VISION 20001/2014
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Die Gläubigen, nicht den Glauben reformieren

Artikel drucken Gespräch mit dem Sekretär von Benedikt XVI.

Wie würden Sie das Verhältnis von Papst Franziskus und Papst Benedikt beschreiben?
Erzbischof Georg Gänswein: Es ist herzlich, es besteht eine große Wertschätzung sowie eine innere wie äußere Sympathie, die immer wieder zum Ausdruck kommt. Und davon bin ich, wie kein zweiter, Augen- und Ohrenzeuge.

Wie nah sind sich beide in ihren theologischen Grundsätzen?
Gänswein: Da ist es wichtig zu sehen, dass Papst Benedikt schon als Kardinal viel geschrieben hat. Da hatte man also schon einen Eindruck, wen man vor sich hat. Bei Papst Franziskus ist es so, dass jedenfalls wir ihn hier – wahrscheinlich auch in Deutschland – erst theologisch kennenlernen müssen. Und da ist es wichtig zu unterscheiden zwischen den Gesten, der Gestik und dem Inhalt. Er ist ein großer Mann der Gestik und nach und nach kommen jetzt auch inhaltliche Elemente zum Vorschein, vor allem auch durch das Apostolische Schreiben. Inhaltlich sehe ich eine absolute Kontinuität, die sich vor allem in der Enzyklika Lumen fidei gezeigt hat. Sie ist ja, wie Papst Franziskus selbst gesagt hat, mit vier Händen geschrieben worden. (…)

Können Sie auch Unterschiede benennen?
Gänswein: Unterschiedliche Schwerpunkte: Bei Papst Benedikt ist das Sprechen über Glaube, Vernunft, Relativismus wichtig. Diese großen Themen, die Papst Benedikt in den letzten Jahren immer wieder bewegt haben, sind bei Papst Franziskus eher in der zweiten Linie. Das sind unterschiedliche Schwerpunkte, die aber nicht unterschiedliche Inhalte zum Ausdruck bringen. Papst Franziskus kommt mit einer ganz anderen Erfahrung, die er als Erzbischof von Buenos Aires gesammelt hat, einer Erfahrung, die er nun auch in sein Petrusamt einbringt. Und diese Erfahrung ist geprägt von vielem, was er aus Argentinien und La­teinamerika mitgenommen hat.  (…)

Wie unterscheidet er sich in der Wahrnehmung seiner päpstlichen Aufgaben von Papst Benedikt?
Gänswein: Es gibt unterschiedliche Schwerpunkte in der Verkündigung, unterschiedliche Schwerpunkte auch in verschiedenen Audienzen. Und dann ist es klar, dass bei jeder Form der Begegnung die Persönlichkeit eine große Rolle spielt. Papst Franziskus hat die große Gabe, dass da sofort das Eis, das vorhanden ist, bricht, Er stellt eine Verbindung her, die herzlich ist. Das nimmt dem Gegenüber sofort die Unsicherheit oder das Lampenfieber. Und es ist eine große Hilfe, dass sofort ein guter Draht da ist, dass man sich gut versteht.

Was ist Ihrer Meinung nach außerdem noch das Besondere an Papst Franziskus?
Gänswein: Das Besondere ist sicher, dass er ein Mann ist, der sich in keiner Weise vor irgendeinen Karren spannen lässt – ein Mann mit einer großen inneren Freiheit, der, was er für richtig hält, tut, mag es von außen als richtig oder falsch angesehen werden. Er hat da keine Angst und ist innerlich frei. Und diese Freiheit merkt man bei dem, was er sagt und auch in der Weise, wie er es sagt.

Die Forderung von Papst Franziskus nach einer armen Kirche für die Armen wird ja oft miss­verstanden. Wie ist sie wirklich zu interpretieren?
Gänswein: Fast immer, wenn Papst Franziskus von der armen Kirche spricht, spricht er auch von der missionarischen Kirche. Ich darf da keinen soziologischen Armutsbegriff anwenden. Der Begriff Armut bezieht sich vor allem auf den armen Christus. Wir sind also eine arme Kirche. Das ist ein theologischer Begriff, den er zugrunde legt für alles, was er in der Verkündigung sagt. Und zur Armut gehört die Missionsaufgabe. Es geht darum, den Glauben zu verkünden. Und die Armut, die Einfachheit soll dabei behilflich sein. Sie soll helfen, Menschen für den Glauben zu gewinnen und solche, die glauben, im Glauben zu festigen. (…)

Wie empfanden Sie es, dass er nicht in den apostolischen Palast eingezogen ist, kleinere Autos fährt?
Gänswein: Es war für mich schon überraschend, weil ich die Jahre mit Papst Benedikt im sogenannten „appartamento privato“ als sehr schön erlebt habe. Franziskus hat ja dann gesagt, er sei deshalb nicht eingezogen, weil er sich zu weit weg von den Menschen findet, er sei da wie weggeschlossen. Er möchte, wie er das bisher gemacht hatte, unter Menschen leben. Insofern war das seine freie Entscheidung. Sie dauert jetzt neun Monate und ich habe den Eindruck, dass er sie nicht mehr korrigieren wird. In Bezug auf die kleineren Autos: Er fährt in der Tat einen Mittelklassewagen, ein, zwei Klassen tiefer als seine Vorgänger. Aber das Auto benutzt er ja nicht zu Lustfahrten, sondern es ist einfach eine Hilfe, wenn er von A nach B gefahren werden muss. In Summe ist das also etwas unbequemer. Er muss eben die Unbequemlichkeit in Kauf nehmen.

Wie viel Revolution steckt im Schreiben Evangelii gaudium?
Gänswein: Es ist sicher das Dokument, das als erstes in seinem Pontifikat eine Art klare Handschrift zeigt. Darin sind viele Elemente, die wir aus den verschiedenen Verkündigungen kennen, aus Ansprachen, Katechesen bei der Generalaudienz. Es ist zusammengetragen, was Papst Franziskus bewegt. Wie viel Revolution dahintersteckt, das weiß ich nicht. Ich will auch das Wort nicht benennen. Es stecken sehr viele Initiativen, Neuansätze dahinter, aber im tiefsten bewegt es sich in einer Kontinuität mit seinem Vorgänger. Und wir können nur hoffen, dass das, was er damit anstoßen will, auch in die Realität umgesetzt wird. (…)

Wie würden Sie dann beschreiben, was er in seinem Schreiben fordert?
Gänswein: Immer wieder kommt zum Ausdruck, dass er sagt, dass wir von uns selber herausgehen müssen, dass wir keine Nabelschau halten dürfen, dass die Kirche nicht für sich selbst da ist. Das ist eine Botschaft, die Papst Benedikt auch immer wieder gesagt hat. Es ist völlig klar: Die Kirche ist für die Menschen da, für den Glauben. Papst Franziskus möchte nicht den Glauben reformieren, sondern die Gläubigen. Das ist ein großer Unterschied. Also die Substanz des Glaubens ist die selbe Substanz bei ihm, bei seinen Vorgängern und sie wird es nach ihm sein. Immer wieder geht es darum, dass die Gläubigen den Glauben wirklich leben. Und da gibt es eben unterschiedliche Formen zu helfen, den Glauben zu leben.  

Aufbruch im Vatikan – Erzbischof Georg Gänswein im Gespräch mit Susanne Hornberger, gesendet vom Bayrischen Fernsehen am 1.1.2014. Siehe auch www.kathtube.com/player.php?id=33657. Erzbischof Gänswein ist Präfekt des Päpstlichen Hauses.

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