger geteilten Überzeugung, man müsse den heilsamen Rückweg zu einer realistischeren und authentischen Ausübung des Magisteriums finden.
Denis Sureau
Der Autor ist Herausgeber der zweiwöchentlich erscheinenden Zeitung „L’Homme Nouveau“, deren Ausgabe v. 21.12.13 der Beitrag auszugsweise entnommen ist.

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